Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Zwingendes und nichtzwingendes Recht. nur für Streitigkeiten aus dem Gebiete des Privatrechts zuständigsind. Zur Anwendung der Normen des öffentlichen Rechts sind (abgesehen von den Strafgerichten) in der Regel die Behörden der politischen und Verwaltungshierarchie berufen und, sofern ein gerichtliches Streitverfahren vorgesehen ist, die Verwaltungs- gerichte. In dieser Zuständigkeitsordnung namentlich unter- scheidet sich unsere kontinentale Organisation von der anglo- sächsischen1. Allein diese Eigenart des Rechtsschutzes auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes ist nur die sekundäre Folge der Eigenart des Rechtsgebietes selbst, das Verfahren des Zivilprozesses, und die dazu eingesetzten Gerichte eignen sich nach unserer Auf- fassung nicht zur Durchführung von bestrittenen Ansprüchen des öffentlichen Rechtes, weil diese Ansprüche selbst anderer Art sind, weil die materiellen Normen des öffentlichen Rechts wesent- lich verschieden sind von denen des Privatrechts. Was macht nun aber den grundsätzlichen Unterschied zwi- Die Frage ist schon unzählige Male gestellt und auf die mannig- 1 Vgl. Dicey, Introduction a l'Etude du droit constitutionnel, trad. Batut et Jeze (Paris 1902) 294 ss. Goodnow, Les principes du droit ad- ministratif des Etats-Unis, trad. A. et G. Jeze (Paris 1907) 52 ss., 420 ss., 425. 2 J. Holliger hat diese Antworten bis zum Jahre 1904 zusammen- gestellt in nicht weniger als 17 Theorien. His, Zeitschrift für schweizerisches Recht 65 355, sagt nicht mit Unrecht, es sei heute vielleicht die schwierigste Frage der praktischen Jurisprudenz, eine der schwierigsten jedenfalls. Vgl. von der neueren Literatur etwa: A. Merkel (Rud. Merkel), Juristische Enzyklopädie, 4. A., Berlin 1909, § 84 ff.; Bierling, Juristische Prinzipien- lehre 1 (1894) 312 ff.; Felix Somlo, Juristische Grundlehre (Leipzig 1917) 485 ff.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., 383 ff.; Schelcher, Justiz und Verwaltung (1919, Erg.-Heft zu Fischers Zeitschrift 50) 145 ff.; E. Roguin, La science juridique pure 3 (1903) 1 ss. 3 Das ist wohl das Gefühl einer Reihe neuerer Schriftsteller, die die
Unterscheidung zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht ablehnen. Wey, Zum Problem eines einheitlichen Rechtssystems, Archiv für öffent- liches Recht 23 (1908) 529 ff., hält die Unterscheidung für undurchführbar Zwingendes und nichtzwingendes Recht. nur für Streitigkeiten aus dem Gebiete des Privatrechts zuständigsind. Zur Anwendung der Normen des öffentlichen Rechts sind (abgesehen von den Strafgerichten) in der Regel die Behörden der politischen und Verwaltungshierarchie berufen und, sofern ein gerichtliches Streitverfahren vorgesehen ist, die Verwaltungs- gerichte. In dieser Zuständigkeitsordnung namentlich unter- scheidet sich unsere kontinentale Organisation von der anglo- sächsischen1. Allein diese Eigenart des Rechtsschutzes auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes ist nur die sekundäre Folge der Eigenart des Rechtsgebietes selbst, das Verfahren des Zivilprozesses, und die dazu eingesetzten Gerichte eignen sich nach unserer Auf- fassung nicht zur Durchführung von bestrittenen Ansprüchen des öffentlichen Rechtes, weil diese Ansprüche selbst anderer Art sind, weil die materiellen Normen des öffentlichen Rechts wesent- lich verschieden sind von denen des Privatrechts. Was macht nun aber den grundsätzlichen Unterschied zwi- Die Frage ist schon unzählige Male gestellt und auf die mannig- 1 Vgl. Dicey, Introduction à l'Étude du droit constitutionnel, trad. Batut et Jèze (Paris 1902) 294 ss. Goodnow, Les principes du droit ad- ministratif des Etats-Unis, trad. A. et G. Jèze (Paris 1907) 52 ss., 420 ss., 425. 