Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.

Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier),
welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer-
ahaus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare
Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise
aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d'Eliodoro liess sich auch Rafael
einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino
herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herr-
lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch
gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung
schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt
nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss
menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in
seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres
ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von
Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt
sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer
Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich
von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird
man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie
wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war;
nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und
zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als
die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt
"correktere" Gestalten aus der David'schen Schule, wer möchte sie
aber gegen diese eintauschen?

In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518--20) schuf dann Ra-
bfael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für
die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von
Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere)
von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei-
sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben;
um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der
Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine
flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor-
derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der
Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri-

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.

Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier),
welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer-
ahaus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare
Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise
aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d’Eliodoro liess sich auch Rafael
einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino
herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herr-
lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch
gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung
schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt
nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss
menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in
seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres
ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von
Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt
sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer
Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich
von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird
man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie
wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war;
nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und
zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als
die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt
„correktere“ Gestalten aus der David’schen Schule, wer möchte sie
aber gegen diese eintauschen?

In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518—20) schuf dann Ra-
bfael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für
die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von
Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere)
von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei-
sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben;
um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der
Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine
flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor-
derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der
Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0954" n="932"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.</hi> </fw><lb/>
        <p>Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier),<lb/>
welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer-<lb/><note place="left">a</note>haus der Erde, die <hi rendition="#g">Farnesina</hi> an der Longara zu Rom. Baldassare<lb/>
Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise<lb/>
aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d&#x2019;Eliodoro liess sich auch Rafael<lb/>
einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino<lb/>
herbei, und malte in dem Nebenraum links die <hi rendition="#g">Galatea</hi>, das herr-<lb/>
lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch<lb/>
gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung<lb/>
schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt<lb/>
nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss<lb/>
menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in<lb/>
seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres<lb/>
ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von<lb/>
Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt<lb/>
sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer<lb/>
Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich<lb/>
von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird<lb/>
man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie<lb/>
wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war;<lb/>
nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und<lb/>
zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als<lb/>
die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt<lb/>
&#x201E;correktere&#x201C; Gestalten aus der David&#x2019;schen Schule, wer möchte sie<lb/>
aber gegen diese eintauschen?</p><lb/>
        <p>In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518&#x2014;20) schuf dann Ra-<lb/><note place="left">b</note>fael die Entwürfe zu der berühmten <hi rendition="#g">Geschichte der Psyche</hi> für<lb/>
die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von<lb/>
Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere)<lb/>
von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei-<lb/>
sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben;<lb/>
um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der<lb/>
Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine<lb/>
flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor-<lb/>
derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der<lb/>
Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[932/0954] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier), welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer- haus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d’Eliodoro liess sich auch Rafael einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herr- lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war; nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt „correktere“ Gestalten aus der David’schen Schule, wer möchte sie aber gegen diese eintauschen? a In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518—20) schuf dann Ra- fael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere) von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei- sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben; um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor- derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri- b

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/954
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/954>, abgerufen am 18.12.2024.