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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Organisation im Rechtssinne.
setzung ausgehen kann, sondern vielmehr die Unentbehrlichkeit einer
erzwingbaren Ordnung, die Form rechtlicher Ordnung heischt, muß
auch jede Rechtsordnung den Zwang ordnen (vgl. unten S. 234, 280).

Jede Rechtsordnung muß bestimmen, wer den Zwang anzu-
ordnen hat und in welcher Weise er anzuordnen ist. Da aber die
Norm nicht in ihrer Abstraktheit erzwungen werden kann1, sondern
nur in ihrer konkreten Anwendung auf den einzelnen Fall, muß der
Erzwingung notwendigerweise die Entscheidung vorausgehen, daß
die betreffende Norm auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.
Die Erzwingung des Rechts setzt also die verbindliche Anwendung
des abstrakten Rechtssatzes auf den konkreten Tatbestand vor-
aus; die Rechtsordnung muß daher, um erzwingbar zu sein, auch
diese Zuständigkeit vorsehen: die Instanz, die in verbindlicher
Weise entscheidet, daß der Rechtssatz in concreto anwendbar ist,
und das Verfahren, nach dem es zu geschehen hat. Und endlich
muß auch eine Instanz da sein, um die Regeln selbst zu bestimmen.
Wir sind vorhin von der Voraussetzung ausgegangen, die Regeln
seien gegeben und für einmal außer Frage; das mag zu gewissen
Zeiten zutreffen, wenn nämlich eine Autorität sie früher schon
bestimmt hat; aber grundsätzlich kann von der Aufgabe nicht
abgesehen werden, auch die Rechtsnormen selbst, die gelten
sollen, zu bestimmen. Ist das früher schon entschieden worden, so
sind die damals angenommenen Normen doch nur deshalb heute
verbindlich, weil die Autorität, die sie aufgestellt hat, noch heute
anerkannt wird (was auch eine Entscheidung ist), bzw. weil die
heute zuständige Behörde nichts anderes entscheidet. Es muß
stets jemand entscheiden, welche Normen gelten; die Entscheidung
darüber ist logisch ebenso unentbehrlich wie die Entscheidung dar-
über, wo die geltende Norm anzuwenden und wie die Entscheidung
zu vollstrecken ist2. Denn gleich wie die Rechtserzwingung die

1 Die Anwendung bildet die notwendige Vermittlung zwischen dem
Gesetz und dem Verhalten der Untertanen, sagt Klöppel, Gesetz und
Obrigkeit 79.
2 Es kann sehr wohl sein, daß diese kritische Frage, welche Rechts-
normen gelten, dem Bewußtsein der Rechtsgenossen lange fremd bleibt,
weil jedermann der Überzeugung ist, daß das Recht von unvordenklicher
Zeit her bestehe und unverändert weiterbestehen müsse; aber jemand muß
doch in verbindlicher Weise bezeugen, daß es so sei und wie dieses un-
abänderliche Recht laute. Und wenn es keine besondere Behörde dafür

Die Organisation im Rechtssinne.
setzung ausgehen kann, sondern vielmehr die Unentbehrlichkeit einer
erzwingbaren Ordnung, die Form rechtlicher Ordnung heischt, muß
auch jede Rechtsordnung den Zwang ordnen (vgl. unten S. 234, 280).

Jede Rechtsordnung muß bestimmen, wer den Zwang anzu-
ordnen hat und in welcher Weise er anzuordnen ist. Da aber die
Norm nicht in ihrer Abstraktheit erzwungen werden kann1, sondern
nur in ihrer konkreten Anwendung auf den einzelnen Fall, muß der
Erzwingung notwendigerweise die Entscheidung vorausgehen, daß
die betreffende Norm auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.
Die Erzwingung des Rechts setzt also die verbindliche Anwendung
des abstrakten Rechtssatzes auf den konkreten Tatbestand vor-
aus; die Rechtsordnung muß daher, um erzwingbar zu sein, auch
diese Zuständigkeit vorsehen: die Instanz, die in verbindlicher
Weise entscheidet, daß der Rechtssatz in concreto anwendbar ist,
und das Verfahren, nach dem es zu geschehen hat. Und endlich
muß auch eine Instanz da sein, um die Regeln selbst zu bestimmen.
Wir sind vorhin von der Voraussetzung ausgegangen, die Regeln
seien gegeben und für einmal außer Frage; das mag zu gewissen
Zeiten zutreffen, wenn nämlich eine Autorität sie früher schon
bestimmt hat; aber grundsätzlich kann von der Aufgabe nicht
abgesehen werden, auch die Rechtsnormen selbst, die gelten
sollen, zu bestimmen. Ist das früher schon entschieden worden, so
sind die damals angenommenen Normen doch nur deshalb heute
verbindlich, weil die Autorität, die sie aufgestellt hat, noch heute
anerkannt wird (was auch eine Entscheidung ist), bzw. weil die
heute zuständige Behörde nichts anderes entscheidet. Es muß
stets jemand entscheiden, welche Normen gelten; die Entscheidung
darüber ist logisch ebenso unentbehrlich wie die Entscheidung dar-
über, wo die geltende Norm anzuwenden und wie die Entscheidung
zu vollstrecken ist2. Denn gleich wie die Rechtserzwingung die

