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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Architektur. Thermen des Titus und Caracalla.
noch das grosse zehneckige Kuppelgebäude mit dem irrigen Namen
eines "Tempels der Minerva medica" erhalten, unweit von Porta mag-
giore. Welche Function dieser Raum in den Thermen hatte, wollen
wir nicht errathen; genug dass schon hier, so bald nach Erbauung
des Pantheons, die entscheidenden Veränderungen im Kuppelbau als
vollendete Thatsache vor uns stehen: die polygone Form zu Gunsten
des Anschlusses der untern Nischen, sodass jedoch in der Kuppel selbst
durch den Stuccoüberzug der Anschein der Halbkugelform beibehalten
wird; merkwürdig ist auch die Ersetzung des Kuppellichtes durch
Fenster über den Nischen. (Die Mitte der Kuppel, welche seit nicht
sehr langer Zeit eingestürzt ist, erscheint in allen frühern Abbildun-
gen als geschlossen.) So war schon um die Zeit von Christi Geburt
das fertige Vorbild für die spätern Kuppelkirchen gegeben. -- Von der
vermuthlichen Bekleidung des Innern mit Säulen und durchgehenden
Gebälken ist nicht einmal eine Andeutung auf unsere Zeit gekommen.
Der jetzt noch hie und da erhaltene Stucco möchte kaum der ursprüng-
liche sein.

a

Die Thermen des Titus und des Trajan, wunderlich durch
einander gebaut, geben in ihren jetzt noch zugänglichen Theilen einen
Begriff zwar nicht mehr von der längst ausgeraubten Prachtausstattung,
wohl aber von der gewaltigen Höhe der einst wie jetzt dunkeln und
auf künstliche Beleuchtung berechneten Gemächer. Der Grundriss ist,
soweit man ihn verfolgen kann, der besondern Umstände wegen nicht
massgebend.

Architektonisch die bedeutendsten Thermen sind oder waren die-
bjenigen des Caracalla. Vier Hauptmotive waren hier, wie es scheint,
unvergleichlich grandios durchgeführt: 1) Die grossen, etwas oblongen
gewölbten Schwimmsäle, auf Pfeilern und Säulen ruhend (?) an bei-
den Enden, 2) die vordere Halle, der Breite nach von vier Säulen-
stellungen durchzogen, 3) der mittlere Langraum (Pinakothek) und
4) der hohe runde Ausbau nach hinten, von welchen nur die Ansätze
vorhanden sind; -- zahlreicher Übergangsräume, Anbauten und Aussen-
werke nicht zu gedenken. Das Ganze lag so hoch, dass es noch jetzt
wie auf einer Terrasse zu stehen scheint. Wie sich das obere Stock-
werk zwischen und über den Haupträumen hinzog, ist bei seiner fast
gänzlichen Zerstörung schwer zu sagen. Um das Bild des wichtigsten

Architektur. Thermen des Titus und Caracalla.
noch das grosse zehneckige Kuppelgebäude mit dem irrigen Namen
eines „Tempels der Minerva medica“ erhalten, unweit von Porta mag-
giore. Welche Function dieser Raum in den Thermen hatte, wollen
wir nicht errathen; genug dass schon hier, so bald nach Erbauung
des Pantheons, die entscheidenden Veränderungen im Kuppelbau als
vollendete Thatsache vor uns stehen: die polygone Form zu Gunsten
des Anschlusses der untern Nischen, sodass jedoch in der Kuppel selbst
durch den Stuccoüberzug der Anschein der Halbkugelform beibehalten
wird; merkwürdig ist auch die Ersetzung des Kuppellichtes durch
Fenster über den Nischen. (Die Mitte der Kuppel, welche seit nicht
sehr langer Zeit eingestürzt ist, erscheint in allen frühern Abbildun-
gen als geschlossen.) So war schon um die Zeit von Christi Geburt
das fertige Vorbild für die spätern Kuppelkirchen gegeben. — Von der
vermuthlichen Bekleidung des Innern mit Säulen und durchgehenden
Gebälken ist nicht einmal eine Andeutung auf unsere Zeit gekommen.
Der jetzt noch hie und da erhaltene Stucco möchte kaum der ursprüng-
liche sein.

a

Die Thermen des Titus und des Trajan, wunderlich durch
einander gebaut, geben in ihren jetzt noch zugänglichen Theilen einen
Begriff zwar nicht mehr von der längst ausgeraubten Prachtausstattung,
wohl aber von der gewaltigen Höhe der einst wie jetzt dunkeln und
auf künstliche Beleuchtung berechneten Gemächer. Der Grundriss ist,
soweit man ihn verfolgen kann, der besondern Umstände wegen nicht
massgebend.

