rechts, der allgemeinverbindlichen Rechtssätze, zu deren Auf- stellung die staatliche Organisation berufen ist, und nicht der Zu- ständigkeitsnormen, welche die Organisation des Staates aus- machen.
Von einem abgestuften und sich gegenseitig bedingenden Verhältnis kann man sprechen bei der delegierten Gesetzgebungs- kompetenz: wenn (worüber das positive Recht zu entscheiden hat) der Gesetzgeber seine rechtssetzende Befugnis auf eine andere Behörde übertragen kann, z. B. das Parlament auf die Regierung, und diese auf den Regierungsstatthalter. In solchem Falle beruht allerdings die Rechtssetzungskompetenz des Regierungsstatthalters auf der der Regierung und die der Regierung wiederum auf der des Parlamentes. Die Zuständigkeit jedes Gliedes der Kette bildet die Voraussetzung der folgenden, und die letzte Zuständigkeit ist insofern eine mittelbare Anwendung auch der ersten Zuständig- keitsnorm. Der Letztermächtigte, der Regierungsstatthalter, kann seine Zuständigkeit (den betreffenden Rechtssatz zu erlassen) nicht feststellen, ohne die Zuständigkeit der ihn ermächtigenden Behörde, der Regierung, festgestellt zu haben, bis hinauf zur verfassungs- mäßigen Zuständigkeit des Parlamentes.
Aber diese Beobachtung eben führt uns auf den Gegensatz zwischen Zuständigkeits- und Verhaltungsnormen. Stufen der Zuständigkeit in derselben Sache kann man wohl unterscheiden; aber man kann nicht von der Anwendung der Zuständigkeits- norm sprechen im gleichen Sinn, wie wir von der Anwendung der Verhaltungsnormen gesprochen haben. Die (logisch) erste Aufgabe des Staates, das war unser Ausgangspunkt, ist, zu Handen der Mit- glieder der Rechtsgemeinschaft, die Normen ihres Verhaltens auf- zustellen; die zweite Aufgabe ist, diese Normen anzuwenden, beides in einer für sie, die Mitglieder der Gemeinschaft, verbindlichen Weise. Mit der Anwendung erklärt die hiezu berufene Behörde, verbindlich für die Privaten, daß die im Gesetz abstrakt umschrie- benen Voraussetzungen einer Verpflichtung in concreto gegeben sind. Die Verbindlichkeit dieser Erklärung setzt die Zuständigkeit der erklärenden Behörde voraus. Aber die Norm, welche diese Zuständigkeit begründet, läßt sich nicht selbst wieder in dieser Weise anwenden, wie die materielle Norm angewendet wird.
Wenn nämlich die rechtssetzende Behörde, z. B. die (eine
Die Rechtsanwendung.
rechts, der allgemeinverbindlichen Rechtssätze, zu deren Auf- stellung die staatliche Organisation berufen ist, und nicht der Zu- ständigkeitsnormen, welche die Organisation des Staates aus- machen.
Von einem abgestuften und sich gegenseitig bedingenden Verhältnis kann man sprechen bei der delegierten Gesetzgebungs- kompetenz: wenn (worüber das positive Recht zu entscheiden hat) der Gesetzgeber seine rechtssetzende Befugnis auf eine andere Behörde übertragen kann, z. B. das Parlament auf die Regierung, und diese auf den Regierungsstatthalter. In solchem Falle beruht allerdings die Rechtssetzungskompetenz des Regierungsstatthalters auf der der Regierung und die der Regierung wiederum auf der des Parlamentes. Die Zuständigkeit jedes Gliedes der Kette bildet die Voraussetzung der folgenden, und die letzte Zuständigkeit ist insofern eine mittelbare Anwendung auch der ersten Zuständig- keitsnorm. Der Letztermächtigte, der Regierungsstatthalter, kann seine Zuständigkeit (den betreffenden Rechtssatz zu erlassen) nicht feststellen, ohne die Zuständigkeit der ihn ermächtigenden Behörde, der Regierung, festgestellt zu haben, bis hinauf zur verfassungs- mäßigen Zuständigkeit des Parlamentes.
