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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
zogen. Eben um der Diskussion ein Ende zu setzen, soll ja ein
Recht als das geltende erklärt werden.

Diese Erklärung gibt in der staatlichen Gemeinschaft der
Staat ab, die organisierte, anerkannte Vertretung der Rechts-
ordnung; seine Behörden sind von der Verfassung dazu berufen,
sie bestimmen durch generelle Erlasse, Gesetze und spezielle Ent-
scheidungen, was rechtens ist. Wer tut das aber in der Völker-
gemeinschaft?

Die Völkergemeinschaft hat keine Verfassung und keine
(von Rechts wegen bestehende) Organisation1; sie hat folglich
auch kein Organ, das von Rechtswegen zuständig wäre, zu be-
stimmen, welches Recht verbindlich sein und gelten soll. Das
müßte ein internationaler Gesetzgeber sein; und daß es über den
Staaten keine gesetzgebende Instanz gibt, ist eine allgemein
anerkannte Tatsache. Es gibt kein internationales Gesetzesrecht.

Deshalb gibt es auch kein positives Völkerrecht, d. h. durch
die Erklärung einer Autorität inhaltlich festgelegtes Recht2

1 Dagegen Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 111; Verdroß,
Die Einheit des rechtlichen Weltbildes (1923) und Die Verfassung der Völker-
rechtsgemeinschaft (1926), spricht ausdrücklich von einer Völkerrechts-
verfassung; allein, wie oben (S. 148) bemerkt: er nimmt ihr tatsächlich
jede praktische Bedeutung. Auch Fiore, Le droit international codifie et
sa sanction juridique (1911) 56 ff., wie viele Neuere verfolgen dieses un-
erreichbare Ziel. Vgl. Zitelmann, Die Unvollkommenheit des Völker-
rechts (1919) 52.
2 Im Mangel der selbständigen, machtbewährten Organisation liegt
die Unvollkommenheit des Völkerrechts als positivem Recht. Das anerkennt
auch Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 492, an; aber dann dürfte
er nicht S. 491 erklären, das Völkerrecht erfülle sämtliche Begriffsmerkmale
des Rechts mit Inbegriff einer obersten Zwangsgewalt. Louter, der Posi-
tivist, sagt mit Recht: "Das Völkerrecht hat keinen Gesetzgeber, und, was
wichtiger ist: es wird nie einen haben"; Le droit internat. public positif
I (1920) 59. Vgl. v. Stintzing, Macht und Recht (Rede 1876) 30: "Denn
allen Grundsätzen, nach denen sich ihre (der Staaten) Beziehungen regeln,
fehlt das für jeden positiven Rechtssatz unentbehrliche Moment der gegen
den Widerstrebenden durch ein anerkanntes Organ vollstreckbaren Er-
zwingbarkeit." Das Völkerrecht ist daher nicht positives Recht. Hegel,
Philosophie des Rechts § 333; Cathrein, Die Grundlage des Völkerrechts
(1918) 36; Pradier-Fodere, Traite de droit international public I (1885)
33 ff. -- Daß auch die staatliche Zwangsorganisation nicht lückenlos ist,
ist richtig (oben S. 174), wie Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
zogen. Eben um der Diskussion ein Ende zu setzen, soll ja ein
Recht als das geltende erklärt werden.

Diese Erklärung gibt in der staatlichen Gemeinschaft der
Staat ab, die organisierte, anerkannte Vertretung der Rechts-
ordnung; seine Behörden sind von der Verfassung dazu berufen,
sie bestimmen durch generelle Erlasse, Gesetze und spezielle Ent-
scheidungen, was rechtens ist. Wer tut das aber in der Völker-
gemeinschaft?

Die Völkergemeinschaft hat keine Verfassung und keine
(von Rechts wegen bestehende) Organisation1; sie hat folglich
auch kein Organ, das von Rechtswegen zuständig wäre, zu be-
stimmen, welches Recht verbindlich sein und gelten soll. Das
müßte ein internationaler Gesetzgeber sein; und daß es über den
Staaten keine gesetzgebende Instanz gibt, ist eine allgemein
anerkannte Tatsache. Es gibt kein internationales Gesetzesrecht.

