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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Christliche Architektur. Basiliken.
Baukunst wieder zu erwecken suchte, war die Herstellung desselben
sein Erstes.


Die meisten Basiliken haben so starke Veränderungen erlitten,
dass man nur mit Mühe sich den ursprünglichen Eindruck vergegen-
wärtigen kann. Da diese ganze Bauweise, mit der hohen Obermauer
über den Säulen, einem starken Erdbeben nicht leicht widerstand, durch
ihr hölzernes Dachwerk den Feuersbrünsten unterworfen war und auch
ohne dieses durch ihre eigene Leichtigkeit zum Umbau einlud, so sind
gewiss eine Menge Basiliken im Lauf der Zeit eingestürzt oder aus-
einandergenommen und grossentheils mit Benützung der alten Bau-
stücke wieder zusammengesetzt worden. Ausserdem ergaben sich Zu-
und Anbauten aller Art, Capellen, welchen zu Liebe alle Wände
durchbrochen wurden, neue Apsiden (zum Theil weil man Fenster
brauchte), neue Fassaden je nach dem Styl des Jahrhunderts u. dgl.
Zuletzt nahm sich nur zu oft der Barockstyl dieser baufälligen Kir-
chen an, schloss ihre Säulen halb oder ganz in seine Pfeiler ein und
überzog, was noch vom alten Bau übrig war, "harmonisch" mit seinen
Stuccaturen; namentlich waren ihm die alten Decken und gar das
sichtbare Sparrenwerk zuwider; im glücklichsten Fall nahmen über-
reich vergoldete Flachdecken, nur zu oft aber verschalte Gewölbe mit
modernen Ornamenten deren Stelle ein. Das Vermauern der Fenster
oben im Mittelschiff wurde so zur Regel, dass keine Basilica mehr
ihr volles altes Oberlicht geniesst. Höchstens den Mosaikboden aus-
genommen, wollte kein altchristliches oder mittelalterliches Detail mehr
zu dem modernen System der Altäre, der Chorstühle, der Wandma-
lereien passen; das Alte musste weichen. So giebt es nun durch
ganz Italien eine Menge Kirchen aus dem ersten Jahrtausend und den
beiden nächsten Jahrhunderten, welche noch ihre antiken Säulen mehr
oder weniger kenntlich aufweisen und auf den sonst als Ehrentitel
gebrauchten Namen Basilica der Kunstform halber Anspruch machen,
dabei aber einen überwiegend modernen Eindruck hervorbringen.

Wir wollen nur kurz andeuten, wie man die ursprüngliche Ge-
stalt der reichern Basiliken in Gedanken zu restauriren hat.

Vor Allem gehört dazu ein viereckiger Vorhof mit Hallen ringsum,

Christliche Architektur. Basiliken.
Baukunst wieder zu erwecken suchte, war die Herstellung desselben
sein Erstes.


Die meisten Basiliken haben so starke Veränderungen erlitten,
dass man nur mit Mühe sich den ursprünglichen Eindruck vergegen-
wärtigen kann. Da diese ganze Bauweise, mit der hohen Obermauer
über den Säulen, einem starken Erdbeben nicht leicht widerstand, durch
ihr hölzernes Dachwerk den Feuersbrünsten unterworfen war und auch
ohne dieses durch ihre eigene Leichtigkeit zum Umbau einlud, so sind
gewiss eine Menge Basiliken im Lauf der Zeit eingestürzt oder aus-
einandergenommen und grossentheils mit Benützung der alten Bau-
stücke wieder zusammengesetzt worden. Ausserdem ergaben sich Zu-
und Anbauten aller Art, Capellen, welchen zu Liebe alle Wände
durchbrochen wurden, neue Apsiden (zum Theil weil man Fenster
brauchte), neue Fassaden je nach dem Styl des Jahrhunderts u. dgl.
Zuletzt nahm sich nur zu oft der Barockstyl dieser baufälligen Kir-
chen an, schloss ihre Säulen halb oder ganz in seine Pfeiler ein und
überzog, was noch vom alten Bau übrig war, „harmonisch“ mit seinen
Stuccaturen; namentlich waren ihm die alten Decken und gar das
sichtbare Sparrenwerk zuwider; im glücklichsten Fall nahmen über-
reich vergoldete Flachdecken, nur zu oft aber verschalte Gewölbe mit
modernen Ornamenten deren Stelle ein. Das Vermauern der Fenster
oben im Mittelschiff wurde so zur Regel, dass keine Basilica mehr
ihr volles altes Oberlicht geniesst. Höchstens den Mosaikboden aus-
genommen, wollte kein altchristliches oder mittelalterliches Detail mehr
zu dem modernen System der Altäre, der Chorstühle, der Wandma-
lereien passen; das Alte musste weichen. So giebt es nun durch
ganz Italien eine Menge Kirchen aus dem ersten Jahrtausend und den
beiden nächsten Jahrhunderten, welche noch ihre antiken Säulen mehr
oder weniger kenntlich aufweisen und auf den sonst als Ehrentitel
gebrauchten Namen Basilica der Kunstform halber Anspruch machen,
dabei aber einen überwiegend modernen Eindruck hervorbringen.

