gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich- net sie glorreich durch den praxitelischen Eros.
Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese aZwischenzeit: der Dornauszieher. (Bronzenes Hauptexemplar im Pal. de' Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen bin den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. O.) Hier stehen allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi- viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver- einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span- nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hin- ausgeht.
c
In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer- knabe dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel- lung, die Arbeit eher flüchtig als genau.
Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge- mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta- tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco, welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war dgewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf- gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus- genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber noch grünte!
Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen griechischer Kunst ein, die nur leider gar zu selten ihren Weg in die öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus- elande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel
Antike Sculptur. Kinder. Statuetten.
gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich- net sie glorreich durch den praxitelischen Eros.
Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese aZwischenzeit: der Dornauszieher. (Bronzenes Hauptexemplar im Pal. de’ Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen bin den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. O.) Hier stehen allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi- viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver- einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span- nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hin- ausgeht.
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In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer- knabe dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel- lung, die Arbeit eher flüchtig als genau.
Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge- mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta- tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco, welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war dgewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf- gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus- genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber noch grünte!
Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen griechischer Kunst ein, die nur leider gar zu selten ihren Weg in die öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus- elande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel
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Antike Sculptur. Kinder. Statuetten.
gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die
unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich-
net sie glorreich durch den praxitelischen Eros.
Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese
Zwischenzeit: der Dornauszieher. (Bronzenes Hauptexemplar im
Pal. de’ Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen
in den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. O.) Hier stehen
allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch
mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi-
viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver-
einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span-
nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit
der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben
dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hin-
ausgeht.
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In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer-
knabe dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer
der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel-
lung, die Arbeit eher flüchtig als genau.
Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge-
mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta-
tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art
diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu
Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco,
welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war
gewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf-
gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della
Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus-
genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber
noch grünte!
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Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen
griechischer Kunst ein, die nur leider gar zu selten ihren Weg in die
öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus-
lande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/518>, abgerufen am 18.12.2024.
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