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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Rechtssätze, sondern für subjektive, besondere Rechtsverhält-
nisse. Aber auch hier im privaten Verband ist die Beobachtung
des Statutes die Bedingung der Gültigkeit der durch die Ver-
bandsorgane begründeten Rechtsverhältnisse, gleich wie die Be-
obachtung der in der staatlichen Verfassung gegebenen Zustän-
digkeitsordnung die Bedingung der Gültigkeit der gesetzten Ver-
haltungsnormen der staatlichen Ordnung ist (vgl. unten S. 125 ff.).

Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und
Verhaltungsrecht, obgleich verschieden von der zwischen öffent-
lichem und privatem Recht, doch nicht ohne Beziehung zu ihr1.



Wenn wir die bisherigen Theorien über die Unterscheidung
zwischen öffentlichem und Privatrecht überblicken, bemerken
wir, daß sie sich nach drei verschiedenen Gesichtspunkten orien-
tieren: nach dem Wert des zu schützenden Interesses, nach der
rechtlichen Natur der beteiligten Personen oder endlich nach der
rechtlichen Natur der Norm selbst. Die Theorien der ersten Art
erklären als öffentliches Recht die Normen, die zum Schutze öffent-
licher Interessen aufgestellt sind, im Gegensatz zu denen, die dem
Schutze privater Interessen dienen; die der zweiten Art erklären
als öffentlich-rechtlich die Rechtsverhältnisse, an denen der Staat
oder eine Unterabteilung des Staates beteiligt ist, und die darauf
bezüglichen Normen; und die der dritten Art erblicken das Merk-
mal der Unterscheidung im zwingenden oder nichtzwingenden
Charakter der Norm. Die beiden letzten Merkmale sind bestimmt
durch Rechtsbegriffe, das erste durch einen rechtspolitischen Ge-
sichtspunkt.

1 Das hier Verfassungsrecht genannte Recht wird mitunter auch
Sozialrecht genannt, aber oft in unklarer Vermengung mit dem vom Ver-
band gesetzten Recht; vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht 1 26 ff. Sozial
wird oft auch eine bestimmte Betrachtungsweise des Rechts genannt, näm-
lich die nach dem Gesichtspunkt größerer oder geringerer Bindung des ein-
zelnen im Interesse des Ganzen; so v. Herrnritt, Grundlagen des Ver-
waltungsrechts (Tübingen 1921) 59--61; oder nach dem Gesichtspunkte
des (sekundären) Ausgleiches von Vorteilen und Lasten unter (primär)
rechtlich ungleich gestellten Rechtsgenossen; vgl. E. Huber, Recht und
Rechtsverwirklichung 102.

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Rechtssätze, sondern für subjektive, besondere Rechtsverhält-
nisse. Aber auch hier im privaten Verband ist die Beobachtung
des Statutes die Bedingung der Gültigkeit der durch die Ver-
bandsorgane begründeten Rechtsverhältnisse, gleich wie die Be-
obachtung der in der staatlichen Verfassung gegebenen Zustän-
digkeitsordnung die Bedingung der Gültigkeit der gesetzten Ver-
haltungsnormen der staatlichen Ordnung ist (vgl. unten S. 125 ff.).

Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und
Verhaltungsrecht, obgleich verschieden von der zwischen öffent-
lichem und privatem Recht, doch nicht ohne Beziehung zu ihr1.



Wenn wir die bisherigen Theorien über die Unterscheidung
zwischen öffentlichem und Privatrecht überblicken, bemerken
wir, daß sie sich nach drei verschiedenen Gesichtspunkten orien-
tieren: nach dem Wert des zu schützenden Interesses, nach der
rechtlichen Natur der beteiligten Personen oder endlich nach der
rechtlichen Natur der Norm selbst. Die Theorien der ersten Art
erklären als öffentliches Recht die Normen, die zum Schutze öffent-
licher Interessen aufgestellt sind, im Gegensatz zu denen, die dem
Schutze privater Interessen dienen; die der zweiten Art erklären
als öffentlich-rechtlich die Rechtsverhältnisse, an denen der Staat
oder eine Unterabteilung des Staates beteiligt ist, und die darauf
bezüglichen Normen; und die der dritten Art erblicken das Merk-
mal der Unterscheidung im zwingenden oder nichtzwingenden
Charakter der Norm. Die beiden letzten Merkmale sind bestimmt
durch Rechtsbegriffe, das erste durch einen rechtspolitischen Ge-
sichtspunkt.

