Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
möglich ist. Aber daß dieses einzig Mögliche auch vernünftig
sei, ist damit noch nicht gesagt. Daß eine Rechtsordnung der
Macht bedarf, um sich durchzusetzen, und daß es sinnlos wäre,
eine Rechtsordnung als die verbindliche zu erklären, die sich
nicht durchsetzen kann, das leuchtet ein. Aber daß von mehreren
Rechtsordnungen ungleichen Inhaltes und Wertes diejenige gelten
solle, hinter welcher sich die Macht stellt, und nicht diejenige,
welche gerechter und vernünftiger ist, das leuchtet keineswegs ein;
das bedarf gar sehr der Erklärung.

Die Schwierigkeit, von der wir reden, besteht nicht etwa
darin, daß die machtgekrönte, aber ungerechte Ordnung vermutlich
nicht von allen (oder auch nur den meisten) als die verbindliche
anerkannt würde; auch die gerechteste Ordnung würde vielleicht
nicht von allen als verbindlich anerkannt, weil ihre Vortrefflichkeit
vielleicht gar nicht erkannt würde. Auf die allgemeine Zustimmung
kann keine Rechtsordnung rechnen. Wir meinen vielmehr: ob
diejenigen, welche der von ihnen bevorzugten Rechtsordnung
ihre machtvolle Unterstützung leihen, mit Grund verlangen
können, daß die anderen, die sie als ungerecht oder weniger gerecht
halten, sie trotzdem als verbindlich anerkennen. Kann es einen
vernünftigen Grund dafür geben, daß von zwei Rechtsordnungen,
nicht die vernünftigere, sondern die machtbewehrte, also die
weniger vernünftige gelte? Das ist die Frage1.

Von dieser einfachen Erwägung geleitet, daß vernünftiger-
weise nur das Vernünftige gelten kann, haben Rechtsphilosophen
auch immer wieder behauptet: Anspruch auf Geltung hat die ge-
rechte, die vernünftige Ordnung; in der Vernunft liegt ihre Ver-
bindlichkeit und durch ihren inneren Wert legitimiert sie sich zur
Geltung2.

1 Bierling, Juristische Prinzipienlehre 5 192, erörtert für das Recht
erster Ordnung nur die Frage, was Geltung sei; es entstehe, sagt er (2 343),
notwendig anormal, also ohne Rechtsgrund; gewiß! Aber das ist keine Er-
klärung
der Gültigkeit. Ähnliches ist gegenüber Else Buddeberg, Die
Bescheide des Reichsarbeitsministers unter dem Gesichtspunkt der Ent-
wicklung des Rechts (Jena 1925) zu sagen, die von "Rechtssätzen kraft
faktischer Geltung" i. S. einer Erklärung der Geltung spricht.
2 Z. B. Binder, Philosophie des Rechts 768: "Geltungsgrund des
Rechts ist allein die Vernunft." Barna Horwath, Zeitschrift für öffent-
liches Recht 6 112, stellt ihm mit Recht die relative Werthaftigkeit alles

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
möglich ist. Aber daß dieses einzig Mögliche auch vernünftig
sei, ist damit noch nicht gesagt. Daß eine Rechtsordnung der
Macht bedarf, um sich durchzusetzen, und daß es sinnlos wäre,
eine Rechtsordnung als die verbindliche zu erklären, die sich
nicht durchsetzen kann, das leuchtet ein. Aber daß von mehreren
Rechtsordnungen ungleichen Inhaltes und Wertes diejenige gelten
solle, hinter welcher sich die Macht stellt, und nicht diejenige,
welche gerechter und vernünftiger ist, das leuchtet keineswegs ein;
das bedarf gar sehr der Erklärung.

Die Schwierigkeit, von der wir reden, besteht nicht etwa
darin, daß die machtgekrönte, aber ungerechte Ordnung vermutlich
nicht von allen (oder auch nur den meisten) als die verbindliche
anerkannt würde; auch die gerechteste Ordnung würde vielleicht
nicht von allen als verbindlich anerkannt, weil ihre Vortrefflichkeit
vielleicht gar nicht erkannt würde. Auf die allgemeine Zustimmung
kann keine Rechtsordnung rechnen. Wir meinen vielmehr: ob
diejenigen, welche der von ihnen bevorzugten Rechtsordnung
ihre machtvolle Unterstützung leihen, mit Grund verlangen
können, daß die anderen, die sie als ungerecht oder weniger gerecht
halten, sie trotzdem als verbindlich anerkennen. Kann es einen
vernünftigen Grund dafür geben, daß von zwei Rechtsordnungen,
nicht die vernünftigere, sondern die machtbewehrte, also die
weniger vernünftige gelte? Das ist die Frage1.

