Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
delegiert werden könne. Und ebensowenig folgt aus den Be-
griffen des öffentlichen bzw. des privaten Rechts (auch wenn sie
klar bestimmt sein sollten), welche Rechtsverhältnisse durch
öffentlich-rechtliche Normen und welche durch privatrechtliche
zu ordnen sind1. Das wäre aber die hier zu lösende Frage: ob
ein Satz, den der Gesetzgeber weder als öffentlich-rechtlichen,
noch als privatrechtlichen charakterisiert hat, in diesem oder
jenem Sinn auszulegen, d. h. zu ergänzen ist, was nur noch sach-
lichen Erwägungen geschehen kann (vgl. unten S. 22 ff.).

Unsere Aufgabe ist es also nicht, in allgemein gültiger Weise,
wie es oft versucht wird, zu entscheiden, was in jeder Gesetz-
gebung als öffentliches und was als privates Recht behandelt
werden soll, also auch nicht, ob ein einzelner Rechtssatz richtiger-
weise als öffentlicher oder als privater aufzustellen sei, sei es vom
Gesetzgeber, der das Gesetz macht, sei es vom Richter, der das
Gesetz, wo es lückenhaft ist, zu ergänzen hat, sondern bloß klar-
zustellen, welche Frage zu beantworten, d. h. welches sachliche
Problem zu lösen ist. Das ist das Problem der Abgrenzung zwi-
schen gesetzlichem
(abschließendem) Gebot und privater Willkür.
Dieser Gesichtspunkt bezeichnet die Frage, für welche der Ge-
gensatz des öffentlichen und privaten Rechts in Betracht kommt2.

Die Aufgabe einer rechtstheoretischen Untersuchung, wie die
vorliegende, ist es nun nicht, zu zeigen, wie das Problem allgemein-
gültig und für jede Gesetzgebung gelöst werden soll, sondern was
es umfaßt, welche Fragen zu beantworten sind, damit die Lösung

1 Wenn also bestimmt wird, daß Rechtssätze gewisser Art öffentlich-
rechtliche sind, so folgt daraus in keiner Weise, wann solche Rechtssätze
oder wann im Gegenteil privatrechtliche zur Anwendung zu kommen haben;
z. B. in den Fällen, wo der Gesetzgeber es nicht gesagt hat. Man muß
vielmehr wohl unterscheiden die zwei Fragen: 1. Wodurch unterscheiden
sich "öffentliches" und "privates" Recht? und welche Rechtssätze eines
positiven Rechts sind demgemäß "öffentliche", welche "private"? 2. Wann
ist, wo das Gesetz schweigt oder wo ein neues Gesetz gemacht werden soll,
die eine oder die andere Regelung am Platze? Die zwei Fragen werden stets
durcheinandergeworfen.
2 Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht (1851) 119, sagt von
den privatrechtlichen Sätzen: "Dieses ihr Verhältnis zur Privatwillkür
(d. h. dem Privatwillen zu weichen) ist ihr recht eigentlicher privatrecht-
licher Charakter." Zustimmend: Streit in der Festgabe für F. Fleiner
(1927) 339.

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
delegiert werden könne. Und ebensowenig folgt aus den Be-
griffen des öffentlichen bzw. des privaten Rechts (auch wenn sie
klar bestimmt sein sollten), welche Rechtsverhältnisse durch
öffentlich-rechtliche Normen und welche durch privatrechtliche
zu ordnen sind1. Das wäre aber die hier zu lösende Frage: ob
ein Satz, den der Gesetzgeber weder als öffentlich-rechtlichen,
noch als privatrechtlichen charakterisiert hat, in diesem oder
jenem Sinn auszulegen, d. h. zu ergänzen ist, was nur noch sach-
lichen Erwägungen geschehen kann (vgl. unten S. 22 ff.).

Unsere Aufgabe ist es also nicht, in allgemein gültiger Weise,
wie es oft versucht wird, zu entscheiden, was in jeder Gesetz-
gebung als öffentliches und was als privates Recht behandelt
werden soll, also auch nicht, ob ein einzelner Rechtssatz richtiger-
weise als öffentlicher oder als privater aufzustellen sei, sei es vom
Gesetzgeber, der das Gesetz macht, sei es vom Richter, der das
Gesetz, wo es lückenhaft ist, zu ergänzen hat, sondern bloß klar-
zustellen, welche Frage zu beantworten, d. h. welches sachliche
Problem zu lösen ist. Das ist das Problem der Abgrenzung zwi-
schen gesetzlichem
(abschließendem) Gebot und privater Willkür.
Dieser Gesichtspunkt bezeichnet die Frage, für welche der Ge-
gensatz des öffentlichen und privaten Rechts in Betracht kommt2.

