Verfassung zu machen, kann sie ihm niemand geben, auch nicht die Verfassung selbst, wie wir gesehen haben.
Dasselbe Bedenken richtet sich aber auch gegen die monar- chistische Lehre. Die rechtmäßige Verfassung soll, in monarchi- schen Staaten, aus der Machtvollkommenheit des Landesherrn geflossen sein und auf der Grundlage des primär unbeschränkten Herrscherrechts beruhen. Daß der Wille des vordem unbeschränkt herrschenden Monarchen in vielen Fällen eine wesentliche Be- dingung der Entstehung der "Konstitution" gewesen ist, ist geschichtlich richtig. Logisch aber kann die einmal als geltend gedachte neue Verfassung nicht aus dem Willen des Monarchen abgeleitet werden: sie gilt nicht, weil und solange der Monarch es will; denn der Monarch ist nun selbst ein verfassungsmäßiges Organ des Staates; er ist nur Monarch, weil und solange die Ver- fassung es bestimmt. Man müßte sonst wiederum vor der Verfas- sung ein Urrecht des Monarchen (oder seines Hauses) annehmen kraft eines überverfassungsrechtlichen Rechtssatzes, der seiner- seits der Begründung bedürfte, eines Rechtssatzes, kraft dessen der Monarch die Verfassung, die er gegeben hat, wieder zurücknehmen könnte, was allerdings vielfach von der legitimistischen Lehre beansprucht worden ist, aber die "Verfassung" zu etwas anderem machen würde als das Grundgesetz des Staates1.
Wenn die Verfassungsänderung nicht ein rechtlich geordneter Vorgang ist, sondern die Grundlage des positiven Rechts selbst angreift, so ergeben sich daraus zwei weitere Folgen, die im Vor- beigehen erwähnt werden mögen.
Zunächst, daß es gegenüber der Verfassungsrevision keine wohlerworbenen Rechte gibt. Wenn die Verfassung geändert wird, gibt es zwischen der ganzen neuen und der ganzen alten Rechtsordnung keine rechtliche Verbindung mehr. In der Tat: wenn die Verfassung geändert wird, kann auch die ganze auf der bisherigen Verfassung beruhende Rechtsordnung geändert werden und alle darauf gegründeten Rechtsverhältnisse. Keine landes- rechtliche Schranke würde den Verfassungsgeber hindern, alles bisherige Recht als nichtig zu erklären. Unzählige Male ist es auch geschehen, von der ersten französischen Verfassung, die
1 Vgl. oben S. 211, Anm. 2.
Das Verfassungsrecht.
Verfassung zu machen, kann sie ihm niemand geben, auch nicht die Verfassung selbst, wie wir gesehen haben.
Dasselbe Bedenken richtet sich aber auch gegen die monar- chistische Lehre. Die rechtmäßige Verfassung soll, in monarchi- schen Staaten, aus der Machtvollkommenheit des Landesherrn geflossen sein und auf der Grundlage des primär unbeschränkten Herrscherrechts beruhen. Daß der Wille des vordem unbeschränkt herrschenden Monarchen in vielen Fällen eine wesentliche Be- dingung der Entstehung der „Konstitution“ gewesen ist, ist geschichtlich richtig. Logisch aber kann die einmal als geltend gedachte neue Verfassung nicht aus dem Willen des Monarchen abgeleitet werden: sie gilt nicht, weil und solange der Monarch es will; denn der Monarch ist nun selbst ein verfassungsmäßiges Organ des Staates; er ist nur Monarch, weil und solange die Ver- fassung es bestimmt. Man müßte sonst wiederum vor der Verfas- sung ein Urrecht des Monarchen (oder seines Hauses) annehmen kraft eines überverfassungsrechtlichen Rechtssatzes, der seiner- seits der Begründung bedürfte, eines Rechtssatzes, kraft dessen der Monarch die Verfassung, die er gegeben hat, wieder zurücknehmen könnte, was allerdings vielfach von der legitimistischen Lehre beansprucht worden ist, aber die „Verfassung“ zu etwas anderem machen würde als das Grundgesetz des Staates1.