Von dieser einfachen Erwägung geleitet, daß vernünftiger-
weise nur das Vernünftige gelten kann, haben Rechtsphilosophen
auch immer wieder behauptet: Anspruch auf Geltung hat die ge-
rechte, die vernünftige Ordnung; in der Vernunft liegt ihre Ver-
bindlichkeit und durch ihren inneren Wert legitimiert sie sich zur
Geltung2.

1 Bierling, Juristische Prinzipienlehre 5 192, erörtert für das Recht
erster Ordnung nur die Frage, was Geltung sei; es entstehe, sagt er (2 343),
notwendig anormal, also ohne Rechtsgrund; gewiß! Aber das ist keine Er-
klärung
der Gültigkeit. Ähnliches ist gegenüber Else Buddeberg, Die
Bescheide des Reichsarbeitsministers unter dem Gesichtspunkt der Ent-
wicklung des Rechts (Jena 1925) zu sagen, die von „Rechtssätzen kraft
faktischer Geltung“ i. S. einer Erklärung der Geltung spricht.
2 Z. B. Binder, Philosophie des Rechts 768: „Geltungsgrund des
Rechts ist allein die Vernunft.“ Barna Horwàth, Zeitschrift für öffent-
liches Recht 6 112, stellt ihm mit Recht die relative Werthaftigkeit alles
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0197" n="182"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/>
möglich ist. Aber daß dieses einzig Mögliche auch vernünftig<lb/>
sei, ist damit noch nicht gesagt. Daß eine Rechtsordnung der<lb/>
Macht bedarf, um sich durchzusetzen, und daß es sinnlos wäre,<lb/>
eine Rechtsordnung als die verbindliche zu erklären, die sich<lb/>
nicht durchsetzen kann, das leuchtet ein. Aber daß von mehreren<lb/>
Rechtsordnungen ungleichen Inhaltes und Wertes diejenige gelten<lb/>
solle, hinter welcher sich die Macht stellt, und nicht diejenige,<lb/>
welche gerechter und vernünftiger ist, das leuchtet keineswegs ein;<lb/>
das bedarf gar sehr der Erklärung.</p><lb/>
            <p>Die Schwierigkeit, von der wir reden, besteht nicht etwa<lb/>
darin, daß die machtgekrönte, aber ungerechte Ordnung vermutlich<lb/>
nicht von allen (oder auch nur den meisten) als die verbindliche<lb/>
anerkannt würde; auch die gerechteste Ordnung würde vielleicht<lb/>
nicht von allen als verbindlich anerkannt, weil ihre Vortrefflichkeit<lb/>
vielleicht gar nicht erkannt würde. Auf die allgemeine Zustimmung<lb/>
kann keine Rechtsordnung rechnen. Wir meinen vielmehr: ob<lb/>
diejenigen, welche der von ihnen bevorzugten Rechtsordnung<lb/>
ihre machtvolle Unterstützung leihen, mit Grund <hi rendition="#g">verlangen</hi><lb/>
können, daß die anderen, die sie als ungerecht oder weniger gerecht<lb/>
halten, sie trotzdem als verbindlich anerkennen. Kann es einen<lb/><hi rendition="#g">vernünftigen</hi> Grund dafür geben, daß von zwei Rechtsordnungen,<lb/>
nicht die vernünftigere, sondern die machtbewehrte, also die<lb/><hi rendition="#g">weniger</hi> vernünftige gelte? Das ist die Frage<note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Bierling,</hi> Juristische Prinzipienlehre <hi rendition="#b">5</hi> 192, erörtert für das Recht<lb/>
erster Ordnung nur die Frage, was Geltung sei; es entstehe, sagt er (<hi rendition="#b">2</hi> 343),<lb/>
notwendig anormal, also ohne Rechtsgrund; gewiß! Aber das ist keine <hi rendition="#g">Er-<lb/>
klärung</hi> der Gültigkeit. Ähnliches ist gegenüber <hi rendition="#g">Else Buddeberg,</hi> Die<lb/>
Bescheide des Reichsarbeitsministers unter dem Gesichtspunkt der Ent-<lb/>
wicklung des Rechts (Jena 1925) zu sagen, die von &#x201E;Rechtssätzen kraft<lb/>
faktischer Geltung&#x201C; i. S. einer Erklärung der Geltung spricht.</note>.</p><lb/>