Die Aufgabe einer rechtstheoretischen Untersuchung, wie die
vorliegende, ist es nun nicht, zu zeigen, wie das Problem allgemein-
gültig und für jede Gesetzgebung gelöst werden soll, sondern was
es umfaßt, welche Fragen zu beantworten sind, damit die Lösung

1 Wenn also bestimmt wird, daß Rechtssätze gewisser Art öffentlich-
rechtliche sind, so folgt daraus in keiner Weise, wann solche Rechtssätze
oder wann im Gegenteil privatrechtliche zur Anwendung zu kommen haben;
z. B. in den Fällen, wo der Gesetzgeber es nicht gesagt hat. Man muß
vielmehr wohl unterscheiden die zwei Fragen: 1. Wodurch unterscheiden
sich „öffentliches“ und „privates“ Recht? und welche Rechtssätze eines
positiven Rechts sind demgemäß „öffentliche“, welche „private“? 2. Wann
ist, wo das Gesetz schweigt oder wo ein neues Gesetz gemacht werden soll,
die eine oder die andere Regelung am Platze? Die zwei Fragen werden stets
durcheinandergeworfen.
2 Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht (1851) 119, sagt von
den privatrechtlichen Sätzen: „Dieses ihr Verhältnis zur Privatwillkür
(d. h. dem Privatwillen zu weichen) ist ihr recht eigentlicher privatrecht-
licher Charakter.“ Zustimmend: Streit in der Festgabe für F. Fleiner
(1927) 339.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0031" n="16"/><fw place="top" type="header">I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.</fw><lb/>
delegiert werden könne. Und ebensowenig folgt aus den Be-<lb/>
griffen des öffentlichen bzw. des privaten Rechts (auch wenn sie<lb/>
klar bestimmt sein sollten), welche Rechtsverhältnisse durch<lb/>
öffentlich-rechtliche Normen und welche durch privatrechtliche<lb/>
zu ordnen sind<note place="foot" n="1">Wenn also bestimmt wird, daß Rechtssätze gewisser Art öffentlich-<lb/>
rechtliche sind, so folgt daraus in keiner Weise, wann solche Rechtssätze<lb/>
oder wann im Gegenteil privatrechtliche zur Anwendung zu kommen haben;<lb/>
z. B. in den Fällen, wo der Gesetzgeber es nicht gesagt hat. Man muß<lb/>
vielmehr wohl unterscheiden die zwei Fragen: 1. Wodurch unterscheiden<lb/>
sich &#x201E;öffentliches&#x201C; und &#x201E;privates&#x201C; Recht? und welche Rechtssätze eines<lb/>
positiven Rechts sind demgemäß &#x201E;öffentliche&#x201C;, welche &#x201E;private&#x201C;? 2. Wann<lb/>
ist, wo das Gesetz schweigt oder wo ein neues Gesetz gemacht werden soll,<lb/>
die eine oder die andere Regelung am Platze? Die zwei Fragen werden stets<lb/>
durcheinandergeworfen.</note>. Das wäre aber die hier zu lösende Frage: ob<lb/>
ein Satz, den der Gesetzgeber weder als öffentlich-rechtlichen,<lb/>
noch als privatrechtlichen charakterisiert hat, in diesem oder<lb/>
jenem Sinn auszulegen, d. h. zu ergänzen ist, was nur noch sach-<lb/>
lichen Erwägungen geschehen kann (vgl. unten S. 22 ff.).</p><lb/>
            <p>Unsere Aufgabe ist es also nicht, in allgemein gültiger Weise,<lb/>
wie es oft versucht wird, zu entscheiden, was in jeder Gesetz-<lb/>
gebung als öffentliches und was als privates Recht behandelt<lb/>
werden <hi rendition="#g">soll,</hi> also auch nicht, ob ein einzelner Rechtssatz richtiger-<lb/>
weise als öffentlicher oder als privater aufzustellen sei, sei es vom<lb/>
Gesetzgeber, der das Gesetz macht, sei es vom Richter, der das<lb/>
Gesetz, wo es lückenhaft ist, zu ergänzen hat, sondern bloß klar-<lb/>
zustellen, welche <hi rendition="#g">Frage</hi> zu beantworten, d. h. welches sachliche<lb/>
Problem zu lösen ist. Das ist das Problem der <hi rendition="#b">Abgrenzung zwi-<lb/>
schen gesetzlichem</hi> (abschließendem) <hi rendition="#b">Gebot und privater Willkür.</hi><lb/>
Dieser Gesichtspunkt bezeichnet die Frage, für welche der Ge-<lb/>
