Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena.
adurch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico
zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts)
mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren-
reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes
in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver-
zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol-
denen Zeit an 1). -- Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass
Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige
keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird
bman dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die
vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S.
Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen
Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel-
fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er-
cscheinen 2). Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten
begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei
(in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn-
dliches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa-
eloniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte
Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde
als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und
S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den
fin die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das
grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick
der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg
und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse
gEinzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat
der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters
hMonte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So-
doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem
Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom
Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent-
sprechen.)

1) Bestes Licht: gegen Mittag.
2) Bestes Licht: Nachmittags.

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena.
adurch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico
zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts)
mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren-
reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes
in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver-
zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol-
denen Zeit an 1). — Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass
Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige
keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird
bman dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die
vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S.
Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen
Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel-
fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er-
cscheinen 2). Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten
begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei
(in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn-
dliches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa-
eloniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte
Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde
als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und
S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den
fin die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das
grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick
der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg
und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse
gEinzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat
der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters
hMonte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So-
doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem
Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom
Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent-
sprechen.)

1) Bestes Licht: gegen Mittag.
2) Bestes Licht: Nachmittags.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0968" n="946"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena.</hi></fw><lb/><note place="left">a</note>durch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico<lb/>
zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts)<lb/>
mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren-<lb/>
reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes<lb/>
in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver-<lb/>
zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol-<lb/>
denen Zeit an <note place="foot" n="1)">Bestes Licht: gegen Mittag.</note>. &#x2014; Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass<lb/>
Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige<lb/>
keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird<lb/><note place="left">b</note>man dessen gewahr in S. <hi rendition="#g">Bernardino</hi> (oberes Oratorium) wo die<lb/>
vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S.<lb/>
Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen<lb/>
Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel-<lb/>
fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er-<lb/><note place="left">c</note>scheinen <note place="foot" n="2)">Bestes Licht: Nachmittags.</note>. Im <hi rendition="#g">Pal. pubblico</hi> sind die drei fast nur von Putten<lb/>
begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei<lb/>
(in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn-<lb/><note place="left">d</note>liches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa-<lb/><note place="left">e</note>loniere) nur im Detail trefflich. In S. <hi rendition="#g">Spirito</hi> (1. Cap. rechts) malte<lb/>
Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde<lb/>
als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und<lb/>
S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den<lb/><note place="left">f</note>in die <hi rendition="#g">Academie</hi> gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das<lb/>
grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick<lb/>
der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg<lb/>
und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse<lb/><note place="left">g</note>Einzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat<lb/>
der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters<lb/><note place="left">h</note><hi rendition="#g">Monte Oliveto</hi> unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So-<lb/>
doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem<lb/>
Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom<lb/>
Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent-<lb/>
sprechen.)</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[946/0968] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena. durch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts) mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren- reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver- zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol- denen Zeit an 1). — Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird man dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S. Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel- fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er- scheinen 2). Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei (in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn- liches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa- loniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den in die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse Einzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters Monte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So- doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent- sprechen.) a b c d e f g h 1) Bestes Licht: gegen Mittag. 2) Bestes Licht: Nachmittags.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/968
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 946. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/968>, abgerufen am 18.12.2024.