1 Die Anwendung bildet die notwendige Vermittlung zwischen dem
Gesetz und dem Verhalten der Untertanen, sagt Klöppel, Gesetz und
Obrigkeit 79.
2 Es kann sehr wohl sein, daß diese kritische Frage, welche Rechts-
normen gelten, dem Bewußtsein der Rechtsgenossen lange fremd bleibt,
weil jedermann der Überzeugung ist, daß das Recht von unvordenklicher
Zeit her bestehe und unverändert weiterbestehen müsse; aber jemand muß
doch in verbindlicher Weise bezeugen, daß es so sei und wie dieses un-
abänderliche Recht laute. Und wenn es keine besondere Behörde dafür
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[125/0140] Die Organisation im Rechtssinne. setzung ausgehen kann, sondern vielmehr die Unentbehrlichkeit einer erzwingbaren Ordnung, die Form rechtlicher Ordnung heischt, muß auch jede Rechtsordnung den Zwang ordnen (vgl. unten S. 234, 280). Jede Rechtsordnung muß bestimmen, wer den Zwang anzu- ordnen hat und in welcher Weise er anzuordnen ist. Da aber die Norm nicht in ihrer Abstraktheit erzwungen werden kann 1, sondern nur in ihrer konkreten Anwendung auf den einzelnen Fall, muß der Erzwingung notwendigerweise die Entscheidung vorausgehen, daß die betreffende Norm auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist. Die Erzwingung des Rechts setzt also die verbindliche Anwendung des abstrakten Rechtssatzes auf den konkreten Tatbestand vor- aus; die Rechtsordnung muß daher, um erzwingbar zu sein, auch diese Zuständigkeit vorsehen: die Instanz, die in verbindlicher Weise entscheidet, daß der Rechtssatz in concreto anwendbar ist, und das Verfahren, nach dem es zu geschehen hat. Und endlich muß auch eine Instanz da sein, um die Regeln selbst zu bestimmen. Wir sind vorhin von der Voraussetzung ausgegangen, die Regeln seien gegeben und für einmal außer Frage; das mag zu gewissen Zeiten zutreffen, wenn nämlich eine Autorität sie früher schon bestimmt hat; aber grundsätzlich kann von der Aufgabe nicht abgesehen werden, auch die Rechtsnormen selbst, die gelten sollen, zu bestimmen. Ist das früher schon entschieden worden, so sind die damals angenommenen Normen doch nur deshalb heute verbindlich, weil die Autorität, die sie aufgestellt hat, noch heute anerkannt wird (was auch eine Entscheidung ist), bzw. weil die heute zuständige Behörde nichts anderes entscheidet. Es muß stets jemand entscheiden, welche Normen gelten; die Entscheidung darüber ist logisch ebenso unentbehrlich wie die Entscheidung dar- über, wo die geltende Norm anzuwenden und wie die Entscheidung zu vollstrecken ist 2. Denn gleich wie die Rechtserzwingung die 1 Die Anwendung bildet die notwendige Vermittlung zwischen dem Gesetz und dem Verhalten der Untertanen, sagt Klöppel, Gesetz und Obrigkeit 79. 2 Es kann sehr wohl sein, daß diese kritische Frage, welche Rechts- normen gelten, dem Bewußtsein der Rechtsgenossen lange fremd bleibt, weil jedermann der Überzeugung ist, daß das Recht von unvordenklicher Zeit her bestehe und unverändert weiterbestehen müsse; aber jemand muß doch in verbindlicher Weise bezeugen, daß es so sei und wie dieses un- abänderliche Recht laute. Und wenn es keine besondere Behörde dafür

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/140>, abgerufen am 25.11.2024.