Deshalb gibt es auch kein positives Völkerrecht, d. h. durch
die Erklärung einer Autorität inhaltlich festgelegtes Recht2

1 Dagegen Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 111; Verdroß,
Die Einheit des rechtlichen Weltbildes (1923) und Die Verfassung der Völker-
rechtsgemeinschaft (1926), spricht ausdrücklich von einer Völkerrechts-
verfassung; allein, wie oben (S. 148) bemerkt: er nimmt ihr tatsächlich
jede praktische Bedeutung. Auch Fiore, Le droit international codifié et
sa sanction juridique (1911) 56 ff., wie viele Neuere verfolgen dieses un-
erreichbare Ziel. Vgl. Zitelmann, Die Unvollkommenheit des Völker-
rechts (1919) 52.
2 Im Mangel der selbständigen, machtbewährten Organisation liegt
die Unvollkommenheit des Völkerrechts als positivem Recht. Das anerkennt
auch Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 492, an; aber dann dürfte
er nicht S. 491 erklären, das Völkerrecht erfülle sämtliche Begriffsmerkmale
des Rechts mit Inbegriff einer obersten Zwangsgewalt. Louter, der Posi-
tivist, sagt mit Recht: „Das Völkerrecht hat keinen Gesetzgeber, und, was
wichtiger ist: es wird nie einen haben“; Le droit internat. public positif
I (1920) 59. Vgl. v. Stintzing, Macht und Recht (Rede 1876) 30: „Denn
allen Grundsätzen, nach denen sich ihre (der Staaten) Beziehungen regeln,
fehlt das für jeden positiven Rechtssatz unentbehrliche Moment der gegen
den Widerstrebenden durch ein anerkanntes Organ vollstreckbaren Er-
zwingbarkeit.“ Das Völkerrecht ist daher nicht positives Recht. Hegel,
Philosophie des Rechts § 333; Cathrein, Die Grundlage des Völkerrechts
(1918) 36; Pradier-Fodéré, Traité de droit international public I (1885)
33 ff. — Daß auch die staatliche Zwangsorganisation nicht lückenlos ist,
ist richtig (oben S. 174), wie Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als
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[376/0391] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. zogen. Eben um der Diskussion ein Ende zu setzen, soll ja ein Recht als das geltende erklärt werden. Diese Erklärung gibt in der staatlichen Gemeinschaft der Staat ab, die organisierte, anerkannte Vertretung der Rechts- ordnung; seine Behörden sind von der Verfassung dazu berufen, sie bestimmen durch generelle Erlasse, Gesetze und spezielle Ent- scheidungen, was rechtens ist. Wer tut das aber in der Völker- gemeinschaft? Die Völkergemeinschaft hat keine Verfassung und keine (von Rechts wegen bestehende) Organisation 1; sie hat folglich auch kein Organ, das von Rechtswegen zuständig wäre, zu be- stimmen, welches Recht verbindlich sein und gelten soll. Das müßte ein internationaler Gesetzgeber sein; und daß es über den Staaten keine gesetzgebende Instanz gibt, ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Es gibt kein internationales Gesetzesrecht. Deshalb gibt es auch kein positives Völkerrecht, d. h. durch die Erklärung einer Autorität inhaltlich festgelegtes Recht 2 1 Dagegen Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 111; Verdroß, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes (1923) und Die Verfassung der Völker- rechtsgemeinschaft (1926), spricht ausdrücklich von einer Völkerrechts- verfassung; allein, wie oben (S. 148) bemerkt: er nimmt ihr tatsächlich jede praktische Bedeutung. Auch Fiore, Le droit international codifié et sa sanction juridique (1911) 56 ff., wie viele Neuere verfolgen dieses un- erreichbare Ziel. Vgl. Zitelmann, Die Unvollkommenheit des Völker- rechts (1919) 52. 2 Im Mangel der selbständigen, machtbewährten Organisation liegt die Unvollkommenheit des Völkerrechts als positivem Recht. Das anerkennt auch Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 492, an; aber dann dürfte er nicht S. 491 erklären, das Völkerrecht erfülle sämtliche Begriffsmerkmale des Rechts mit Inbegriff einer obersten Zwangsgewalt. Louter, der Posi- tivist, sagt mit Recht: „Das Völkerrecht hat keinen Gesetzgeber, und, was wichtiger ist: es wird nie einen haben“; Le droit internat. public positif I (1920) 59. Vgl. v. Stintzing, Macht und Recht (Rede 1876) 30: „Denn allen Grundsätzen, nach denen sich ihre (der Staaten) Beziehungen regeln, fehlt das für jeden positiven Rechtssatz unentbehrliche Moment der gegen den Widerstrebenden durch ein anerkanntes Organ vollstreckbaren Er- zwingbarkeit.“ Das Völkerrecht ist daher nicht positives Recht. Hegel, Philosophie des Rechts § 333; Cathrein, Die Grundlage des Völkerrechts (1918) 36; Pradier-Fodéré, Traité de droit international public I (1885) 33 ff. — Daß auch die staatliche Zwangsorganisation nicht lückenlos ist, ist richtig (oben S. 174), wie Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/391>, abgerufen am 24.11.2024.