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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Der Begriff der staatlichen Organisation.
sich also auf Befugnisse, die willkürlich geltend gemacht werden
können.

Die staatliche Organisation dagegen, d. h. die öffentlich-
rechtliche Organisation des Staates mitsamt seinen Unterab-
teilungen, bildet das Gegenstück dazu: 1. sie beruht auf Rechts-
satz, einem Rechtssatz, der als geltend vorausgesetzt werden muß,
der seine Geltung aber nicht von einem anderen schon geltenden,
ableiten kann; 2. sie ist rechtsnotwendig, nicht zufällig, d. h. sie
besteht kraft zwingenden Rechts, nicht kraft willkürlicher Ent-
schließung; und 3. hat sie zum Zweck die Begründung und Be-
tätigung objektiven Rechts, nicht subjektiver Rechtsverhältnisse,
weshalb sie ihre Befugnisse planmäßig und nach Grundsätzen,
nicht beliebig, ausübt.

Deshalb genügt auch die Vertragstheorie, die Ableitung der
Verbindlichkeit der staatlichen Organisation aus einem Ver-
tragsverhältnis nicht; der Vertrag würde einen Rechtssatz vor-
aussetzen, der vor dem Staat nicht gelten kann; der Staat wäre ein
zufälliges Rechtsverhältnis1, nicht eine rechtsverbindliche Ein-
richtung; er könnte also durch beliebige Entschließung der Be-
teiligten gegründet und wieder aufgelöst werden; und er könnte
nur Rechtsverhältnisse, subjektive Rechte, nicht objektives Recht
begründen; also gerade das, dessen Verbindlichkeit zu erklären
ist, die objektive staatliche Rechtsordnung, bliebe unerklärt.
Denn deshalb frägt man doch nach der Verbindlichkeit des Staates,
um die Verbindlichkeit der von ihm geschaffenen und erhaltenen
Rechtsordnung zu erklären.

Wie die Verbindlichkeit der staatlichen Rechtsordnung zu
erklären sei, das ist die Frage. Es haben denn auch nicht alle
Naturrechtslehrer den Gesellschaftsvertrag, von dem sie aus-
gingen, als ein einmaliges, geschichtliches Faktum aufgefaßt; Fichte,
Kant, vielleicht auch Rousseau und Hobbes wollten nicht be-
haupten, jeder Staatsgründung sei einmal in der Geschichte ein
Vertrag de societate civili condenda vorausgegangen, sondern

1 Wie schon Fries, Philosophische Rechtslehre (1803) 78, Adam
Müller,
Elemente der Staatskunst (1809 [1922]) 27, 37, 129, und Schleier-
macher,
Entwurf d. Systems der Sittenlehre § 269, namentlich aber Hegel,
Rechtsphilosophie § 75, bemerkt haben. Vgl. über Schleiermachers Staats-
auffassung: Walz in der Zeitschrift für öffentliches Recht VI 40 ff.

Der Begriff der staatlichen Organisation.
sich also auf Befugnisse, die willkürlich geltend gemacht werden
können.

Die staatliche Organisation dagegen, d. h. die öffentlich-
rechtliche Organisation des Staates mitsamt seinen Unterab-
teilungen, bildet das Gegenstück dazu: 1. sie beruht auf Rechts-
satz, einem Rechtssatz, der als geltend vorausgesetzt werden muß,
der seine Geltung aber nicht von einem anderen schon geltenden,
ableiten kann; 2. sie ist rechtsnotwendig, nicht zufällig, d. h. sie
besteht kraft zwingenden Rechts, nicht kraft willkürlicher Ent-
schließung; und 3. hat sie zum Zweck die Begründung und Be-
tätigung objektiven Rechts, nicht subjektiver Rechtsverhältnisse,
weshalb sie ihre Befugnisse planmäßig und nach Grundsätzen,
nicht beliebig, ausübt.

Deshalb genügt auch die Vertragstheorie, die Ableitung der
Verbindlichkeit der staatlichen Organisation aus einem Ver-
tragsverhältnis nicht; der Vertrag würde einen Rechtssatz vor-
aussetzen, der vor dem Staat nicht gelten kann; der Staat wäre ein
zufälliges Rechtsverhältnis1, nicht eine rechtsverbindliche Ein-
richtung; er könnte also durch beliebige Entschließung der Be-
teiligten gegründet und wieder aufgelöst werden; und er könnte
nur Rechtsverhältnisse, subjektive Rechte, nicht objektives Recht
begründen; also gerade das, dessen Verbindlichkeit zu erklären
ist, die objektive staatliche Rechtsordnung, bliebe unerklärt.
Denn deshalb frägt man doch nach der Verbindlichkeit des Staates,
um die Verbindlichkeit der von ihm geschaffenen und erhaltenen
Rechtsordnung zu erklären.

