venezianischen Erbarmens gab ihm den Gedanken ein, die Zangen der Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper awühlen zu lassen. -- Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der rö- mischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto; b-- das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; -- endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das cwichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; -- ein Cardinal d(Museum von Neapel); -- ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von grandiosen Zügen. -- Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte, hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Be- sitzer nicht. -- (Der einzige Schüler Sebastiano's, Tommaso Lau- ereti, verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatoren- palast auf dem Capitol -- Scenen der römischen Geschichte, M. Scae- vola, Brutus und seine Söhne etc. -- mehr das Vorbild Giulio's und Sodoma's; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als fNaturalist in Tintoretto's Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.)
Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträcht- glichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein hHalbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Ver- klärung des Cima als wie ein Bild aus G.'s Schule. (Ob richtig be- nannt?) -- Francesco Torbido, genannt il moro, brachte zuerst den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Ve- irona. Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter Coreggio's Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
venezianischen Erbarmens gab ihm den Gedanken ein, die Zangen der Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper awühlen zu lassen. — Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der rö- mischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto; b— das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; — endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das cwichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; — ein Cardinal d(Museum von Neapel); — ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von grandiosen Zügen. — Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte, hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Be- sitzer nicht. — (Der einzige Schüler Sebastiano’s, Tommaso Lau- ereti, verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatoren- palast auf dem Capitol — Scenen der römischen Geschichte, M. Scæ- vola, Brutus und seine Söhne etc. — mehr das Vorbild Giulio’s und Sodoma’s; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als fNaturalist in Tintoretto’s Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.)
Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträcht- glichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein hHalbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Ver- klärung des Cima als wie ein Bild aus G.’s Schule. (Ob richtig be- nannt?) — Francesco Torbido, genannt il moro, brachte zuerst den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Ve- irona. Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter Coreggio’s Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise.
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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
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Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper
wühlen zu lassen. — Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende
Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der rö-
mischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto;
— das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; —
endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns
lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das
wichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich
einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; — ein Cardinal
(Museum von Neapel); — ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von
grandiosen Zügen. — Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor
einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte,
hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Be-
sitzer nicht. — (Der einzige Schüler Sebastiano’s, Tommaso Lau-
reti, verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatoren-
palast auf dem Capitol — Scenen der römischen Geschichte, M. Scæ-
vola, Brutus und seine Söhne etc. — mehr das Vorbild Giulio’s und
Sodoma’s; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als
Naturalist in Tintoretto’s Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.)
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Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträcht-
lichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den
Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein
selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen
Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein
Halbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint
in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Ver-
klärung des Cima als wie ein Bild aus G.’s Schule. (Ob richtig be-
nannt?) — Francesco Torbido, genannt il moro, brachte zuerst
den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Ve-
rona. Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in
der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern
ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter
Coreggio’s Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem
eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 964. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/986>, abgerufen am 18.12.2024.
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