            <p>Von dieser einfachen Erwägung geleitet, daß vernünftiger-<lb/>
weise nur das Vernünftige gelten kann, haben Rechtsphilosophen<lb/>
auch immer wieder behauptet: Anspruch auf Geltung hat die ge-<lb/>
rechte, die vernünftige Ordnung; in der Vernunft liegt ihre Ver-<lb/>
bindlichkeit und durch ihren inneren Wert legitimiert sie sich zur<lb/>
Geltung<note xml:id="seg2pn_28_1" next="#seg2pn_28_2" place="foot" n="2">Z. B. <hi rendition="#g">Binder,</hi> Philosophie des Rechts 768: &#x201E;Geltungsgrund des<lb/>
Rechts ist allein die Vernunft.&#x201C; <hi rendition="#g">Barna Horwàth,</hi> Zeitschrift für öffent-<lb/>
liches Recht <hi rendition="#b">6</hi> 112, stellt ihm mit Recht die relative Werthaftigkeit alles</note>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0197] II. Teil. Die staatliche Verfassung. möglich ist. Aber daß dieses einzig Mögliche auch vernünftig sei, ist damit noch nicht gesagt. Daß eine Rechtsordnung der Macht bedarf, um sich durchzusetzen, und daß es sinnlos wäre, eine Rechtsordnung als die verbindliche zu erklären, die sich nicht durchsetzen kann, das leuchtet ein. Aber daß von mehreren Rechtsordnungen ungleichen Inhaltes und Wertes diejenige gelten solle, hinter welcher sich die Macht stellt, und nicht diejenige, welche gerechter und vernünftiger ist, das leuchtet keineswegs ein; das bedarf gar sehr der Erklärung. Die Schwierigkeit, von der wir reden, besteht nicht etwa darin, daß die machtgekrönte, aber ungerechte Ordnung vermutlich nicht von allen (oder auch nur den meisten) als die verbindliche anerkannt würde; auch die gerechteste Ordnung würde vielleicht nicht von allen als verbindlich anerkannt, weil ihre Vortrefflichkeit vielleicht gar nicht erkannt würde. Auf die allgemeine Zustimmung kann keine Rechtsordnung rechnen. Wir meinen vielmehr: ob diejenigen, welche der von ihnen bevorzugten Rechtsordnung ihre machtvolle Unterstützung leihen, mit Grund verlangen können, daß die anderen, die sie als ungerecht oder weniger gerecht halten, sie trotzdem als verbindlich anerkennen. Kann es einen vernünftigen Grund dafür geben, daß von zwei Rechtsordnungen, nicht die vernünftigere, sondern die machtbewehrte, also die weniger vernünftige gelte? Das ist die Frage 1. Von dieser einfachen Erwägung geleitet, daß vernünftiger- weise nur das Vernünftige gelten kann, haben Rechtsphilosophen auch immer wieder behauptet: Anspruch auf Geltung hat die ge- rechte, die vernünftige Ordnung; in der Vernunft liegt ihre Ver- bindlichkeit und durch ihren inneren Wert legitimiert sie sich zur Geltung 2. 1 Bierling, Juristische Prinzipienlehre 5 192, erörtert für das Recht erster Ordnung nur die Frage, was Geltung sei; es entstehe, sagt er (2 343), notwendig anormal, also ohne Rechtsgrund; gewiß! Aber das ist keine Er- klärung der Gültigkeit. Ähnliches ist gegenüber Else Buddeberg, Die Bescheide des Reichsarbeitsministers unter dem Gesichtspunkt der Ent- wicklung des Rechts (Jena 1925) zu sagen, die von „Rechtssätzen kraft faktischer Geltung“ i. S. einer Erklärung der Geltung spricht. 2 Z. B. Binder, Philosophie des Rechts 768: „Geltungsgrund des Rechts ist allein die Vernunft.“ Barna Horwàth, Zeitschrift für öffent- liches Recht 6 112, stellt ihm mit Recht die relative Werthaftigkeit alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/197
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/197>, abgerufen am 24.11.2024.