Wie die Verbindlichkeit der staatlichen Rechtsordnung zu
erklären sei, das ist die Frage. Es haben denn auch nicht alle
Naturrechtslehrer den Gesellschaftsvertrag, von dem sie aus-
gingen, als ein einmaliges, geschichtliches Faktum aufgefaßt; Fichte,
Kant, vielleicht auch Rousseau und Hobbes wollten nicht be-
haupten, jeder Staatsgründung sei einmal in der Geschichte ein
Vertrag de societate civili condenda vorausgegangen, sondern

1 Wie schon Fries, Philosophische Rechtslehre (1803) 78, Adam
Müller,
Elemente der Staatskunst (1809 [1922]) 27, 37, 129, und Schleier-
macher,
Entwurf d. Systems der Sittenlehre § 269, namentlich aber Hegel,
Rechtsphilosophie § 75, bemerkt haben. Vgl. über Schleiermachers Staats-
auffassung: Walz in der Zeitschrift für öffentliches Recht VI 40 ff.
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[143/0158] Der Begriff der staatlichen Organisation. sich also auf Befugnisse, die willkürlich geltend gemacht werden können. Die staatliche Organisation dagegen, d. h. die öffentlich- rechtliche Organisation des Staates mitsamt seinen Unterab- teilungen, bildet das Gegenstück dazu: 1. sie beruht auf Rechts- satz, einem Rechtssatz, der als geltend vorausgesetzt werden muß, der seine Geltung aber nicht von einem anderen schon geltenden, ableiten kann; 2. sie ist rechtsnotwendig, nicht zufällig, d. h. sie besteht kraft zwingenden Rechts, nicht kraft willkürlicher Ent- schließung; und 3. hat sie zum Zweck die Begründung und Be- tätigung objektiven Rechts, nicht subjektiver Rechtsverhältnisse, weshalb sie ihre Befugnisse planmäßig und nach Grundsätzen, nicht beliebig, ausübt. Deshalb genügt auch die Vertragstheorie, die Ableitung der Verbindlichkeit der staatlichen Organisation aus einem Ver- tragsverhältnis nicht; der Vertrag würde einen Rechtssatz vor- aussetzen, der vor dem Staat nicht gelten kann; der Staat wäre ein zufälliges Rechtsverhältnis 1, nicht eine rechtsverbindliche Ein- richtung; er könnte also durch beliebige Entschließung der Be- teiligten gegründet und wieder aufgelöst werden; und er könnte nur Rechtsverhältnisse, subjektive Rechte, nicht objektives Recht begründen; also gerade das, dessen Verbindlichkeit zu erklären ist, die objektive staatliche Rechtsordnung, bliebe unerklärt. Denn deshalb frägt man doch nach der Verbindlichkeit des Staates, um die Verbindlichkeit der von ihm geschaffenen und erhaltenen Rechtsordnung zu erklären. Wie die Verbindlichkeit der staatlichen Rechtsordnung zu erklären sei, das ist die Frage. Es haben denn auch nicht alle Naturrechtslehrer den Gesellschaftsvertrag, von dem sie aus- gingen, als ein einmaliges, geschichtliches Faktum aufgefaßt; Fichte, Kant, vielleicht auch Rousseau und Hobbes wollten nicht be- haupten, jeder Staatsgründung sei einmal in der Geschichte ein Vertrag de societate civili condenda vorausgegangen, sondern 1 Wie schon Fries, Philosophische Rechtslehre (1803) 78, Adam Müller, Elemente der Staatskunst (1809 [1922]) 27, 37, 129, und Schleier- macher, Entwurf d. Systems der Sittenlehre § 269, namentlich aber Hegel, Rechtsphilosophie § 75, bemerkt haben. Vgl. über Schleiermachers Staats- auffassung: Walz in der Zeitschrift für öffentliches Recht VI 40 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/158>, abgerufen am 25.11.2024.