Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all- gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends awiderlich wird. Die Art, wie Pluto's Finger in das Fleisch der Pro- serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und bDaphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf jede Weise raffinirt.
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri- sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo's zu wett- eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti- scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht. Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her (Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen cder grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand- lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe dihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar- berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg- fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes- seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich, welche im idealen Alles verderben.
Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na- turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick- licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B. ePuget's S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner- hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei- sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine so ernstliche Virtuosität einzulassen.
Barocksculptur. Behandlung des Nackten.
Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all- gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends awiderlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro- serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und bDaphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf jede Weise raffinirt.
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri- sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett- eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti- scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht. Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her (Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen cder grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand- lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe dihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar- berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg- fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes- seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich, welche im idealen Alles verderben.
Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na- turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick- licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B. ePuget’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner- hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei- sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine so ernstliche Virtuosität einzulassen.
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Barocksculptur. Behandlung des Nackten.
Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung.
Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen
wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends
widerlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro-
serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung
berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
Daphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem
Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf
jede Weise raffinirt.
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Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri-
sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett-
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen
der grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe
ihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar-
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-
fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,
welche im idealen Alles verderben.
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Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.
Puget’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei-
sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine
so ernstliche Virtuosität einzulassen.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/716>, abgerufen am 18.12.2024.
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