Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Barocksculptur. Behandlung des Nackten.

Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen
ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung.
Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen
wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends
awiderlich wird. Die Art, wie Pluto's Finger in das Fleisch der Pro-
serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung
berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
bDaphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem
Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf
jede Weise raffinirt.

Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri-
sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo's zu wett-
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen
cder grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe
dihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar-
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-
fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,
welche im idealen Alles verderben.

Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.
ePuget's S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei-
sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine
so ernstliche Virtuosität einzulassen.

Barocksculptur. Behandlung des Nackten.

Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen
ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung.
Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen
wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends
awiderlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro-
serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung
berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
bDaphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem
Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf
jede Weise raffinirt.

Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri-
sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett-
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen
cder grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe
dihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar-
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-
fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,
welche im idealen Alles verderben.

Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.
ePuget’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei-
sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine
so ernstliche Virtuosität einzulassen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0716" n="694"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Barocksculptur. Behandlung des Nackten.</hi> </fw><lb/>
        <p>Auch seine Behandlung der <hi rendition="#g">menschlichen Gestalt im all-<lb/>
gemeinen</hi> ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung.<lb/>
Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen<lb/>
wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends<lb/><note place="left">a</note>widerlich wird. Die Art, wie Pluto&#x2019;s Finger in das Fleisch der Pro-<lb/>
serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung<lb/>
berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und<lb/><note place="left">b</note>Daphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit<lb/>
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem<lb/>
Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf<lb/>
jede Weise raffinirt.</p><lb/>
        <p>Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri-<lb/>
sche <hi rendition="#g">Musculatur</hi>, die sich mit derjenigen Michelangelo&#x2019;s zu wett-<lb/>
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-<lb/>
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.<lb/>
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her<lb/>
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen<lb/><note place="left">c</note>der grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der<lb/>
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-<lb/>
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe<lb/><note place="left">d</note>ihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der <hi rendition="#g">Triton</hi> der Piazza Bar-<lb/>
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-<lb/>
fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-<lb/>
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit<lb/>
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie<lb/>
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen<lb/>
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,<lb/>
welche im idealen Alles verderben.</p><lb/>
        <p>Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-<lb/>
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-<lb/>
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.<lb/><note place="left">e</note><hi rendition="#g">Puget</hi>&#x2019;s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der<lb/>
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-<lb/>
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei-<lb/>
sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine<lb/>
so ernstliche Virtuosität einzulassen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[694/0716] Barocksculptur. Behandlung des Nackten. Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all- gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends widerlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro- serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und Daphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf jede Weise raffinirt. a b Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri- sche Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett- eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti- scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht. Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her (Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen der grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand- lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe ihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar- berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg- fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes- seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich, welche im idealen Alles verderben. c d Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na- turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick- licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B. Puget’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner- hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei- sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine so ernstliche Virtuosität einzulassen. e

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/716
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/716>, abgerufen am 11.06.2024.