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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch
jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches
Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Ge-
walt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor
der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern
ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess.
-- Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles über-
treffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Ra-
fael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer
grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der ver-
schiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange
der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte,
schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem
Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss.


Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern,
welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters
an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen bei-
behalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei,
die in R.'s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller
Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man
aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio's
verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren
Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen
dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf
gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere
Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung ge-
wiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto's
aCopie nach dem Bildniss Leo's X, welche sich im Museum von Neapel
befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt,
zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt ge-
wesen sein muss.

Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Aus-
lande. Von der Madonna di Casa d'Alba, einem Rundbilde mit ganzen
bFiguren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch
jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches
Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Ge-
walt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor
der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern
ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess.
— Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles über-
treffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Ra-
fael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer
grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der ver-
schiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange
der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte,
schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem
Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss.


Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern,
welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters
an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen bei-
behalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei,
die in R.’s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller
Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man
aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio’s
verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren
Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen
dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf
gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere
Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung ge-
wiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto’s
aCopie nach dem Bildniss Leo’s X, welche sich im Museum von Neapel
befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt,
zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt ge-
wesen sein muss.

Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Aus-
lande. Von der Madonna di Casa d’Alba, einem Rundbilde mit ganzen
bFiguren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine

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[898/0920] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Ge- walt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess. — Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles über- treffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Ra- fael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der ver- schiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte, schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss. Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern, welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen bei- behalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei, die in R.’s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio’s verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung ge- wiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto’s Copie nach dem Bildniss Leo’s X, welche sich im Museum von Neapel befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt, zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt ge- wesen sein muss. a Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Aus- lande. Von der Madonna di Casa d’Alba, einem Rundbilde mit ganzen Figuren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine b

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 898. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/920>, abgerufen am 19.05.2024.