Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. auch mit dem Ausdruck subjektives Recht, subjektives Rechts-verhältnis oder einfach Rechtsverhältnis. Man kann also in der Tat unter den rechtsgeschäftlichen Anordnungen individuell be- stimmte und abstrakt lautende unterscheiden, und es liegt nahe, zu fragen, ob nicht die private Organisation vielleicht im Verhältnis zu den abstrakten Ordnungen, die rechtsgeschäftlich begründet werden, eine ähnliche Funktion auszuüben hat wie die staatliche im Verhältnis zu den abstrakten Normen der staatlichen Rechts- ordnung? Die Frage ist berechtigt. Nur finden wir nicht überall eine private Organisation, wo durch Rechtsgeschäfte abstrakte Normen aufgestellt worden sind, wie wir überall, wo eine objektive Rechtsordnung gilt, auch eine staatliche Organisation finden. Die rechtsgeschäftliche "Rechtssetzung" (inter partes) findet sich sowohl im schlichten Rechtsverhältnis unter nicht organisierten Einzelnen wie in der organisierten (privaten) Gemeinschaft; ein Einzelner kann mit einem anderen einen auf Jahre berechneten Lieferungs-, Gesellschafts-, Werk- oder Pfrundvertrag abschließen und damit sich in genereller Weise zu einer unübersehbaren Menge von Handlungen verpflichten, und die so gesetzten Regeln werden, in gewissem Sinn, ebenfalls auf den einzelnen Fall "angewendet" (S. 268). Darin liegt also nicht die eigenartige Leistung der Or- ganisation, daß sie allein eine abstrakte, konkreter Anwendung noch bedürftige (private) "Rechtsordnung" schaffen könnte. Da- zu bedarf es nicht notwendig einer Organisation; jedes Rechts- geschäft, jeder Vertrag kann etwas Ähnliches begründen. In einer organisierten Gemeinschaft finden wir allerdings stets 1 Vgl. Enneccerus-Kipp-Wolff, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts
I (1909) § 96, S. 225; Sohm, Institutionen, 7. A., 198. III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. auch mit dem Ausdruck subjektives Recht, subjektives Rechts-verhältnis oder einfach Rechtsverhältnis. Man kann also in der Tat unter den rechtsgeschäftlichen Anordnungen individuell be- stimmte und abstrakt lautende unterscheiden, und es liegt nahe, zu fragen, ob nicht die private Organisation vielleicht im Verhältnis zu den abstrakten Ordnungen, die rechtsgeschäftlich begründet werden, eine ähnliche Funktion auszuüben hat wie die staatliche im Verhältnis zu den abstrakten Normen der staatlichen Rechts- ordnung? Die Frage ist berechtigt. Nur finden wir nicht überall eine private Organisation, wo durch Rechtsgeschäfte abstrakte Normen aufgestellt worden sind, wie wir überall, wo eine objektive Rechtsordnung gilt, auch eine staatliche Organisation finden. Die rechtsgeschäftliche „Rechtssetzung“ (inter partes) findet sich sowohl im schlichten Rechtsverhältnis unter nicht organisierten Einzelnen wie in der organisierten (privaten) Gemeinschaft; ein Einzelner kann mit einem anderen einen auf Jahre berechneten Lieferungs-, Gesellschafts-, Werk- oder Pfrundvertrag abschließen und damit sich in genereller Weise zu einer unübersehbaren Menge von Handlungen verpflichten, und die so gesetzten Regeln werden, in gewissem Sinn, ebenfalls auf den einzelnen Fall „angewendet“ (S. 268). Darin liegt also nicht die eigenartige Leistung der Or- ganisation, daß sie allein eine abstrakte, konkreter Anwendung noch bedürftige (private) „Rechtsordnung“ schaffen könnte. Da- zu bedarf es nicht notwendig einer Organisation; jedes Rechts- geschäft, jeder Vertrag kann etwas Ähnliches begründen. In einer organisierten Gemeinschaft finden wir allerdings stets 1 Vgl. Enneccerus-Kipp-Wolff, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts
I (1909) § 96, S. 225; Sohm, Institutionen, 7. A., 198. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0325" n="310"/><fw place="top" type="header">III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.</fw><lb/> auch mit dem Ausdruck subjektives Recht, subjektives Rechts-<lb/> verhältnis oder einfach Rechtsverhältnis. Man kann also in der<lb/> Tat unter den rechtsgeschäftlichen Anordnungen individuell be-<lb/> stimmte und abstrakt lautende unterscheiden, und es liegt nahe, zu<lb/> fragen, ob nicht die private Organisation vielleicht im Verhältnis<lb/> zu den abstrakten Ordnungen, die rechtsgeschäftlich begründet<lb/> werden, eine ähnliche Funktion auszuüben hat wie die staatliche<lb/> im Verhältnis zu den abstrakten Normen der staatlichen Rechts-<lb/> ordnung? Die Frage ist berechtigt. Nur finden wir nicht überall<lb/> eine private Organisation, wo durch Rechtsgeschäfte abstrakte<lb/> Normen aufgestellt worden sind, wie wir überall, wo eine objektive<lb/> Rechtsordnung gilt, auch eine staatliche Organisation finden.