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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Porträts der römischen Zeit.
rigen Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals,
eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem
Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unbe-
rührt geblieben, ist höchst gediegen.

Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael maltea
im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahr-
scheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höch-
sten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses
Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann
nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt.

Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bes-
sern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionar-
do's hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses
Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen
Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doriab
zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht
von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Neben-
sachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der
süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide
und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen.

Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in derc
Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und
des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein
Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss
des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird.
Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne
Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten 1).

Die wahre Fornarina, Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig
anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberinid
zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal.e
Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Act-f
bild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler ver-

1) Das gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in*
der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier
goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma
vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V.

Porträts der römischen Zeit.
rigen Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals,
eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem
Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unbe-
rührt geblieben, ist höchst gediegen.

Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael maltea
im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahr-
scheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höch-
sten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses
Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann
nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt.

Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bes-
sern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionar-
do’s hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses
Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen
Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doriab
zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht
von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Neben-
sachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der
süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide
und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen.

Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in derc
Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und
des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein
Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss
des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird.
Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne
Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten 1).

Die wahre Fornarina, Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig
anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberinid
zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal.e
Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Act-f
bild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler ver-

1) Das gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in*
der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier
goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma
vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V.
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[909/0931] Porträts der römischen Zeit. rigen Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals, eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unbe- rührt geblieben, ist höchst gediegen. Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael malte im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahr- scheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höch- sten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt. a Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bes- sern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionar- do’s hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doria zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Neben- sachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen. b Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in der Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird. Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten 1). c Die wahre Fornarina, Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberini zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal. Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Act- bild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler ver- d e f 1) Das gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 909. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/931>, abgerufen am 26.05.2024.