fassung unterstützen, ist kein sachlicher Grund, sie gelten zu lassen; aber es ist unter Umständen ein politischer Grund, näm- lich ein Indiz der Notwendigkeit, sich dieser Lösung anzuschließen. Wenn keine andere Verfassung Aussicht hat, die erforderliche Unterstützung zu finden, und wenn diese Verfassung inhaltlich annehmbar ist, wird sich der Gegner ihr anschließen, d. h. sie als das nun geltende Recht betrachten müssen; er wird gut daran tun; er wird klug handeln. Aber die Berechtigung, ihn auf die neue Rechtsordnung zu verpflichten, werden die Anhänger dieser Ordnung nie daraus ableiten können, daß sie sich ihr angeschlossen haben; denn die Gegner bestreiten ihnen ja eben die Begründetheit dieses Schrittes.
Es gibt in der Tat keine Lösung dieser Frage. Daß das posi- tive Recht, das Recht, welches gerade gilt, auch das gerechte oder doch denkbar gerechteste sei, ist keineswegs gesagt; oder ge- nauer: es ist mit dem Begriff der Geltung nicht notwendig gegeben. Es bleibt immer eine offene Frage, ob das Recht, das tatsächlich gilt, auch Anspruch auf Geltung habe. Es kann ja auch ungerechtes, schlechtes Recht gelten. Die Positivität des Rechts bringt eben diesen Gegensatz des zufällig geltenden zum gerechterweise gelten- sollenden, des geschichtlich gegebenen zum vernünftig geforderten Recht zum Ausdruck. Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, alles, was geschieht, zu erklären; ist das Wirkliche widerspruchs- voll, so muß sie diesen Widerspruch auch ehrlich anerkennen, und wenn es ihren eigenen Wert (den Wert der Wissenschaft vom positiven Recht) herabsetzen sollte. Ihre Aufgabe ist nur, verständlich zu machen, weshalb der Widerspruch nicht zu über- winden ist. Das ist die hier gegebene Lage; und wer sie nicht anerkennt, wie sie ist, opfert entweder das positive Recht oder die Gerechtigkeit: Denn entweder erklärt er nur das Gerechte für geltend und verbindlich, dann ist ein positives Recht überhaupt nicht möglich; oder er erklärt alles positive Recht als das sachlich gerechte, dann verschließt er der Vernunft den Mund. Eines so unmöglich wie das andere. Wir aber sagen: Es besteht zwar keine Gewähr dafür, daß stets das gerechte Recht gelte; aber welches auch immer gelte: die Berufung auf die Vernunft, die Kritik bleibt immer offen; dem Ungerechten muß man sich im äußeren Ver- halten oft beugen; aber ungebeugt bleibt die Forderung des Ge-
Die Geltung des Rechts.
fassung unterstützen, ist kein sachlicher Grund, sie gelten zu lassen; aber es ist unter Umständen ein politischer Grund, näm- lich ein Indiz der Notwendigkeit, sich dieser Lösung anzuschließen. Wenn keine andere Verfassung Aussicht hat, die erforderliche Unterstützung zu finden, und wenn diese Verfassung inhaltlich annehmbar ist, wird sich der Gegner ihr anschließen, d. h. sie als das nun geltende Recht betrachten müssen; er wird gut daran tun; er wird klug handeln. Aber die Berechtigung, ihn auf die neue Rechtsordnung zu verpflichten, werden die Anhänger dieser Ordnung nie daraus ableiten können, daß sie sich ihr angeschlossen haben; denn die Gegner bestreiten ihnen ja eben die Begründetheit dieses Schrittes.
