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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Pompejanische Scenographie.
Säulchen werden theils zu schlanken goldfarbigen Stäben mit Canne-
lirungen, theils zu Schilfrohren, von deren Knoten sich jedesmal ein
Blatt ablöst, ähnlich wie an vielen Candelabern; ja bisweilen wird
eine ganze reiche Schale rings umgelegt; auch blüht wohl eine mensch-
liche Figur als Träger daraus empor. Die Gebälke, oft mit reichen
Verkröpfungen, werden ganz dünn, unten geschwungen gebildet und
meist bloss mit einer Reihe von Consolen, kaum je mit vollständigem
Architrav, Fries und Deckgesimse versehen. Dieselbe Leichtfertigkeit
spricht sich in den Giebeln aus, welche nach Belieben gebrochen, hal-
birt, geschwungen werden. Wo es sich um Untensicht und Schiefsicht,
z. B. beim Innern von Dächern etc. handelt, scheint die Perspective
oft sehr willkürlich und falsch, man wird sie aber in der Regel deco-
rativ-richtig empfunden nennen müssen.

Der besondere Schmuck dieser idealen, ins Enge und Schlanke zu-
sammengerückten Architektur sind vor Allem schöne Giebelzierrathen.
Man kann nichts Anmuthigeres sehen als die blasenden Tritone, die
Victorien, die mit dem Ruder ausgreifende Scylla, die Schwäne,
Sphinxe, Seegreife und andere Figuren, welche die zarten Gesimse
und Giebel krönen. Dann finden sich Gänge, Balustraden, auf wel-
chen Gefässe, Masken u. dgl. stehen, und ein (mit Maassen angewand-
ter) Schmuck von Bogenlauben und Guirlanden. Letztere hängen oft
von einem kleinen goldenen Schilde zu beiden Seiten herunter 1). --
Es giebt auch einzelne Beispiele einer mehr der Wirklichkeit sich
nähernden Perspective, mit Aussichten auf Tempel, Stadtmauern u. dgl.
(so im dritten Saal des Museums links, und in den hintern Räumena
der Casa del labirinto zu Pompeji); allein im Ganzen hat die obenb
dargestellte Behandlung das grosse Übergewicht. In einzelnen Bei-
spielen (Museum, erster Saal unten, rechts) ist die ganze Architekturc
und einige Theile der sonstigen Decoration von hellem Stucco erha-
ben aufgesetzt, wirkt aber so nicht gut.

wie die antike, weil durch ihr inneres Gesetz der Entwicklung nach
oben
der Stoff bereits überwunden ist.
1) Vielleicht nur eine veredelte Reminiscenz der Eimerkette, welche von ihrer
Rolle herunterhängt. Man wird erst spät inne, aus wie kleinen Motiven die
Kunst Zierliches und selbst Schönes zu schaffen weiss.

Pompejanische Scenographie.
Säulchen werden theils zu schlanken goldfarbigen Stäben mit Canne-
lirungen, theils zu Schilfrohren, von deren Knoten sich jedesmal ein
Blatt ablöst, ähnlich wie an vielen Candelabern; ja bisweilen wird
eine ganze reiche Schale rings umgelegt; auch blüht wohl eine mensch-
liche Figur als Träger daraus empor. Die Gebälke, oft mit reichen
Verkröpfungen, werden ganz dünn, unten geschwungen gebildet und
meist bloss mit einer Reihe von Consolen, kaum je mit vollständigem
Architrav, Fries und Deckgesimse versehen. Dieselbe Leichtfertigkeit
spricht sich in den Giebeln aus, welche nach Belieben gebrochen, hal-
birt, geschwungen werden. Wo es sich um Untensicht und Schiefsicht,
z. B. beim Innern von Dächern etc. handelt, scheint die Perspective
oft sehr willkürlich und falsch, man wird sie aber in der Regel deco-
rativ-richtig empfunden nennen müssen.

