I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Eine rechtspolitische Frage also, die jedenfalls nicht nach zum voraus feststehenden Rechtsbegriffen formuliert und beant- wortet werden kann. Rechtsbegrifflich bestimmbar ist nur die Rückwirkung im ersten, eigentlichen Sinn, nämlich die Frage: welche Wirkung neues öffentliches Recht auf bestehende (rechts- geschäftlich begründete) Rechtsverhältnisse haben solle. Die in diesem Gegensatz liegende Frage läßt sich, wie eben geschehen, begrifflich bestimmt formulieren, weil es eine Frage ist, die not- wendig entstehen muß, wenn die Rechtsordnung vom Privat- recht zum öffentlichen Recht übergeht, weil es, unter dieser Vor- aussetzung, immer dieselbe grundsätzliche Frage ist. Läßt sie sich auch aus bestimmten Begriffen, also allgemeingültig, beant- worten?
Der Gesetzgeber, der in Abänderung des geltenden nach- giebigen Rechts einen neuen zwingenden Rechtssatz aufstellt, muß notwendigerweise über das Schicksal der bestehenden Rechts- verhältnisse etwas bestimmen; denn die Privaten müssen wissen, in welchem Verhältnis sie untereinander stehen; hier kann keine Frage unbeantwortet bleiben (vgl. S. 107). Er sieht sich aber1 vor die widerspruchsvolle Aufgabe gestellt, zu entscheiden, welche Wirkungen ein auf der willkürlichen Entschließung von Privat- personen beruhendes Geschäft haben soll, in Abweichung von diesem Parteiwillen, der doch die einzige Grundlage des Verhält- nisses ist. Läßt man das Rechtsverhältnis bestehen, so kann man es konsequenterweise, d. h. wenn man Widersprechendes vermeiden will, nur mit den Rechtswirkungen bestehen lassen, die es nach dem Willen der Parteien haben sollte. Nach dem neuen zwingenden Recht sollen nun aber solche Rechtsverhältnisse überhaupt nicht mehr bestehen, weil die Möglichkeit solcher Rechtsverhältnisse, die Einrichtung selbst, grundsätzlich als unrichtig, des rechtlichen Schutzes als unwürdig befunden worden ist. Und darin liegt eben der Widerspruch: man beurteilt nachträglich ein Rechtsverhält- nis, das als Mittel zu subjektiven Zwecken eingegangen worden ist, nach dem objektiven Maßstab des Richtigen2. Man erklärt
1 Ähnlich wie wenn er die unvollständigen Verträge durch billige Vorschriften ergänzen wollte; oben S. 39.
2 Darin liegt das Berechtigte der oft aufgestellten Definition, daß wohlerworben die Rechte seien, die zu einem Bestandteil des Vermögens
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Eine rechtspolitische Frage also, die jedenfalls nicht nach zum voraus feststehenden Rechtsbegriffen formuliert und beant- wortet werden kann. Rechtsbegrifflich bestimmbar ist nur die Rückwirkung im ersten, eigentlichen Sinn, nämlich die Frage: welche Wirkung neues öffentliches Recht auf bestehende (rechts- geschäftlich begründete) Rechtsverhältnisse haben solle. Die in diesem Gegensatz liegende Frage läßt sich, wie eben geschehen, begrifflich bestimmt formulieren, weil es eine Frage ist, die not- wendig entstehen muß, wenn die Rechtsordnung vom Privat- recht zum öffentlichen Recht übergeht, weil es, unter dieser Vor- aussetzung, immer dieselbe grundsätzliche Frage ist. Läßt sie sich auch aus bestimmten Begriffen, also allgemeingültig, beant- worten?