2 J. Holliger hat diese Antworten bis zum Jahre 1904 zusammen- gestellt in nicht weniger als 17 Theorien. His, Zeitschrift für schweizerisches Recht 65 355, sagt nicht mit Unrecht, es sei heute vielleicht die schwierigste Frage der praktischen Jurisprudenz, eine der schwierigsten jedenfalls. Vgl. von der neueren Literatur etwa: A. Merkel (Rud. Merkel), Juristische Enzyklopädie, 4. A., Berlin 1909, § 84 ff.; Bierling, Juristische Prinzipien- lehre 1 (1894) 312 ff.; Felix Somlò, Juristische Grundlehre (Leipzig 1917) 485 ff.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., 383 ff.; Schelcher, Justiz und Verwaltung (1919, Erg.-Heft zu Fischers Zeitschrift 50) 145 ff.; E. Roguin, La science juridique pure 3 (1903) 1 ss. 3 Das ist wohl das Gefühl einer Reihe neuerer Schriftsteller, die die
Unterscheidung zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht ablehnen. Wey, Zum Problem eines einheitlichen Rechtssystems, Archiv für öffent- liches Recht 23 (1908) 529 ff., hält die Unterscheidung für undurchführbar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0026" n="11"/><fw place="top" type="header">Zwingendes und nichtzwingendes Recht.</fw><lb/> nur für Streitigkeiten aus dem Gebiete des Privatrechts zuständig<lb/> sind. Zur Anwendung der Normen des öffentlichen Rechts sind<lb/> (abgesehen von den Strafgerichten) in der Regel die Behörden der<lb/> politischen und Verwaltungshierarchie berufen und, sofern ein<lb/> gerichtliches Streitverfahren vorgesehen ist, die Verwaltungs-<lb/> gerichte. In dieser Zuständigkeitsordnung namentlich unter-<lb/> scheidet sich unsere kontinentale Organisation von der anglo-<lb/> sächsischen<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#g">Dicey,</hi> Introduction à l'Étude du droit constitutionnel, trad.<lb/> Batut et Jèze (Paris 1902) 294 ss. <hi rendition="#g">Goodnow,</hi> Les principes du droit ad-<lb/> ministratif des Etats-Unis, trad. A. et G. Jèze (Paris 1907) 52 ss., 420 ss., 425.</note>. Allein diese Eigenart des Rechtsschutzes auf dem<lb/> Gebiete des öffentlichen Rechtes ist nur die sekundäre Folge der<lb/> Eigenart des Rechtsgebietes selbst, das Verfahren des Zivilprozesses,<lb/> und die dazu eingesetzten Gerichte eignen sich nach unserer Auf-<lb/> fassung nicht zur Durchführung von bestrittenen Ansprüchen des<lb/> öffentlichen Rechtes, weil diese Ansprüche selbst anderer Art<lb/> sind, weil die materiellen Normen des öffentlichen Rechts wesent-<lb/> lich verschieden sind von denen des Privatrechts.</p><lb/> <p>Was macht nun aber den grundsätzlichen Unterschied zwi-<lb/> schen dem öffentlichen und dem privaten Rechte aus?</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#b">Frage</hi> ist schon unzählige Male gestellt und auf die mannig-<lb/> fachste Weise beantwortet worden<note place="foot" n="2">J. <hi rendition="#g">Holliger</hi> hat diese Antworten bis zum Jahre 1904 zusammen-<lb/> gestellt in nicht weniger als 17 Theorien. <hi rendition="#g">His,</hi> Zeitschrift für schweizerisches<lb/> Recht <hi rendition="#b">65</hi> 355, sagt nicht mit Unrecht, es sei heute vielleicht die schwierigste<lb/> Frage der praktischen Jurisprudenz, eine der schwierigsten jedenfalls.<lb/> Vgl. von der neueren Literatur etwa: A. <hi rendition="#g">Merkel</hi> (Rud. Merkel), Juristische<lb/> Enzyklopädie, 4. A., Berlin 1909, § 84 ff.; <hi rendition="#g">Bierling,</hi> Juristische Prinzipien-<lb/> lehre <hi rendition="#b">1</hi> (1894) 312 ff.; <hi rendition="#g">Felix Somlò,</hi> Juristische Grundlehre (Leipzig 1917)<lb/> 485 ff.; G. <hi rendition="#g">Jellinek,</hi> Allgemeine Staatslehre, 3. A., 383 ff.; <hi rendition="#g">Schelcher,</hi><lb/> Justiz und Verwaltung (1919, Erg.