Es gibt in der Tat keine Lösung dieser Frage. Daß das posi- tive Recht, das Recht, welches gerade gilt, auch das gerechte oder doch denkbar gerechteste sei, ist keineswegs gesagt; oder ge- nauer: es ist mit dem Begriff der Geltung nicht notwendig gegeben. Es bleibt immer eine offene Frage, ob das Recht, das tatsächlich gilt, auch Anspruch auf Geltung habe. Es kann ja auch ungerechtes, schlechtes Recht gelten. Die Positivität des Rechts bringt eben diesen Gegensatz des zufällig geltenden zum gerechterweise gelten- sollenden, des geschichtlich gegebenen zum vernünftig geforderten Recht zum Ausdruck. Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, alles, was geschieht, zu erklären; ist das Wirkliche widerspruchs- voll, so muß sie diesen Widerspruch auch ehrlich anerkennen, und wenn es ihren eigenen Wert (den Wert der Wissenschaft vom positiven Recht) herabsetzen sollte. Ihre Aufgabe ist nur, verständlich zu machen, weshalb der Widerspruch nicht zu über- winden ist. Das ist die hier gegebene Lage; und wer sie nicht anerkennt, wie sie ist, opfert entweder das positive Recht oder die Gerechtigkeit: Denn entweder erklärt er nur das Gerechte für geltend und verbindlich, dann ist ein positives Recht überhaupt nicht möglich; oder er erklärt alles positive Recht als das sachlich gerechte, dann verschließt er der Vernunft den Mund. Eines so unmöglich wie das andere. Wir aber sagen: Es besteht zwar keine Gewähr dafür, daß stets das gerechte Recht gelte; aber welches auch immer gelte: die Berufung auf die Vernunft, die Kritik bleibt immer offen; dem Ungerechten muß man sich im äußeren Ver- halten oft beugen; aber ungebeugt bleibt die Forderung des Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0202"n="187"/><fwplace="top"type="header">Die Geltung des Rechts.</fw><lb/>
fassung unterstützen, ist kein sachlicher Grund, sie gelten zu<lb/>
lassen; aber es ist unter Umständen ein politischer Grund, näm-<lb/>
lich ein Indiz der Notwendigkeit, sich dieser Lösung anzuschließen.<lb/>
Wenn keine andere Verfassung Aussicht hat, die erforderliche<lb/>
Unterstützung zu finden, und wenn diese Verfassung inhaltlich<lb/>
annehmbar ist, wird sich der Gegner ihr anschließen, d. h. sie als<lb/>
das nun geltende Recht betrachten müssen; er wird gut daran<lb/>
tun; er wird klug handeln. Aber die <hirendition="#g">Berechtigung,</hi> ihn auf die<lb/>
neue Rechtsordnung zu verpflichten, werden die Anhänger dieser<lb/>
Ordnung nie daraus ableiten können, daß <hirendition="#g">sie</hi> sich ihr angeschlossen<lb/>
haben; denn die Gegner bestreiten ihnen ja eben die Begründetheit<lb/>
dieses Schrittes.</p><lb/><p>Es gibt in der Tat keine Lösung dieser Frage. Daß das posi-<lb/>
tive Recht, das Recht, welches gerade gilt, auch das gerechte oder<lb/>
doch denkbar gerechteste sei, ist keineswegs gesagt; oder ge-<lb/>
nauer: es ist mit dem Begriff der Geltung nicht notwendig gegeben.<lb/>
Es bleibt immer eine offene Frage, ob das Recht, das tatsächlich<lb/>
gilt, auch Anspruch auf Geltung habe. Es kann ja auch ungerechtes,<lb/>
schlechtes Recht gelten. Die Positivität des Rechts bringt eben<lb/>
diesen Gegensatz des zufällig geltenden zum gerechterweise gelten-<lb/>
sollenden, des geschichtlich gegebenen zum vernünftig geforderten<lb/>
Recht zum Ausdruck. Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft,<lb/><hirendition="#g">alles,</hi> was geschieht, zu erklären; ist das Wirkliche widerspruchs-<lb/>
voll, so muß sie diesen Widerspruch auch ehrlich anerkennen,<lb/>
und wenn es ihren eigenen Wert (den Wert der Wissenschaft vom<lb/><hirendition="#g">positiven</hi> Recht) herabsetzen sollte. Ihre Aufgabe ist nur,<lb/>
verständlich zu machen, weshalb der Widerspruch nicht zu über-<lb/>
winden ist. Das ist die hier gegebene Lage; und wer sie nicht<lb/>
anerkennt, wie sie ist, opfert entweder das positive Recht oder<lb/>
die Gerechtigkeit: Denn entweder erklärt er nur das Gerechte für<lb/>
geltend und verbindlich, dann ist ein positives Recht überhaupt<lb/>
nicht möglich; oder er erklärt alles positive Recht als das sachlich<lb/>
gerechte, dann verschließt er der Vernunft den Mund. Eines so<lb/>
unmöglich wie das andere. Wir aber sagen: Es besteht zwar keine<lb/>
Gewähr dafür, daß stets das gerechte Recht gelte; aber welches<lb/>
auch immer gelte: die Berufung auf die Vernunft, die Kritik bleibt<lb/>
immer offen; dem Ungerechten muß man sich im äußeren Ver-<lb/>
halten oft beugen; aber ungebeugt bleibt die Forderung des Ge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[187/0202]
Die Geltung des Rechts.
