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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Architektur. Bauten für Schauspiele.
Form zugleich abgelegt hatte und nur noch als Zierrath wirken wollte.
Das Licht kam durch die Fensterreihen der Seitenschiffe, hauptsäch-
lich aber, wie in den Diocletiansthermen, durch die grossen halbrun-
den Fenster oben im Mittelschiffe. Von der Vorhalle (gegen das Co-
losseum zu) sind nur die Ziegelpfeiler erhalten.

Vielleicht gehören noch manche jetzt anders benannte Mauerreste
im alten Italien zu Basiliken. Eine leicht kenntliche Durchschnittsform
ist bei dieser Gattung von Gebäuden so wenig zu verlangen, als bei
unsern jetzigen Börsen und Gerichtslocalen.


Von den Gebäuden des öffentlichen Vergnügens müssen
zuerst die für Schauspiele bestimmten erwähnt werden, als eigen-
thümlichste Productionen des römischen Aussenbaues, welcher ja bei
den Tempeln von griechischen Mustern abhing. -- Der Zweck und die
Einrichtung der Theater, Amphitheater und Cirken (sowie der gänzlich
untergegangenen Naumachien und Stadien) wird hier als bekannt oder
der Alterthumskunde angehörig übergangen; wir haben es bloss mit
der künstlerischen Form zu thun.

Diese bestand an der Aussenseite der Theater und Amphitheater,
vielleicht auch der Cirken, aus einer Bekleidung der runden oder ellip-
tischen Wandfläche zwischen den Bogen der verschiedenen Stockwerke
mit Halbsäulen und Gebälken der verschiedenen grie-
chischen Ordnungen
: der dorisch-toscanischen, der ionischen und
der korinthischen, auf welche im einzelnen Fall (am Colosseum) noch
eine obere Wand ohne Maueröffnungen mit Pilastern von Composita-
Ordnung folgt. Die Griechen hatten ihre Theater in Thalenden hin-
eingelehnt oder aus dem Fels gehauen; die Römer erst bauten die
ihrigen frei vom Boden auf und mussten sie von aussen decoriren.

Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verstän-
diges. Es fiel ihnen nicht ein, einer grossen Menschenmasse zuzu-
muthen, dass sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von
zwanzig Fuss im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu
Ende war, oder dass sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen
anfange. Sie kannten das Volk und verwandelten desshalb das ganze
Innere ihrer Schaugebäude in lauter steinerne Treppen und Gänge und

Architektur. Bauten für Schauspiele.
Form zugleich abgelegt hatte und nur noch als Zierrath wirken wollte.
Das Licht kam durch die Fensterreihen der Seitenschiffe, hauptsäch-
lich aber, wie in den Diocletiansthermen, durch die grossen halbrun-
den Fenster oben im Mittelschiffe. Von der Vorhalle (gegen das Co-
losseum zu) sind nur die Ziegelpfeiler erhalten.

Vielleicht gehören noch manche jetzt anders benannte Mauerreste
im alten Italien zu Basiliken. Eine leicht kenntliche Durchschnittsform
ist bei dieser Gattung von Gebäuden so wenig zu verlangen, als bei
unsern jetzigen Börsen und Gerichtslocalen.


Von den Gebäuden des öffentlichen Vergnügens müssen
zuerst die für Schauspiele bestimmten erwähnt werden, als eigen-
thümlichste Productionen des römischen Aussenbaues, welcher ja bei
den Tempeln von griechischen Mustern abhing. — Der Zweck und die
Einrichtung der Theater, Amphitheater und Cirken (sowie der gänzlich
untergegangenen Naumachien und Stadien) wird hier als bekannt oder
der Alterthumskunde angehörig übergangen; wir haben es bloss mit
der künstlerischen Form zu thun.

Diese bestand an der Aussenseite der Theater und Amphitheater,
vielleicht auch der Cirken, aus einer Bekleidung der runden oder ellip-
tischen Wandfläche zwischen den Bogen der verschiedenen Stockwerke
mit Halbsäulen und Gebälken der verschiedenen grie-
chischen Ordnungen
: der dorisch-toscanischen, der ionischen und
der korinthischen, auf welche im einzelnen Fall (am Colosseum) noch
eine obere Wand ohne Maueröffnungen mit Pilastern von Composita-
Ordnung folgt. Die Griechen hatten ihre Theater in Thalenden hin-
eingelehnt oder aus dem Fels gehauen; die Römer erst bauten die
ihrigen frei vom Boden auf und mussten sie von aussen decoriren.

Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verstän-
diges. Es fiel ihnen nicht ein, einer grossen Menschenmasse zuzu-
muthen, dass sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von
zwanzig Fuss im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu
Ende war, oder dass sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen
anfange. Sie kannten das Volk und verwandelten desshalb das ganze
Innere ihrer Schaugebäude in lauter steinerne Treppen und Gänge und

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[42/0064] Architektur. Bauten für Schauspiele. Form zugleich abgelegt hatte und nur noch als Zierrath wirken wollte. Das Licht kam durch die Fensterreihen der Seitenschiffe, hauptsäch- lich aber, wie in den Diocletiansthermen, durch die grossen halbrun- den Fenster oben im Mittelschiffe. Von der Vorhalle (gegen das Co- losseum zu) sind nur die Ziegelpfeiler erhalten. Vielleicht gehören noch manche jetzt anders benannte Mauerreste im alten Italien zu Basiliken. Eine leicht kenntliche Durchschnittsform ist bei dieser Gattung von Gebäuden so wenig zu verlangen, als bei unsern jetzigen Börsen und Gerichtslocalen. Von den Gebäuden des öffentlichen Vergnügens müssen zuerst die für Schauspiele bestimmten erwähnt werden, als eigen- thümlichste Productionen des römischen Aussenbaues, welcher ja bei den Tempeln von griechischen Mustern abhing. — Der Zweck und die Einrichtung der Theater, Amphitheater und Cirken (sowie der gänzlich untergegangenen Naumachien und Stadien) wird hier als bekannt oder der Alterthumskunde angehörig übergangen; wir haben es bloss mit der künstlerischen Form zu thun. Diese bestand an der Aussenseite der Theater und Amphitheater, vielleicht auch der Cirken, aus einer Bekleidung der runden oder ellip- tischen Wandfläche zwischen den Bogen der verschiedenen Stockwerke mit Halbsäulen und Gebälken der verschiedenen grie- chischen Ordnungen: der dorisch-toscanischen, der ionischen und der korinthischen, auf welche im einzelnen Fall (am Colosseum) noch eine obere Wand ohne Maueröffnungen mit Pilastern von Composita- Ordnung folgt. Die Griechen hatten ihre Theater in Thalenden hin- eingelehnt oder aus dem Fels gehauen; die Römer erst bauten die ihrigen frei vom Boden auf und mussten sie von aussen decoriren. Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verstän- diges. Es fiel ihnen nicht ein, einer grossen Menschenmasse zuzu- muthen, dass sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von zwanzig Fuss im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu Ende war, oder dass sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen anfange. Sie kannten das Volk und verwandelten desshalb das ganze Innere ihrer Schaugebäude in lauter steinerne Treppen und Gänge und

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/64>, abgerufen am 04.05.2024.