-Heft zu Fischers Zeitschrift <hi rendition="#b">50</hi>) 145 ff.;<lb/> E. <hi rendition="#g">Roguin,</hi> La science juridique pure <hi rendition="#b">3</hi> (1903) 1 ss.</note>, ohne daß sich eine Meinung<lb/> allgemein durchgesetzt hätte, so daß heute die Unterscheidung<lb/> selbst angefochten wird und nicht wenige Schriftsteller behaupten,<lb/> es gebe keinen Unterschied zwischen öffentlichem und privatem<lb/> Recht, und die bisherige Lehre sei scholastisch-doktrinär<note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="3">Das ist wohl das Gefühl einer Reihe neuerer Schriftsteller, die die<lb/> Unterscheidung zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht ablehnen.<lb/><hi rendition="#g">Wey,</hi> Zum Problem eines einheitlichen Rechtssystems, Archiv für öffent-<lb/> liches Recht <hi rendition="#b">23</hi> (1908) 529 ff., hält die Unterscheidung für undurchführbar</note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0026]
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
nur für Streitigkeiten aus dem Gebiete des Privatrechts zuständig
sind. Zur Anwendung der Normen des öffentlichen Rechts sind
(abgesehen von den Strafgerichten) in der Regel die Behörden der
politischen und Verwaltungshierarchie berufen und, sofern ein
gerichtliches Streitverfahren vorgesehen ist, die Verwaltungs-
gerichte. In dieser Zuständigkeitsordnung namentlich unter-
scheidet sich unsere kontinentale Organisation von der anglo-
sächsischen 1. Allein diese Eigenart des Rechtsschutzes auf dem
Gebiete des öffentlichen Rechtes ist nur die sekundäre Folge der
Eigenart des Rechtsgebietes selbst, das Verfahren des Zivilprozesses,
und die dazu eingesetzten Gerichte eignen sich nach unserer Auf-
fassung nicht zur Durchführung von bestrittenen Ansprüchen des
öffentlichen Rechtes, weil diese Ansprüche selbst anderer Art
sind, weil die materiellen Normen des öffentlichen Rechts wesent-
lich verschieden sind von denen des Privatrechts.
Was macht nun aber den grundsätzlichen Unterschied zwi-
schen dem öffentlichen und dem privaten Rechte aus?
Die Frage ist schon unzählige Male gestellt und auf die mannig-
fachste Weise beantwortet worden 2, ohne daß sich eine Meinung
allgemein durchgesetzt hätte, so daß heute die Unterscheidung
selbst angefochten wird und nicht wenige Schriftsteller behaupten,
es gebe keinen Unterschied zwischen öffentlichem und privatem
Recht, und die bisherige Lehre sei scholastisch-doktrinär 3.
1 Vgl. Dicey, Introduction à l'Étude du droit constitutionnel, trad.
Batut et Jèze (Paris 1902) 294 ss. Goodnow, Les principes du droit ad-
ministratif des Etats-Unis, trad. A. et G. Jèze (Paris 1907) 52 ss., 420 ss., 425.
2 J. Holliger hat diese Antworten bis zum Jahre 1904 zusammen-
gestellt in nicht weniger als 17 Theorien. His, Zeitschrift für schweizerisches
Recht 65 355, sagt nicht mit Unrecht, es sei heute vielleicht die schwierigste
Frage der praktischen Jurisprudenz, eine der schwierigsten jedenfalls.
Vgl. von der neueren Literatur etwa: A. Merkel (Rud. Merkel), Juristische
Enzyklopädie, 4. A., Berlin 1909, § 84 ff.; Bierling, Juristische Prinzipien-
lehre 1 (1894) 312 ff.; Felix Somlò, Juristische Grundlehre (Leipzig 1917)
485 ff.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., 383 ff.; Schelcher,
Justiz und Verwaltung (1919, Erg.-Heft zu Fischers Zeitschrift 50) 145 ff.;
E. Roguin, La science juridique pure 3 (1903) 1 ss.
3 Das ist wohl das Gefühl einer Reihe neuerer Schriftsteller, die die
Unterscheidung zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht ablehnen.
Wey, Zum Problem eines einheitlichen Rechtssystems, Archiv für öffent-
liches Recht 23 (1908) 529 ff., hält die Unterscheidung für undurchführbar
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