fassung unterstützen, ist kein sachlicher Grund, sie gelten zu
lassen; aber es ist unter Umständen ein politischer Grund, näm-
lich ein Indiz der Notwendigkeit, sich dieser Lösung anzuschließen.
Wenn keine andere Verfassung Aussicht hat, die erforderliche
Unterstützung zu finden, und wenn diese Verfassung inhaltlich
annehmbar ist, wird sich der Gegner ihr anschließen, d. h. sie als
das nun geltende Recht betrachten müssen; er wird gut daran
tun; er wird klug handeln. Aber die Berechtigung, ihn auf die
neue Rechtsordnung zu verpflichten, werden die Anhänger dieser
Ordnung nie daraus ableiten können, daß sie sich ihr angeschlossen
haben; denn die Gegner bestreiten ihnen ja eben die Begründetheit
dieses Schrittes.
Es gibt in der Tat keine Lösung dieser Frage. Daß das posi-
tive Recht, das Recht, welches gerade gilt, auch das gerechte oder
doch denkbar gerechteste sei, ist keineswegs gesagt; oder ge-
nauer: es ist mit dem Begriff der Geltung nicht notwendig gegeben.
Es bleibt immer eine offene Frage, ob das Recht, das tatsächlich
gilt, auch Anspruch auf Geltung habe. Es kann ja auch ungerechtes,
schlechtes Recht gelten. Die Positivität des Rechts bringt eben
diesen Gegensatz des zufällig geltenden zum gerechterweise gelten-
sollenden, des geschichtlich gegebenen zum vernünftig geforderten
Recht zum Ausdruck. Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft,
alles, was geschieht, zu erklären; ist das Wirkliche widerspruchs-
voll, so muß sie diesen Widerspruch auch ehrlich anerkennen,
und wenn es ihren eigenen Wert (den Wert der Wissenschaft vom
positiven Recht) herabsetzen sollte. Ihre Aufgabe ist nur,
verständlich zu machen, weshalb der Widerspruch nicht zu über-
winden ist. Das ist die hier gegebene Lage; und wer sie nicht
anerkennt, wie sie ist, opfert entweder das positive Recht oder
die Gerechtigkeit: Denn entweder erklärt er nur das Gerechte für
geltend und verbindlich, dann ist ein positives Recht überhaupt
nicht möglich; oder er erklärt alles positive Recht als das sachlich
gerechte, dann verschließt er der Vernunft den Mund. Eines so
unmöglich wie das andere. Wir aber sagen: Es besteht zwar keine
Gewähr dafür, daß stets das gerechte Recht gelte; aber welches
auch immer gelte: die Berufung auf die Vernunft, die Kritik bleibt
immer offen; dem Ungerechten muß man sich im äußeren Ver-
halten oft beugen; aber ungebeugt bleibt die Forderung des Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/202>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.