Architektonisch die bedeutendsten Thermen sind oder waren die-
bjenigen des Caracalla. Vier Hauptmotive waren hier, wie es scheint,
unvergleichlich grandios durchgeführt: 1) Die grossen, etwas oblongen
gewölbten Schwimmsäle, auf Pfeilern und Säulen ruhend (?) an bei-
den Enden, 2) die vordere Halle, der Breite nach von vier Säulen-
stellungen durchzogen, 3) der mittlere Langraum (Pinakothek) und
4) der hohe runde Ausbau nach hinten, von welchen nur die Ansätze
vorhanden sind; — zahlreicher Übergangsräume, Anbauten und Aussen-
werke nicht zu gedenken. Das Ganze lag so hoch, dass es noch jetzt
wie auf einer Terrasse zu stehen scheint. Wie sich das obere Stock-
werk zwischen und über den Haupträumen hinzog, ist bei seiner fast
gänzlichen Zerstörung schwer zu sagen. Um das Bild des wichtigsten

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[48/0070] Architektur. Thermen des Titus und Caracalla. noch das grosse zehneckige Kuppelgebäude mit dem irrigen Namen eines „Tempels der Minerva medica“ erhalten, unweit von Porta mag- giore. Welche Function dieser Raum in den Thermen hatte, wollen wir nicht errathen; genug dass schon hier, so bald nach Erbauung des Pantheons, die entscheidenden Veränderungen im Kuppelbau als vollendete Thatsache vor uns stehen: die polygone Form zu Gunsten des Anschlusses der untern Nischen, sodass jedoch in der Kuppel selbst durch den Stuccoüberzug der Anschein der Halbkugelform beibehalten wird; merkwürdig ist auch die Ersetzung des Kuppellichtes durch Fenster über den Nischen. (Die Mitte der Kuppel, welche seit nicht sehr langer Zeit eingestürzt ist, erscheint in allen frühern Abbildun- gen als geschlossen.) So war schon um die Zeit von Christi Geburt das fertige Vorbild für die spätern Kuppelkirchen gegeben. — Von der vermuthlichen Bekleidung des Innern mit Säulen und durchgehenden Gebälken ist nicht einmal eine Andeutung auf unsere Zeit gekommen. Der jetzt noch hie und da erhaltene Stucco möchte kaum der ursprüng- liche sein. Die Thermen des Titus und des Trajan, wunderlich durch einander gebaut, geben in ihren jetzt noch zugänglichen Theilen einen Begriff zwar nicht mehr von der längst ausgeraubten Prachtausstattung, wohl aber von der gewaltigen Höhe der einst wie jetzt dunkeln und auf künstliche Beleuchtung berechneten Gemächer. Der Grundriss ist, soweit man ihn verfolgen kann, der besondern Umstände wegen nicht massgebend. Architektonisch die bedeutendsten Thermen sind oder waren die- jenigen des Caracalla. Vier Hauptmotive waren hier, wie es scheint, unvergleichlich grandios durchgeführt: 1) Die grossen, etwas oblongen gewölbten Schwimmsäle, auf Pfeilern und Säulen ruhend (?) an bei- den Enden, 2) die vordere Halle, der Breite nach von vier Säulen- stellungen durchzogen, 3) der mittlere Langraum (Pinakothek) und 4) der hohe runde Ausbau nach hinten, von welchen nur die Ansätze vorhanden sind; — zahlreicher Übergangsräume, Anbauten und Aussen- werke nicht zu gedenken. Das Ganze lag so hoch, dass es noch jetzt wie auf einer Terrasse zu stehen scheint. Wie sich das obere Stock- werk zwischen und über den Haupträumen hinzog, ist bei seiner fast gänzlichen Zerstörung schwer zu sagen. Um das Bild des wichtigsten b

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/70>, abgerufen am 04.05.2024.