Aber diese Beobachtung eben führt uns auf den Gegensatz zwischen Zuständigkeits- und Verhaltungsnormen. Stufen der Zuständigkeit in derselben Sache kann man wohl unterscheiden; aber man kann nicht von der Anwendung der Zuständigkeits- norm sprechen im gleichen Sinn, wie wir von der Anwendung der Verhaltungsnormen gesprochen haben. Die (logisch) erste Aufgabe des Staates, das war unser Ausgangspunkt, ist, zu Handen der Mit- glieder der Rechtsgemeinschaft, die Normen ihres Verhaltens auf- zustellen; die zweite Aufgabe ist, diese Normen anzuwenden, beides in einer für sie, die Mitglieder der Gemeinschaft, verbindlichen Weise. Mit der Anwendung erklärt die hiezu berufene Behörde, verbindlich für die Privaten, daß die im Gesetz abstrakt umschrie- benen Voraussetzungen einer Verpflichtung in concreto gegeben sind. Die Verbindlichkeit dieser Erklärung setzt die Zuständigkeit der erklärenden Behörde voraus. Aber die Norm, welche diese Zuständigkeit begründet, läßt sich nicht selbst wieder in dieser Weise anwenden, wie die materielle Norm angewendet wird.
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Die Rechtsanwendung.
rechts, der allgemeinverbindlichen Rechtssätze, zu deren Auf-
stellung die staatliche Organisation berufen ist, und nicht der Zu-
ständigkeitsnormen, welche die Organisation des Staates aus-
machen.
Von einem abgestuften und sich gegenseitig bedingenden
Verhältnis kann man sprechen bei der delegierten Gesetzgebungs-
kompetenz: wenn (worüber das positive Recht zu entscheiden hat)
der Gesetzgeber seine rechtssetzende Befugnis auf eine andere
Behörde übertragen kann, z. B. das Parlament auf die Regierung,
und diese auf den Regierungsstatthalter. In solchem Falle beruht
allerdings die Rechtssetzungskompetenz des Regierungsstatthalters
auf der der Regierung und die der Regierung wiederum auf der
des Parlamentes. Die Zuständigkeit jedes Gliedes der Kette bildet
die Voraussetzung der folgenden, und die letzte Zuständigkeit ist
insofern eine mittelbare Anwendung auch der ersten Zuständig-
keitsnorm. Der Letztermächtigte, der Regierungsstatthalter, kann
seine Zuständigkeit (den betreffenden Rechtssatz zu erlassen) nicht
feststellen, ohne die Zuständigkeit der ihn ermächtigenden Behörde,
der Regierung, festgestellt zu haben, bis hinauf zur verfassungs-
mäßigen Zuständigkeit des Parlamentes.
Aber diese Beobachtung eben führt uns auf den Gegensatz
zwischen Zuständigkeits- und Verhaltungsnormen. Stufen der
Zuständigkeit in derselben Sache kann man wohl unterscheiden;
aber man kann nicht von der Anwendung der Zuständigkeits-
norm sprechen im gleichen Sinn, wie wir von der Anwendung der
Verhaltungsnormen gesprochen haben. Die (logisch) erste Aufgabe
des Staates, das war unser Ausgangspunkt, ist, zu Handen der Mit-
glieder der Rechtsgemeinschaft, die Normen ihres Verhaltens auf-
zustellen; die zweite Aufgabe ist, diese Normen anzuwenden, beides
in einer für sie, die Mitglieder der Gemeinschaft, verbindlichen
Weise. Mit der Anwendung erklärt die hiezu berufene Behörde,
verbindlich für die Privaten, daß die im Gesetz abstrakt umschrie-
benen Voraussetzungen einer Verpflichtung in concreto gegeben
sind. Die Verbindlichkeit dieser Erklärung setzt die Zuständigkeit
der erklärenden Behörde voraus. Aber die Norm, welche diese
Zuständigkeit begründet, läßt sich nicht selbst wieder in dieser
Weise anwenden, wie die materielle Norm angewendet wird.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/282>, abgerufen am 25.11.2024.
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