Wir wollen nur kurz andeuten, wie man die ursprüngliche Ge-
stalt der reichern Basiliken in Gedanken zu restauriren hat.

Vor Allem gehört dazu ein viereckiger Vorhof mit Hallen ringsum,

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[76/0098] Christliche Architektur. Basiliken. Baukunst wieder zu erwecken suchte, war die Herstellung desselben sein Erstes. Die meisten Basiliken haben so starke Veränderungen erlitten, dass man nur mit Mühe sich den ursprünglichen Eindruck vergegen- wärtigen kann. Da diese ganze Bauweise, mit der hohen Obermauer über den Säulen, einem starken Erdbeben nicht leicht widerstand, durch ihr hölzernes Dachwerk den Feuersbrünsten unterworfen war und auch ohne dieses durch ihre eigene Leichtigkeit zum Umbau einlud, so sind gewiss eine Menge Basiliken im Lauf der Zeit eingestürzt oder aus- einandergenommen und grossentheils mit Benützung der alten Bau- stücke wieder zusammengesetzt worden. Ausserdem ergaben sich Zu- und Anbauten aller Art, Capellen, welchen zu Liebe alle Wände durchbrochen wurden, neue Apsiden (zum Theil weil man Fenster brauchte), neue Fassaden je nach dem Styl des Jahrhunderts u. dgl. Zuletzt nahm sich nur zu oft der Barockstyl dieser baufälligen Kir- chen an, schloss ihre Säulen halb oder ganz in seine Pfeiler ein und überzog, was noch vom alten Bau übrig war, „harmonisch“ mit seinen Stuccaturen; namentlich waren ihm die alten Decken und gar das sichtbare Sparrenwerk zuwider; im glücklichsten Fall nahmen über- reich vergoldete Flachdecken, nur zu oft aber verschalte Gewölbe mit modernen Ornamenten deren Stelle ein. Das Vermauern der Fenster oben im Mittelschiff wurde so zur Regel, dass keine Basilica mehr ihr volles altes Oberlicht geniesst. Höchstens den Mosaikboden aus- genommen, wollte kein altchristliches oder mittelalterliches Detail mehr zu dem modernen System der Altäre, der Chorstühle, der Wandma- lereien passen; das Alte musste weichen. So giebt es nun durch ganz Italien eine Menge Kirchen aus dem ersten Jahrtausend und den beiden nächsten Jahrhunderten, welche noch ihre antiken Säulen mehr oder weniger kenntlich aufweisen und auf den sonst als Ehrentitel gebrauchten Namen Basilica der Kunstform halber Anspruch machen, dabei aber einen überwiegend modernen Eindruck hervorbringen. Wir wollen nur kurz andeuten, wie man die ursprüngliche Ge- stalt der reichern Basiliken in Gedanken zu restauriren hat. Vor Allem gehört dazu ein viereckiger Vorhof mit Hallen ringsum,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/98>, abgerufen am 04.05.2024.