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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts.
ziehungen erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in
die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr
fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige
Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe
Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und
Trauer in Köpfen und Geberden schildern -- lauter Elemente die ohne-
hin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christ-
liche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen
Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht ge-
stört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Aus-
druckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern
Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich
ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon
durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die
weder Sammt noch Seide unterscheiden will) und noch mehr durch
eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen
können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen ver-
stärken hilft.

Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und
der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf
der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen
Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in
Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst
reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste
der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass
abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der
Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus;
wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel
als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich
jetzt die Thatsache, das "Geschehen", bequem in weiten Räumen, so
dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche
Mittel der Verdeutlichung dienen können; -- wenn das XIV. Jahrh.
die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unent-
behrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine
wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert.

Malerei des XV. Jahrhunderts.
ziehungen erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in
die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr
fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige
Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe
Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und
Trauer in Köpfen und Geberden schildern — lauter Elemente die ohne-
hin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christ-
liche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen
Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht ge-
stört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Aus-
druckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern
Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich
ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon
durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die
weder Sammt noch Seide unterscheiden will) und noch mehr durch
eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen
können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen ver-
stärken hilft.

Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und
der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf
der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen
Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in
Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst
reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste
der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass
abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der
Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus;
wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel
als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich
jetzt die Thatsache, das „Geschehen“, bequem in weiten Räumen, so
dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche
Mittel der Verdeutlichung dienen können; — wenn das XIV. Jahrh.
die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unent-
behrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine
wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert.

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[794/0816] Malerei des XV. Jahrhunderts. ziehungen erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und Trauer in Köpfen und Geberden schildern — lauter Elemente die ohne- hin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christ- liche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht ge- stört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Aus- druckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die weder Sammt noch Seide unterscheiden will) und noch mehr durch eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen ver- stärken hilft. Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus; wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich jetzt die Thatsache, das „Geschehen“, bequem in weiten Räumen, so dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche Mittel der Verdeutlichung dienen können; — wenn das XIV. Jahrh. die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unent- behrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 794. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/816>, abgerufen am 18.12.2024.