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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
a

Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen
mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel
an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine An-
betung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines
Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bil-
dern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und
die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläum-
dung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier
wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; -- endlich aber die
auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte
Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch
einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich
bdem mythologischen unvermerkt substituirt. -- In der Academie: (Sala
delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen
will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch un-
rein; -- sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit
vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; -- viel werth-
voller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener
grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in
eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hof-
haltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, son-
dern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur.
cEiniges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. -- In Ognissanti, rechts,
dder S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo's Hieronymus.

Filippino Lippi (1460--1505) Filippo's Sohn und Sandro's
Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich
übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die
egrosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). --
Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der
vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne
die Schattenseiten der spätern Werke Filippino's (bunte Überfüllung,
schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Heran-
nahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine
S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als "Filippo L." be-
fnannt, ist eher von Filippino.) -- Sein bestes Tafelbild, in der Badia,
Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln

Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner.
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Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen
mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel
an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine An-
betung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines
Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bil-
dern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und
die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläum-
dung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier
wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; — endlich aber die
auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte
Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch
einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich
bdem mythologischen unvermerkt substituirt. — In der Academie: (Sala
delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen
will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch un-
rein; — sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit
vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; — viel werth-
voller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener
grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in
eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hof-
haltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, son-
dern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur.
cEiniges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. — In Ognissanti, rechts,
dder S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo’s Hieronymus.

Filippino Lippi (1460—1505) Filippo’s Sohn und Sandro’s
Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich
übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die
egrosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). —
Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der
vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne
die Schattenseiten der spätern Werke Filippino’s (bunte Überfüllung,
schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Heran-
nahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine
S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als „Filippo L.“ be-
fnannt, ist eher von Filippino.) — Sein bestes Tafelbild, in der Badia,
Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln

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[802/0824] Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine An- betung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bil- dern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläum- dung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; — endlich aber die auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich dem mythologischen unvermerkt substituirt. — In der Academie: (Sala delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch un- rein; — sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; — viel werth- voller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hof- haltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, son- dern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur. Einiges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. — In Ognissanti, rechts, der S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo’s Hieronymus. b c d Filippino Lippi (1460—1505) Filippo’s Sohn und Sandro’s Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die grosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). — Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne die Schattenseiten der spätern Werke Filippino’s (bunte Überfüllung, schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Heran- nahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als „Filippo L.“ be- nannt, ist eher von Filippino.) — Sein bestes Tafelbild, in der Badia, Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln e f

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/824>, abgerufen am 09.06.2024.