1 Das hier Verfassungsrecht genannte Recht wird mitunter auch
Sozialrecht genannt, aber oft in unklarer Vermengung mit dem vom Ver-
band gesetzten Recht; vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht 1 26 ff. Sozial
wird oft auch eine bestimmte Betrachtungsweise des Rechts genannt, näm-
lich die nach dem Gesichtspunkt größerer oder geringerer Bindung des ein-
zelnen im Interesse des Ganzen; so v. Herrnritt, Grundlagen des Ver-
waltungsrechts (Tübingen 1921) 59—61; oder nach dem Gesichtspunkte
des (sekundären) Ausgleiches von Vorteilen und Lasten unter (primär)
rechtlich ungleich gestellten Rechtsgenossen; vgl. E. Huber, Recht und
Rechtsverwirklichung 102.
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[20/0035] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. Rechtssätze, sondern für subjektive, besondere Rechtsverhält- nisse. Aber auch hier im privaten Verband ist die Beobachtung des Statutes die Bedingung der Gültigkeit der durch die Ver- bandsorgane begründeten Rechtsverhältnisse, gleich wie die Be- obachtung der in der staatlichen Verfassung gegebenen Zustän- digkeitsordnung die Bedingung der Gültigkeit der gesetzten Ver- haltungsnormen der staatlichen Ordnung ist (vgl. unten S. 125 ff.). Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und Verhaltungsrecht, obgleich verschieden von der zwischen öffent- lichem und privatem Recht, doch nicht ohne Beziehung zu ihr 1. Wenn wir die bisherigen Theorien über die Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht überblicken, bemerken wir, daß sie sich nach drei verschiedenen Gesichtspunkten orien- tieren: nach dem Wert des zu schützenden Interesses, nach der rechtlichen Natur der beteiligten Personen oder endlich nach der rechtlichen Natur der Norm selbst. Die Theorien der ersten Art erklären als öffentliches Recht die Normen, die zum Schutze öffent- licher Interessen aufgestellt sind, im Gegensatz zu denen, die dem Schutze privater Interessen dienen; die der zweiten Art erklären als öffentlich-rechtlich die Rechtsverhältnisse, an denen der Staat oder eine Unterabteilung des Staates beteiligt ist, und die darauf bezüglichen Normen; und die der dritten Art erblicken das Merk- mal der Unterscheidung im zwingenden oder nichtzwingenden Charakter der Norm. Die beiden letzten Merkmale sind bestimmt durch Rechtsbegriffe, das erste durch einen rechtspolitischen Ge- sichtspunkt. 1 Das hier Verfassungsrecht genannte Recht wird mitunter auch Sozialrecht genannt, aber oft in unklarer Vermengung mit dem vom Ver- band gesetzten Recht; vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht 1 26 ff. Sozial wird oft auch eine bestimmte Betrachtungsweise des Rechts genannt, näm- lich die nach dem Gesichtspunkt größerer oder geringerer Bindung des ein- zelnen im Interesse des Ganzen; so v. Herrnritt, Grundlagen des Ver- waltungsrechts (Tübingen 1921) 59—61; oder nach dem Gesichtspunkte des (sekundären) Ausgleiches von Vorteilen und Lasten unter (primär) rechtlich ungleich gestellten Rechtsgenossen; vgl. E. Huber, Recht und Rechtsverwirklichung 102.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/35>, abgerufen am 19.04.2024.