Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio.

Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio
(1432--88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht
aihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna-
buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz
reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um-
bgebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts
als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem
als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com-
position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor-
ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai-
cver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem
Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der
ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her-
übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte.
Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli-
chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive
dvon schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe
des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des
Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig
efrei und schön. -- Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in
S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen
(Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti's als dem
des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo
Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder
Antonio wir bald werden zu nennen haben 1).

f

Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra
(1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich-
tigern Theile -- grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um-
schweben -- erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel-

1) In dieser Gegend wird wohl der Niccolo Baroncelli aus Florenz ein-
zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome-
*nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die
im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte,
Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und
doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im
S. Georg.
Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio.

Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio
(1432—88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht
aihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna-
buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz
reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um-
bgebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts
als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem
als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com-
position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor-
ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai-
cver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem
Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der
ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her-
übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte.
Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli-
chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive
dvon schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe
des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des
Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig
efrei und schön. — Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in
S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen
(Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti’s als dem
des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo
Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder
Antonio wir bald werden zu nennen haben 1).

f

Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra
(1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich-
tigern Theile — grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um-
schweben — erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel-

1) In dieser Gegend wird wohl der Niccolò Baroncelli aus Florenz ein-
zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome-
*nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die
im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte,
Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und
doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im
S. Georg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0624" n="602"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio.</hi> </fw><lb/>
        <p>Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört <hi rendition="#g">Andrea Verocchio</hi><lb/>
(1432&#x2014;88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht<lb/><note place="left">a</note>ihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna-<lb/>
buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz<lb/>
reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um-<lb/><note place="left">b</note>gebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts<lb/>
als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem<lb/>
als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com-<lb/>
position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor-<lb/>
ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai-<lb/><note place="left">c</note>ver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem<lb/>
Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der<lb/>
ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her-<lb/>
übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte.<lb/>
Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli-<lb/>
chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive<lb/><note place="left">d</note>von schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe<lb/>
des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des<lb/>
Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig<lb/><note place="left">e</note>frei und schön. &#x2014; Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in<lb/>
S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen<lb/>
(Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti&#x2019;s als dem<lb/>
des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo<lb/>
Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder<lb/>
Antonio wir bald werden zu nennen haben <note place="foot" n="1)">In dieser Gegend wird wohl der <hi rendition="#g">Niccolò Baroncelli</hi> aus Florenz ein-<lb/>
zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome-<lb/><note place="left">*</note>nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die<lb/>
im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte,<lb/>
Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und<lb/>
doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im<lb/>
S. Georg.</note>.</p><lb/>
        <note place="left">f</note>
        <p>Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra<lb/>
(1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich-<lb/>
tigern Theile &#x2014; grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um-<lb/>
schweben &#x2014; erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[602/0624] Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio. Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio (1432—88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht ihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna- buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um- gebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com- position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor- ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai- ver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her- übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte. Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli- chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive von schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig frei und schön. — Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen (Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti’s als dem des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder Antonio wir bald werden zu nennen haben 1). a b c d e Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra (1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich- tigern Theile — grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um- schweben — erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel- 1) In dieser Gegend wird wohl der Niccolò Baroncelli aus Florenz ein- zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome- nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte, Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im S. Georg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/624
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/624>, abgerufen am 18.12.2024.