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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Leistung der staatlichen Organisation.
privaten und im staatlichen Verband, aber doch wesentlich ver-
schieden: dort sollen subjektive Zwecke, hier soll die Rechtsidee
selbst verwirklicht werden, beides in rechtlichen Formen; hier in
den Formen des objektiven, zwingenden Rechts, dort in den Formen
des subjektiven, der Privatverfügung unterliegenden Rechtsverhält-
nisses. Die eine Arbeit muß notwendig geleistet werden und
beansprucht, wenn geleistet, unbedingte Geltung; die andere kann
nur geleistet werden, sofern das objektive Recht solchen Privat-
organisationen Raum läßt, und sie hat nur (durch dieses Recht) be-
dingte Geltung. Es empfiehlt sich daher, sich zuerst der überall not-
wendigen staatlichen Organisation zuzuwenden und zu untersuchen,
was sie notwendigerweise, ihrer Bestimmung gemäß, zu leisten hat.

Die Aufgabe der staatlichen Organisation ist die Verwirk-
lichung der Rechtsidee1. Dazu gehört (wie schon S. 178 bemerkt)
dreierlei: die Aufstellung von Rechtssätzen, die in ihrer planmäßigen
Einheit eine Rechtsordnung bilden, die Anwendung der Rechts-
sätze auf die konkreten Fälle und die Erzwingung dieser konkreten
Anordnungen. Alle drei Aufgaben müssen übernommen und er-
füllt werden, wenn das Postulat der rechtlichen Ordnung der Ge-
sellschaft befolgt sein soll; die Rechtsidee, d. h. die Richtlinie der
Gerechtigkeit allein genügt nicht, auch wenn sie von allen Ange-
hörigen der Gesellschaft anerkannt würde; es muß noch in ausge-
führten Regeln entwickelt werden, was für die gegebene Gesell-
schaft unter den gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen das
Gerechte ist. Rechtssätze allein aber genügen ebensowenig; sie
aufzustellen hat keinen Sinn, wenn sie nicht im gegebenen Fall
durchgesetzt, erzwungen werden, und die Erzwingung setzt voraus,
daß vorher verbindlich festgestellt worden ist, daß der abstrakte
Rechtssatz unter den gegebenen Umständen anwendbar ist (vgl.
oben S. 125). Beides wiederum, die Satzung des Rechts und seine
Anwendung, blieben ein bloßes Gedankenspiel, wenn ihnen nicht
die Vollstreckung, die Erzwingung des als rechtmäßig Erkannten
folgte2. Auf den Zwang hin zielt also die ganze Einrichtung der
staatlichen Organisation und des positiven Rechts. Aber nicht

1 v. Hertling, Recht, Staat und Gesellschaft (1907) 74, 84.
2 Das Wesen des Rechts ist praktische "Verwirklichung", vgl. Jhering,
Der Kampf ums Recht, 12. A. (1895) 47. Vgl. Hagens, Staat, Recht und
Völkerrecht (1890) 18.

Die Leistung der staatlichen Organisation.
privaten und im staatlichen Verband, aber doch wesentlich ver-
schieden: dort sollen subjektive Zwecke, hier soll die Rechtsidee
selbst verwirklicht werden, beides in rechtlichen Formen; hier in
den Formen des objektiven, zwingenden Rechts, dort in den Formen
des subjektiven, der Privatverfügung unterliegenden Rechtsverhält-
nisses. Die eine Arbeit muß notwendig geleistet werden und
beansprucht, wenn geleistet, unbedingte Geltung; die andere kann
nur geleistet werden, sofern das objektive Recht solchen Privat-
organisationen Raum läßt, und sie hat nur (durch dieses Recht) be-
dingte Geltung. Es empfiehlt sich daher, sich zuerst der überall not-
wendigen staatlichen Organisation zuzuwenden und zu untersuchen,
was sie notwendigerweise, ihrer Bestimmung gemäß, zu leisten hat.