Der besondere Schmuck dieser idealen, ins Enge und Schlanke zu-
sammengerückten Architektur sind vor Allem schöne Giebelzierrathen.
Man kann nichts Anmuthigeres sehen als die blasenden Tritone, die
Victorien, die mit dem Ruder ausgreifende Scylla, die Schwäne,
Sphinxe, Seegreife und andere Figuren, welche die zarten Gesimse
und Giebel krönen. Dann finden sich Gänge, Balustraden, auf wel-
chen Gefässe, Masken u. dgl. stehen, und ein (mit Maassen angewand-
ter) Schmuck von Bogenlauben und Guirlanden. Letztere hängen oft
von einem kleinen goldenen Schilde zu beiden Seiten herunter 1). —
Es giebt auch einzelne Beispiele einer mehr der Wirklichkeit sich
nähernden Perspective, mit Aussichten auf Tempel, Stadtmauern u. dgl.
(so im dritten Saal des Museums links, und in den hintern Räumena
der Casa del labirinto zu Pompeji); allein im Ganzen hat die obenb
dargestellte Behandlung das grosse Übergewicht. In einzelnen Bei-
spielen (Museum, erster Saal unten, rechts) ist die ganze Architekturc
und einige Theile der sonstigen Decoration von hellem Stucco erha-
ben aufgesetzt, wirkt aber so nicht gut.

wie die antike, weil durch ihr inneres Gesetz der Entwicklung nach
oben
der Stoff bereits überwunden ist.
1) Vielleicht nur eine veredelte Reminiscenz der Eimerkette, welche von ihrer
Rolle herunterhängt. Man wird erst spät inne, aus wie kleinen Motiven die
Kunst Zierliches und selbst Schönes zu schaffen weiss.
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[61/0083] Pompejanische Scenographie. Säulchen werden theils zu schlanken goldfarbigen Stäben mit Canne- lirungen, theils zu Schilfrohren, von deren Knoten sich jedesmal ein Blatt ablöst, ähnlich wie an vielen Candelabern; ja bisweilen wird eine ganze reiche Schale rings umgelegt; auch blüht wohl eine mensch- liche Figur als Träger daraus empor. Die Gebälke, oft mit reichen Verkröpfungen, werden ganz dünn, unten geschwungen gebildet und meist bloss mit einer Reihe von Consolen, kaum je mit vollständigem Architrav, Fries und Deckgesimse versehen. Dieselbe Leichtfertigkeit spricht sich in den Giebeln aus, welche nach Belieben gebrochen, hal- birt, geschwungen werden. Wo es sich um Untensicht und Schiefsicht, z. B. beim Innern von Dächern etc. handelt, scheint die Perspective oft sehr willkürlich und falsch, man wird sie aber in der Regel deco- rativ-richtig empfunden nennen müssen. Der besondere Schmuck dieser idealen, ins Enge und Schlanke zu- sammengerückten Architektur sind vor Allem schöne Giebelzierrathen. Man kann nichts Anmuthigeres sehen als die blasenden Tritone, die Victorien, die mit dem Ruder ausgreifende Scylla, die Schwäne, Sphinxe, Seegreife und andere Figuren, welche die zarten Gesimse und Giebel krönen. Dann finden sich Gänge, Balustraden, auf wel- chen Gefässe, Masken u. dgl. stehen, und ein (mit Maassen angewand- ter) Schmuck von Bogenlauben und Guirlanden. Letztere hängen oft von einem kleinen goldenen Schilde zu beiden Seiten herunter 1). — Es giebt auch einzelne Beispiele einer mehr der Wirklichkeit sich nähernden Perspective, mit Aussichten auf Tempel, Stadtmauern u. dgl. (so im dritten Saal des Museums links, und in den hintern Räumen der Casa del labirinto zu Pompeji); allein im Ganzen hat die oben dargestellte Behandlung das grosse Übergewicht. In einzelnen Bei- spielen (Museum, erster Saal unten, rechts) ist die ganze Architektur und einige Theile der sonstigen Decoration von hellem Stucco erha- ben aufgesetzt, wirkt aber so nicht gut. a b c 2) 1) Vielleicht nur eine veredelte Reminiscenz der Eimerkette, welche von ihrer Rolle herunterhängt. Man wird erst spät inne, aus wie kleinen Motiven die Kunst Zierliches und selbst Schönes zu schaffen weiss. 2) wie die antike, weil durch ihr inneres Gesetz der Entwicklung nach oben der Stoff bereits überwunden ist.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/83>, abgerufen am 04.05.2024.