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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
widerspruchsvolles Gebilde geschaffen hat. Die Wissenschaft kann
nicht alles positivrechtlich Gegebene vor dem Forum der theo-
retischen und praktischen Vernunft legitimieren; sie muß es auch
als unberechtigt oder widerspruchsvoll hinstellen dürfen, sonst
hätte sie keine selbständige Aufgabe1. Ihre Aufgabe ist es dann
nur, zu erklären, weshalb ein positivrechtlich Gegebenes der
Rechtsidee oder dem Rechtsbegriff nicht entspricht (S. 187).

Die öffentlich-rechtliche Organisation des Staates mit seinen
Unterabteilungen ist die von Rechts wegen bestehende Ein-
richtung, die dazu bestimmt ist, das objektive Recht (in der
Rechtssetzung) zu schaffen und (in der Rechtsprechung und Ver-
waltung sowie in der Vollziehung) anzuwenden und zu erzwingen.
Die privatrechtliche Organisation ist die zufällig, vermöge privater
Entschließung bestehende Organisation, die bestimmt ist, für
ihren zufälligen Zweck aus privater Entschließung Rechtsgeschäfte
abzuschließen und die daraus hervorgehenden Rechtsverhältnisse
auszuführen.

Zwischen der Tätigkeit des Gesetzgebers, der (wo es nicht
ausnahmsweise schon die Verfassung tut; siehe oben S. 239)
bestimmt, welche Grundsätze als die verbindlichen Rechtsgrund-
sätze anzusehen sind, und der der Privaten, welche durch Rechts-
geschäft (als dessen typischen Vertreter wir wieder den Vertrag
betrachten können) gewisse Pflichten vereinbaren, besteht eine
offenbare Analogie, gleichwie zwischen der staatlichen Rechts-
anwendung und der privaten Ausführung der eingegangenen
Rechtsverhältnisse. Durch den Vertrag (das Rechtsgeschäft),
wie durch das Gesetz, werden Rechtspflichten geschaffen, die vor-
her nicht bestanden, und die gesetzten, objektiven, wie die ver-
traglichen "Normen", beide als gültig vorausgesetzt, bilden den
Maßstab jene für die unter den Rechtsgenossen, diese für die
unter den Vertragsparteien bestehenden konkreten Pflichten.
Das Gesetz schreibt vor, daß unter gewissen Voraussetzungen
der Bürger Steuern zahlen, Anzeige machen oder gefährliche Ver-
richtungen unterlassen soll; die gesetzlichen Normen bestimmen,
was der Bürger unter bestimmten Voraussetzungen zu tun oder
zu unterlassen hat. Ein Vertrag schreibt vor, daß die eine Partei

1 Was der strenge Positivismus nicht zugeben kann.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
widerspruchsvolles Gebilde geschaffen hat. Die Wissenschaft kann
nicht alles positivrechtlich Gegebene vor dem Forum der theo-
retischen und praktischen Vernunft legitimieren; sie muß es auch
als unberechtigt oder widerspruchsvoll hinstellen dürfen, sonst
hätte sie keine selbständige Aufgabe1. Ihre Aufgabe ist es dann
nur, zu erklären, weshalb ein positivrechtlich Gegebenes der
Rechtsidee oder dem Rechtsbegriff nicht entspricht (S. 187).

Die öffentlich-rechtliche Organisation des Staates mit seinen
Unterabteilungen ist die von Rechts wegen bestehende Ein-
richtung, die dazu bestimmt ist, das objektive Recht (in der
Rechtssetzung) zu schaffen und (in der Rechtsprechung und Ver-
waltung sowie in der Vollziehung) anzuwenden und zu erzwingen.
Die privatrechtliche Organisation ist die zufällig, vermöge privater
Entschließung bestehende Organisation, die bestimmt ist, für
ihren zufälligen Zweck aus privater Entschließung Rechtsgeschäfte
abzuschließen und die daraus hervorgehenden Rechtsverhältnisse
auszuführen.