Der Gesetzgeber, der in Abänderung des geltenden nach- giebigen Rechts einen neuen zwingenden Rechtssatz aufstellt, muß notwendigerweise über das Schicksal der bestehenden Rechts- verhältnisse etwas bestimmen; denn die Privaten müssen wissen, in welchem Verhältnis sie untereinander stehen; hier kann keine Frage unbeantwortet bleiben (vgl. S. 107). Er sieht sich aber1 vor die widerspruchsvolle Aufgabe gestellt, zu entscheiden, welche Wirkungen ein auf der willkürlichen Entschließung von Privat- personen beruhendes Geschäft haben soll, in Abweichung von diesem Parteiwillen, der doch die einzige Grundlage des Verhält- nisses ist. Läßt man das Rechtsverhältnis bestehen, so kann man es konsequenterweise, d. h. wenn man Widersprechendes vermeiden will, nur mit den Rechtswirkungen bestehen lassen, die es nach dem Willen der Parteien haben sollte. Nach dem neuen zwingenden Recht sollen nun aber solche Rechtsverhältnisse überhaupt nicht mehr bestehen, weil die Möglichkeit solcher Rechtsverhältnisse, die Einrichtung selbst, grundsätzlich als unrichtig, des rechtlichen Schutzes als unwürdig befunden worden ist. Und darin liegt eben der Widerspruch: man beurteilt nachträglich ein Rechtsverhält- nis, das als Mittel zu subjektiven Zwecken eingegangen worden ist, nach dem objektiven Maßstab des Richtigen2. Man erklärt
1 Ähnlich wie wenn er die unvollständigen Verträge durch billige Vorschriften ergänzen wollte; oben S. 39.
2 Darin liegt das Berechtigte der oft aufgestellten Definition, daß wohlerworben die Rechte seien, die zu einem Bestandteil des Vermögens
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[94/0109]
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Eine rechtspolitische Frage also, die jedenfalls nicht nach
zum voraus feststehenden Rechtsbegriffen formuliert und beant-
wortet werden kann. Rechtsbegrifflich bestimmbar ist nur die
Rückwirkung im ersten, eigentlichen Sinn, nämlich die Frage:
welche Wirkung neues öffentliches Recht auf bestehende (rechts-
geschäftlich begründete) Rechtsverhältnisse haben solle. Die in
diesem Gegensatz liegende Frage läßt sich, wie eben geschehen,
begrifflich bestimmt formulieren, weil es eine Frage ist, die not-
wendig entstehen muß, wenn die Rechtsordnung vom Privat-
recht zum öffentlichen Recht übergeht, weil es, unter dieser Vor-
aussetzung, immer dieselbe grundsätzliche Frage ist. Läßt sie
sich auch aus bestimmten Begriffen, also allgemeingültig, beant-
worten?
Der Gesetzgeber, der in Abänderung des geltenden nach-
giebigen Rechts einen neuen zwingenden Rechtssatz aufstellt,
muß notwendigerweise über das Schicksal der bestehenden Rechts-
verhältnisse etwas bestimmen; denn die Privaten müssen wissen,
in welchem Verhältnis sie untereinander stehen; hier kann keine
Frage unbeantwortet bleiben (vgl. S. 107). Er sieht sich aber 1 vor
die widerspruchsvolle Aufgabe gestellt, zu entscheiden, welche
Wirkungen ein auf der willkürlichen Entschließung von Privat-
personen beruhendes Geschäft haben soll, in Abweichung von
diesem Parteiwillen, der doch die einzige Grundlage des Verhält-
nisses ist. Läßt man das Rechtsverhältnis bestehen, so kann man
es konsequenterweise, d. h. wenn man Widersprechendes vermeiden
will, nur mit den Rechtswirkungen bestehen lassen, die es nach
dem Willen der Parteien haben sollte. Nach dem neuen zwingenden
Recht sollen nun aber solche Rechtsverhältnisse überhaupt nicht
mehr bestehen, weil die Möglichkeit solcher Rechtsverhältnisse,
die Einrichtung selbst, grundsätzlich als unrichtig, des rechtlichen
Schutzes als unwürdig befunden worden ist. Und darin liegt eben
der Widerspruch: man beurteilt nachträglich ein Rechtsverhält-
nis, das als Mittel zu subjektiven Zwecken eingegangen worden
ist, nach dem objektiven Maßstab des Richtigen 2. Man erklärt
1 Ähnlich wie wenn er die unvollständigen Verträge durch billige
Vorschriften ergänzen wollte; oben S. 39.
2 Darin liegt das Berechtigte der oft aufgestellten Definition, daß
wohlerworben die Rechte seien, die zu einem Bestandteil des Vermögens
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/109>, abgerufen am 25.11.2024.
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