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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
hältnisse, die ergangenen Urteile und Verfügungen bzw. die darin
begründeten Rechte als unabänderlich anzuerkennen habe. Diese
Frage stellt sich dem Gesetzgeber jedesmal, wo er vom geltenden
Recht zu einem neuen übergehen will, als eine Frage des Über-
gangsrechtes, des intertemporalen Rechts, wie es Affolter in
seinem Werke über intertemporales Privatrecht, 1902, genannt
hat. Vorausgesetzt ist hier immer, daß der Gesetzgeber die be-
stehenden Rechte durch sein neues Gesetz aufheben kann; daß
er dazu zuständig ist und daß sein Gesetz, wie es auch lauten mag,
verbindlich ist. Die Frage ist nur, ob er ein solches Gesetz er-
lassen soll; ob ihm in allgemeingültiger Weise aufgegeben werden
kann, wann er, in richtiger Ausübung seiner gesetzgeberischen
Aufgabe, als gewissenhafter und folgerichtig urteilender Gesetz-
geber bestehende Rechte aufheben kann und wann nicht.

Die Frage ist berechtigt und unabweisbar: man kann ihr
nicht entgehen mit der Bemerkung, alles, was der Gesetzgeber
vorschreibe, sei verbindlich, und darüber, was er vorschreiben
solle, gebe es keine rechtlichen Normen. Gewiß gibt es darüber
nicht fertige, geltende Rechtssätze; sonst bliebe dem Gesetzgeber
keine Arbeit mehr zu tun. Die Arbeit des Gesetzgebers besteht
ja gerade darin, in sachlicher Abwägung der Interessen die unter
den gegebenen Voraussetzungen begründeten Rechtsnormen zu
finden. Welches diese Rechtsnormen sind, kann nicht allgemein-
gültig (ohne Rücksicht auf die gegebenen Voraussetzungen) ent-
schieden werden. Die Entscheidung kann aber, wenn die Gesetz-
gebung überhaupt einen Sinn haben soll, auch nicht rein zufällig
und willkürlich sein; was hier geprüft werden kann, ist aller-
dings nicht, wann die Abänderung früherer Rechte sachlich be-
gründet ist; das könnte nicht a priori, ohne Kenntnis der tat-
sächlichen Voraussetzungen, entschieden werden. Die Frage,
die wir in allgemeingültiger Weise stellen, und beantworten
können, ist nur die, ob dem Gesetzgeber, vorgängig dieser sach-
lichen Prüfung, die Abänderung gewisser gegebener Rechte all-
gemeingültig verwehrt werden kann; ohne Rücksicht also auf die
sachliche Begründetheit dieser Rechte, kraft begrifflich-logischen
Zwanges.

Wird die Frage in dieser genaueren Weise gestellt, so ist die
Antwort schon halb gegeben: wenn dem Gesetzgeber ohne Rück-

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
hältnisse, die ergangenen Urteile und Verfügungen bzw. die darin
begründeten Rechte als unabänderlich anzuerkennen habe. Diese
Frage stellt sich dem Gesetzgeber jedesmal, wo er vom geltenden
Recht zu einem neuen übergehen will, als eine Frage des Über-
gangsrechtes, des intertemporalen Rechts, wie es Affolter in
seinem Werke über intertemporales Privatrecht, 1902, genannt
hat. Vorausgesetzt ist hier immer, daß der Gesetzgeber die be-
stehenden Rechte durch sein neues Gesetz aufheben kann; daß
er dazu zuständig ist und daß sein Gesetz, wie es auch lauten mag,
verbindlich ist. Die Frage ist nur, ob er ein solches Gesetz er-
lassen soll; ob ihm in allgemeingültiger Weise aufgegeben werden
kann, wann er, in richtiger Ausübung seiner gesetzgeberischen
Aufgabe, als gewissenhafter und folgerichtig urteilender Gesetz-
geber bestehende Rechte aufheben kann und wann nicht.