Wenn die Verfassungsänderung nicht ein rechtlich geordneter Vorgang ist, sondern die Grundlage des positiven Rechts selbst angreift, so ergeben sich daraus zwei weitere Folgen, die im Vor- beigehen erwähnt werden mögen.
Zunächst, daß es gegenüber der Verfassungsrevision keine wohlerworbenen Rechte gibt. Wenn die Verfassung geändert wird, gibt es zwischen der ganzen neuen und der ganzen alten Rechtsordnung keine rechtliche Verbindung mehr. In der Tat: wenn die Verfassung geändert wird, kann auch die ganze auf der bisherigen Verfassung beruhende Rechtsordnung geändert werden und alle darauf gegründeten Rechtsverhältnisse. Keine landes- rechtliche Schranke würde den Verfassungsgeber hindern, alles bisherige Recht als nichtig zu erklären. Unzählige Male ist es auch geschehen, von der ersten französischen Verfassung, die
1 Vgl. oben S. 211, Anm. 2.
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Das Verfassungsrecht.
Verfassung zu machen, kann sie ihm niemand geben, auch nicht
die Verfassung selbst, wie wir gesehen haben.
Dasselbe Bedenken richtet sich aber auch gegen die monar-
chistische Lehre. Die rechtmäßige Verfassung soll, in monarchi-
schen Staaten, aus der Machtvollkommenheit des Landesherrn
geflossen sein und auf der Grundlage des primär unbeschränkten
Herrscherrechts beruhen. Daß der Wille des vordem unbeschränkt
herrschenden Monarchen in vielen Fällen eine wesentliche Be-
dingung der Entstehung der „Konstitution“ gewesen ist, ist
geschichtlich richtig. Logisch aber kann die einmal als geltend
gedachte neue Verfassung nicht aus dem Willen des Monarchen
abgeleitet werden: sie gilt nicht, weil und solange der Monarch
es will; denn der Monarch ist nun selbst ein verfassungsmäßiges
Organ des Staates; er ist nur Monarch, weil und solange die Ver-
fassung es bestimmt. Man müßte sonst wiederum vor der Verfas-
sung ein Urrecht des Monarchen (oder seines Hauses) annehmen
kraft eines überverfassungsrechtlichen Rechtssatzes, der seiner-
seits der Begründung bedürfte, eines Rechtssatzes, kraft dessen der
Monarch die Verfassung, die er gegeben hat, wieder zurücknehmen
könnte, was allerdings vielfach von der legitimistischen Lehre
beansprucht worden ist, aber die „Verfassung“ zu etwas anderem
machen würde als das Grundgesetz des Staates 1.
Wenn die Verfassungsänderung nicht ein rechtlich geordneter
Vorgang ist, sondern die Grundlage des positiven Rechts selbst
angreift, so ergeben sich daraus zwei weitere Folgen, die im Vor-
beigehen erwähnt werden mögen.
Zunächst, daß es gegenüber der Verfassungsrevision keine
wohlerworbenen Rechte gibt. Wenn die Verfassung geändert
wird, gibt es zwischen der ganzen neuen und der ganzen alten
Rechtsordnung keine rechtliche Verbindung mehr. In der Tat:
wenn die Verfassung geändert wird, kann auch die ganze auf der
bisherigen Verfassung beruhende Rechtsordnung geändert werden
und alle darauf gegründeten Rechtsverhältnisse. Keine landes-
rechtliche Schranke würde den Verfassungsgeber hindern, alles
bisherige Recht als nichtig zu erklären. Unzählige Male ist es
auch geschehen, von der ersten französischen Verfassung, die
1 Vgl. oben S. 211, Anm. 2.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/234>, abgerufen am 28.11.2024.
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