<lb/> Die rechtsgeschäftliche „Rechtssetzung“ (inter partes) findet sich<lb/> sowohl im schlichten Rechtsverhältnis unter nicht organisierten<lb/> Einzelnen wie in der organisierten (privaten) Gemeinschaft; ein<lb/> Einzelner kann mit einem anderen einen auf Jahre berechneten<lb/> Lieferungs-, Gesellschafts-, Werk- oder Pfrundvertrag abschließen<lb/> und damit sich in genereller Weise zu einer unübersehbaren Menge<lb/> von Handlungen verpflichten, und die so gesetzten Regeln werden,<lb/> in gewissem Sinn, ebenfalls auf den einzelnen Fall „angewendet“<lb/> (S. 268). Darin liegt also nicht die eigenartige Leistung der Or-<lb/> ganisation, daß sie allein eine abstrakte, konkreter Anwendung<lb/> noch bedürftige (private) „Rechtsordnung“ schaffen könnte. Da-<lb/> zu bedarf es nicht notwendig einer Organisation; jedes Rechts-<lb/> geschäft, jeder Vertrag kann etwas Ähnliches begründen.</p><lb/> <p>In einer organisierten Gemeinschaft finden wir allerdings stets<lb/> auch eine abstrakte generelle Ordnung, nämlich eine Art Zuständig-<lb/> keitsordnung, die wie die staatliche, bestimmt, in welchen generell<lb/> umschriebenen Fällen gewisse Personen befugt sein sollen, verbind-<lb/> lich für alle zu handeln<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#g">Enneccerus-Kipp-Wolff,</hi> Lehrbuch des bürgerlichen Rechts<lb/> I (1909) § 96, S. 225; <hi rendition="#g">Sohm,</hi> Institutionen, 7. A., 198.</note>. Daß die Organisation gerade in allge-<lb/> mein abstrakter Weise für eine unbestimmte Zahl von abstrakt<lb/> bestimmten Fällen gelten müßte, ist ferner begrifflich nicht not-<lb/> wendig; man kann sich auch denken, daß mehrere sich für einen<lb/> individuellen Fall organisierten, z. B. mehrere Miteigentümer, um<lb/> ein bisher in ihrem Miteigentum stehendes Grundstück zu ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0325]
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
auch mit dem Ausdruck subjektives Recht, subjektives Rechts-
verhältnis oder einfach Rechtsverhältnis. Man kann also in der
Tat unter den rechtsgeschäftlichen Anordnungen individuell be-
stimmte und abstrakt lautende unterscheiden, und es liegt nahe, zu
fragen, ob nicht die private Organisation vielleicht im Verhältnis
zu den abstrakten Ordnungen, die rechtsgeschäftlich begründet
werden, eine ähnliche Funktion auszuüben hat wie die staatliche
im Verhältnis zu den abstrakten Normen der staatlichen Rechts-
ordnung? Die Frage ist berechtigt. Nur finden wir nicht überall
eine private Organisation, wo durch Rechtsgeschäfte abstrakte
Normen aufgestellt worden sind, wie wir überall, wo eine objektive
Rechtsordnung gilt, auch eine staatliche Organisation finden.
Die rechtsgeschäftliche „Rechtssetzung“ (inter partes) findet sich
sowohl im schlichten Rechtsverhältnis unter nicht organisierten
Einzelnen wie in der organisierten (privaten) Gemeinschaft; ein
Einzelner kann mit einem anderen einen auf Jahre berechneten
Lieferungs-, Gesellschafts-, Werk- oder Pfrundvertrag abschließen
und damit sich in genereller Weise zu einer unübersehbaren Menge
von Handlungen verpflichten, und die so gesetzten Regeln werden,
in gewissem Sinn, ebenfalls auf den einzelnen Fall „angewendet“
(S. 268). Darin liegt also nicht die eigenartige Leistung der Or-
ganisation, daß sie allein eine abstrakte, konkreter Anwendung
noch bedürftige (private) „Rechtsordnung“ schaffen könnte. Da-
zu bedarf es nicht notwendig einer Organisation; jedes Rechts-
geschäft, jeder Vertrag kann etwas Ähnliches begründen.
In einer organisierten Gemeinschaft finden wir allerdings stets
auch eine abstrakte generelle Ordnung, nämlich eine Art Zuständig-
keitsordnung, die wie die staatliche, bestimmt, in welchen generell
umschriebenen Fällen gewisse Personen befugt sein sollen, verbind-
lich für alle zu handeln 1. Daß die Organisation gerade in allge-
mein abstrakter Weise für eine unbestimmte Zahl von abstrakt
bestimmten Fällen gelten müßte, ist ferner begrifflich nicht not-
wendig; man kann sich auch denken, daß mehrere sich für einen
individuellen Fall organisierten, z. B. mehrere Miteigentümer, um
ein bisher in ihrem Miteigentum stehendes Grundstück zu ver-
1 Vgl. Enneccerus-Kipp-Wolff, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts
I (1909) § 96, S. 225; Sohm, Institutionen, 7. A., 198.
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Zitationshilfe: | Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/325>, abgerufen am 16.02.2025. |