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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
a

Ebenda: la Zingarella, d. h. Madonna über das Kind gebeugt
auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel.
Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht
selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem
Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung
vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit.

b

Auch die grosse Frescomadonna in der Galerie von Parma
zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linien-
motive C.'s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (der-
gleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weib-
lichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen
und Mündchen.

c

Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella, eine Scene
der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen
Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herr-
lichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild
wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwie-
gend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fan-
gen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man
sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem
Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur
nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu
stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt
verpflichtet.

d

Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch
eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen
sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher
wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind,
welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren
der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso
der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht 1). Nur

1) So dass man sich des Gedankens an eine ganz bestimmte Absicht kaum er-
wehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi's Sti-
chen die Köpfe nicht selten versüsst sind -- diess unbeschadet der hohen
Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende
in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
a

Ebenda: la Zingarella, d. h. Madonna über das Kind gebeugt
auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel.
Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht
selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem
Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung
vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit.

b

Auch die grosse Frescomadonna in der Galerie von Parma
zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linien-
motive C.’s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (der-
gleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weib-
lichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen
und Mündchen.

c

Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella, eine Scene
der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen
Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herr-
lichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild
wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwie-
gend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fan-
gen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man
sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem
Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur
nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu
stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt
verpflichtet.

d

Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch
eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen
sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher
wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind,
welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren
der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso
der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht 1). Nur

1) So dass man sich des Gedankens an eine ganz bestimmte Absicht kaum er-
wehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi’s Sti-
chen die Köpfe nicht selten versüsst sind — diess unbeschadet der hohen
Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende
in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu
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[954/0976] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. Ebenda: la Zingarella, d. h. Madonna über das Kind gebeugt auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel. Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit. Auch die grosse Frescomadonna in der Galerie von Parma zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linien- motive C.’s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (der- gleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weib- lichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen und Mündchen. Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella, eine Scene der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herr- lichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwie- gend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fan- gen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt verpflichtet. Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind, welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht 1). Nur 1) So dass man sich des Gedankens an eine ganz bestimmte Absicht kaum er- wehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi’s Sti- chen die Köpfe nicht selten versüsst sind — diess unbeschadet der hohen Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 954. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/976>, abgerufen am 18.12.2024.