Zwischen der Tätigkeit des Gesetzgebers, der (wo es nicht
ausnahmsweise schon die Verfassung tut; siehe oben S. 239)
bestimmt, welche Grundsätze als die verbindlichen Rechtsgrund-
sätze anzusehen sind, und der der Privaten, welche durch Rechts-
geschäft (als dessen typischen Vertreter wir wieder den Vertrag
betrachten können) gewisse Pflichten vereinbaren, besteht eine
offenbare Analogie, gleichwie zwischen der staatlichen Rechts-
anwendung und der privaten Ausführung der eingegangenen
Rechtsverhältnisse. Durch den Vertrag (das Rechtsgeschäft),
wie durch das Gesetz, werden Rechtspflichten geschaffen, die vor-
her nicht bestanden, und die gesetzten, objektiven, wie die ver-
traglichen „Normen“, beide als gültig vorausgesetzt, bilden den
Maßstab jene für die unter den Rechtsgenossen, diese für die
unter den Vertragsparteien bestehenden konkreten Pflichten.
Das Gesetz schreibt vor, daß unter gewissen Voraussetzungen
der Bürger Steuern zahlen, Anzeige machen oder gefährliche Ver-
richtungen unterlassen soll; die gesetzlichen Normen bestimmen,
was der Bürger unter bestimmten Voraussetzungen zu tun oder
zu unterlassen hat. Ein Vertrag schreibt vor, daß die eine Partei

1 Was der strenge Positivismus nicht zugeben kann.
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[350/0365] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. widerspruchsvolles Gebilde geschaffen hat. Die Wissenschaft kann nicht alles positivrechtlich Gegebene vor dem Forum der theo- retischen und praktischen Vernunft legitimieren; sie muß es auch als unberechtigt oder widerspruchsvoll hinstellen dürfen, sonst hätte sie keine selbständige Aufgabe 1. Ihre Aufgabe ist es dann nur, zu erklären, weshalb ein positivrechtlich Gegebenes der Rechtsidee oder dem Rechtsbegriff nicht entspricht (S. 187). Die öffentlich-rechtliche Organisation des Staates mit seinen Unterabteilungen ist die von Rechts wegen bestehende Ein- richtung, die dazu bestimmt ist, das objektive Recht (in der Rechtssetzung) zu schaffen und (in der Rechtsprechung und Ver- waltung sowie in der Vollziehung) anzuwenden und zu erzwingen. Die privatrechtliche Organisation ist die zufällig, vermöge privater Entschließung bestehende Organisation, die bestimmt ist, für ihren zufälligen Zweck aus privater Entschließung Rechtsgeschäfte abzuschließen und die daraus hervorgehenden Rechtsverhältnisse auszuführen. Zwischen der Tätigkeit des Gesetzgebers, der (wo es nicht ausnahmsweise schon die Verfassung tut; siehe oben S. 239) bestimmt, welche Grundsätze als die verbindlichen Rechtsgrund- sätze anzusehen sind, und der der Privaten, welche durch Rechts- geschäft (als dessen typischen Vertreter wir wieder den Vertrag betrachten können) gewisse Pflichten vereinbaren, besteht eine offenbare Analogie, gleichwie zwischen der staatlichen Rechts- anwendung und der privaten Ausführung der eingegangenen Rechtsverhältnisse. Durch den Vertrag (das Rechtsgeschäft), wie durch das Gesetz, werden Rechtspflichten geschaffen, die vor- her nicht bestanden, und die gesetzten, objektiven, wie die ver- traglichen „Normen“, beide als gültig vorausgesetzt, bilden den Maßstab jene für die unter den Rechtsgenossen, diese für die unter den Vertragsparteien bestehenden konkreten Pflichten. Das Gesetz schreibt vor, daß unter gewissen Voraussetzungen der Bürger Steuern zahlen, Anzeige machen oder gefährliche Ver- richtungen unterlassen soll; die gesetzlichen Normen bestimmen, was der Bürger unter bestimmten Voraussetzungen zu tun oder zu unterlassen hat. Ein Vertrag schreibt vor, daß die eine Partei 1 Was der strenge Positivismus nicht zugeben kann.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/365>, abgerufen am 24.11.2024.