Die Aufgabe der staatlichen Organisation ist die Verwirk-
lichung der Rechtsidee1. Dazu gehört (wie schon S. 178 bemerkt)
dreierlei: die Aufstellung von Rechtssätzen, die in ihrer planmäßigen
Einheit eine Rechtsordnung bilden, die Anwendung der Rechts-
sätze auf die konkreten Fälle und die Erzwingung dieser konkreten
Anordnungen. Alle drei Aufgaben müssen übernommen und er-
füllt werden, wenn das Postulat der rechtlichen Ordnung der Ge-
sellschaft befolgt sein soll; die Rechtsidee, d. h. die Richtlinie der
Gerechtigkeit allein genügt nicht, auch wenn sie von allen Ange-
hörigen der Gesellschaft anerkannt würde; es muß noch in ausge-
führten Regeln entwickelt werden, was für die gegebene Gesell-
schaft unter den gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen das
Gerechte ist. Rechtssätze allein aber genügen ebensowenig; sie
aufzustellen hat keinen Sinn, wenn sie nicht im gegebenen Fall
durchgesetzt, erzwungen werden, und die Erzwingung setzt voraus,
daß vorher verbindlich festgestellt worden ist, daß der abstrakte
Rechtssatz unter den gegebenen Umständen anwendbar ist (vgl.
oben S. 125). Beides wiederum, die Satzung des Rechts und seine
Anwendung, blieben ein bloßes Gedankenspiel, wenn ihnen nicht
die Vollstreckung, die Erzwingung des als rechtmäßig Erkannten
folgte2. Auf den Zwang hin zielt also die ganze Einrichtung der
staatlichen Organisation und des positiven Rechts. Aber nicht

1 v. Hertling, Recht, Staat und Gesellschaft (1907) 74, 84.
2 Das Wesen des Rechts ist praktische „Verwirklichung“, vgl. Jhering,
Der Kampf ums Recht, 12. A. (1895) 47. Vgl. Hagens, Staat, Recht und
Völkerrecht (1890) 18.
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[235/0250] Die Leistung der staatlichen Organisation. privaten und im staatlichen Verband, aber doch wesentlich ver- schieden: dort sollen subjektive Zwecke, hier soll die Rechtsidee selbst verwirklicht werden, beides in rechtlichen Formen; hier in den Formen des objektiven, zwingenden Rechts, dort in den Formen des subjektiven, der Privatverfügung unterliegenden Rechtsverhält- nisses. Die eine Arbeit muß notwendig geleistet werden und beansprucht, wenn geleistet, unbedingte Geltung; die andere kann nur geleistet werden, sofern das objektive Recht solchen Privat- organisationen Raum läßt, und sie hat nur (durch dieses Recht) be- dingte Geltung. Es empfiehlt sich daher, sich zuerst der überall not- wendigen staatlichen Organisation zuzuwenden und zu untersuchen, was sie notwendigerweise, ihrer Bestimmung gemäß, zu leisten hat. Die Aufgabe der staatlichen Organisation ist die Verwirk- lichung der Rechtsidee 1. Dazu gehört (wie schon S. 178 bemerkt) dreierlei: die Aufstellung von Rechtssätzen, die in ihrer planmäßigen Einheit eine Rechtsordnung bilden, die Anwendung der Rechts- sätze auf die konkreten Fälle und die Erzwingung dieser konkreten Anordnungen. Alle drei Aufgaben müssen übernommen und er- füllt werden, wenn das Postulat der rechtlichen Ordnung der Ge- sellschaft befolgt sein soll; die Rechtsidee, d. h. die Richtlinie der Gerechtigkeit allein genügt nicht, auch wenn sie von allen Ange- hörigen der Gesellschaft anerkannt würde; es muß noch in ausge- führten Regeln entwickelt werden, was für die gegebene Gesell- schaft unter den gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen das Gerechte ist. Rechtssätze allein aber genügen ebensowenig; sie aufzustellen hat keinen Sinn, wenn sie nicht im gegebenen Fall durchgesetzt, erzwungen werden, und die Erzwingung setzt voraus, daß vorher verbindlich festgestellt worden ist, daß der abstrakte Rechtssatz unter den gegebenen Umständen anwendbar ist (vgl. oben S. 125). Beides wiederum, die Satzung des Rechts und seine Anwendung, blieben ein bloßes Gedankenspiel, wenn ihnen nicht die Vollstreckung, die Erzwingung des als rechtmäßig Erkannten folgte 2. Auf den Zwang hin zielt also die ganze Einrichtung der staatlichen Organisation und des positiven Rechts. Aber nicht 1 v. Hertling, Recht, Staat und Gesellschaft (1907) 74, 84. 2 Das Wesen des Rechts ist praktische „Verwirklichung“, vgl. Jhering, Der Kampf ums Recht, 12. A. (1895) 47. Vgl. Hagens, Staat, Recht und Völkerrecht (1890) 18.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/250>, abgerufen am 24.11.2024.