gensatz des öffentlichen und privaten Rechts in Betracht kommt<note place="foot" n="2"><hi rendition="#g">Thöl,</hi> Einleitung in das deutsche Privatrecht (1851) 119, sagt von<lb/>
den privatrechtlichen Sätzen: &#x201E;Dieses ihr Verhältnis zur Privatwillkür<lb/>
(d. h. dem Privatwillen zu weichen) ist ihr recht eigentlicher privatrecht-<lb/>
licher Charakter.&#x201C; Zustimmend: <hi rendition="#g">Streit</hi> in der Festgabe für F. <hi rendition="#g">Fleiner</hi><lb/>
(1927) 339.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Aufgabe einer rechtstheoretischen Untersuchung, wie die<lb/>
vorliegende, ist es nun nicht, zu zeigen, wie das Problem allgemein-<lb/>
gültig und für jede Gesetzgebung gelöst werden soll, sondern was<lb/>
es umfaßt, welche Fragen zu beantworten sind, damit die Lösung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0031] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. delegiert werden könne. Und ebensowenig folgt aus den Be- griffen des öffentlichen bzw. des privaten Rechts (auch wenn sie klar bestimmt sein sollten), welche Rechtsverhältnisse durch öffentlich-rechtliche Normen und welche durch privatrechtliche zu ordnen sind 1. Das wäre aber die hier zu lösende Frage: ob ein Satz, den der Gesetzgeber weder als öffentlich-rechtlichen, noch als privatrechtlichen charakterisiert hat, in diesem oder jenem Sinn auszulegen, d. h. zu ergänzen ist, was nur noch sach- lichen Erwägungen geschehen kann (vgl. unten S. 22 ff.). Unsere Aufgabe ist es also nicht, in allgemein gültiger Weise, wie es oft versucht wird, zu entscheiden, was in jeder Gesetz- gebung als öffentliches und was als privates Recht behandelt werden soll, also auch nicht, ob ein einzelner Rechtssatz richtiger- weise als öffentlicher oder als privater aufzustellen sei, sei es vom Gesetzgeber, der das Gesetz macht, sei es vom Richter, der das Gesetz, wo es lückenhaft ist, zu ergänzen hat, sondern bloß klar- zustellen, welche Frage zu beantworten, d. h. welches sachliche Problem zu lösen ist. Das ist das Problem der Abgrenzung zwi- schen gesetzlichem (abschließendem) Gebot und privater Willkür. Dieser Gesichtspunkt bezeichnet die Frage, für welche der Ge- gensatz des öffentlichen und privaten Rechts in Betracht kommt 2. Die Aufgabe einer rechtstheoretischen Untersuchung, wie die vorliegende, ist es nun nicht, zu zeigen, wie das Problem allgemein- gültig und für jede Gesetzgebung gelöst werden soll, sondern was es umfaßt, welche Fragen zu beantworten sind, damit die Lösung 1 Wenn also bestimmt wird, daß Rechtssätze gewisser Art öffentlich- rechtliche sind, so folgt daraus in keiner Weise, wann solche Rechtssätze oder wann im Gegenteil privatrechtliche zur Anwendung zu kommen haben; z. B. in den Fällen, wo der Gesetzgeber es nicht gesagt hat. Man muß vielmehr wohl unterscheiden die zwei Fragen: 1. Wodurch unterscheiden sich „öffentliches“ und „privates“ Recht? und welche Rechtssätze eines positiven Rechts sind demgemäß „öffentliche“, welche „private“? 2. Wann ist, wo das Gesetz schweigt oder wo ein neues Gesetz gemacht werden soll, die eine oder die andere Regelung am Platze? Die zwei Fragen werden stets durcheinandergeworfen. 2 Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht (1851) 119, sagt von den privatrechtlichen Sätzen: „Dieses ihr Verhältnis zur Privatwillkür (d. h. dem Privatwillen zu weichen) ist ihr recht eigentlicher privatrecht- licher Charakter.“ Zustimmend: Streit in der Festgabe für F. Fleiner (1927) 339.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/31
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/31>, abgerufen am 23.11.2024.