Die Frage ist berechtigt und unabweisbar: man kann ihr
nicht entgehen mit der Bemerkung, alles, was der Gesetzgeber
vorschreibe, sei verbindlich, und darüber, was er vorschreiben
solle, gebe es keine rechtlichen Normen. Gewiß gibt es darüber
nicht fertige, geltende Rechtssätze; sonst bliebe dem Gesetzgeber
keine Arbeit mehr zu tun. Die Arbeit des Gesetzgebers besteht
ja gerade darin, in sachlicher Abwägung der Interessen die unter
den gegebenen Voraussetzungen begründeten Rechtsnormen zu
finden. Welches diese Rechtsnormen sind, kann nicht allgemein-
gültig (ohne Rücksicht auf die gegebenen Voraussetzungen) ent-
schieden werden. Die Entscheidung kann aber, wenn die Gesetz-
gebung überhaupt einen Sinn haben soll, auch nicht rein zufällig
und willkürlich sein; was hier geprüft werden kann, ist aller-
dings nicht, wann die Abänderung früherer Rechte sachlich be-
gründet ist; das könnte nicht a priori, ohne Kenntnis der tat-
sächlichen Voraussetzungen, entschieden werden. Die Frage,
die wir in allgemeingültiger Weise stellen, und beantworten
können, ist nur die, ob dem Gesetzgeber, vorgängig dieser sach-
lichen Prüfung, die Abänderung gewisser gegebener Rechte all-
gemeingültig verwehrt werden kann; ohne Rücksicht also auf die
sachliche Begründetheit dieser Rechte, kraft begrifflich-logischen
Zwanges.

Wird die Frage in dieser genaueren Weise gestellt, so ist die
Antwort schon halb gegeben: wenn dem Gesetzgeber ohne Rück-

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[88/0103] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. hältnisse, die ergangenen Urteile und Verfügungen bzw. die darin begründeten Rechte als unabänderlich anzuerkennen habe. Diese Frage stellt sich dem Gesetzgeber jedesmal, wo er vom geltenden Recht zu einem neuen übergehen will, als eine Frage des Über- gangsrechtes, des intertemporalen Rechts, wie es Affolter in seinem Werke über intertemporales Privatrecht, 1902, genannt hat. Vorausgesetzt ist hier immer, daß der Gesetzgeber die be- stehenden Rechte durch sein neues Gesetz aufheben kann; daß er dazu zuständig ist und daß sein Gesetz, wie es auch lauten mag, verbindlich ist. Die Frage ist nur, ob er ein solches Gesetz er- lassen soll; ob ihm in allgemeingültiger Weise aufgegeben werden kann, wann er, in richtiger Ausübung seiner gesetzgeberischen Aufgabe, als gewissenhafter und folgerichtig urteilender Gesetz- geber bestehende Rechte aufheben kann und wann nicht. Die Frage ist berechtigt und unabweisbar: man kann ihr nicht entgehen mit der Bemerkung, alles, was der Gesetzgeber vorschreibe, sei verbindlich, und darüber, was er vorschreiben solle, gebe es keine rechtlichen Normen. Gewiß gibt es darüber nicht fertige, geltende Rechtssätze; sonst bliebe dem Gesetzgeber keine Arbeit mehr zu tun. Die Arbeit des Gesetzgebers besteht ja gerade darin, in sachlicher Abwägung der Interessen die unter den gegebenen Voraussetzungen begründeten Rechtsnormen zu finden. Welches diese Rechtsnormen sind, kann nicht allgemein- gültig (ohne Rücksicht auf die gegebenen Voraussetzungen) ent- schieden werden. Die Entscheidung kann aber, wenn die Gesetz- gebung überhaupt einen Sinn haben soll, auch nicht rein zufällig und willkürlich sein; was hier geprüft werden kann, ist aller- dings nicht, wann die Abänderung früherer Rechte sachlich be- gründet ist; das könnte nicht a priori, ohne Kenntnis der tat- sächlichen Voraussetzungen, entschieden werden. Die Frage, die wir in allgemeingültiger Weise stellen, und beantworten können, ist nur die, ob dem Gesetzgeber, vorgängig dieser sach- lichen Prüfung, die Abänderung gewisser gegebener Rechte all- gemeingültig verwehrt werden kann; ohne Rücksicht also auf die sachliche Begründetheit dieser Rechte, kraft begrifflich-logischen Zwanges. Wird die Frage in dieser genaueren Weise gestellt, so ist die Antwort schon halb gegeben: wenn dem Gesetzgeber ohne Rück-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/103>, abgerufen am 24.11.2024.