liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine Genesungsgott Telesphorus, der aus seinem Mäntelchen mit Ka- apuze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den bgenannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); -- ferner Harpocrates, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur csieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge- führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria- nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit detwas leeren Formen). -- Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam- burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes- alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) -- An Kunstwerth übertrifft wohl esämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese (Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als wasserholenden Hylas erklärt, ein überaus schön und lebendig ge- arbeitetes Körperchen.
Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei, welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be- schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden, Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor; fim Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re- gliefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr genau erinnern.)
Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten. Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige hDiebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu-
Antike Sculptur. Kinderstatuen.
liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine Genesungsgott Telesphorus, der aus seinem Mäntelchen mit Ka- apuze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den bgenannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner Harpocrates, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur csieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge- führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria- nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit detwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam- burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes- alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl esämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese (Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als wasserholenden Hylas erklärt, ein überaus schön und lebendig ge- arbeitetes Körperchen.
Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei, welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be- schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden, Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor; fim Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re- gliefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr genau erinnern.)
Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten. Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige hDiebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0516"n="494"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Antike Sculptur. Kinderstatuen.</hi></fw><lb/>
liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine<lb/>
Genesungsgott <hirendition="#g">Telesphorus</hi>, der aus seinem Mäntelchen mit Ka-<lb/><noteplace="left">a</note>puze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den<lb/><noteplace="left">b</note>genannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner<lb/><hirendition="#g">Harpocrates</hi>, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön<lb/>
jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur<lb/><noteplace="left">c</note>sieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge-<lb/>
führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria-<lb/>
nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit<lb/><noteplace="left">d</note>etwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam-<lb/>
burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes-<lb/>
alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl<lb/><noteplace="left">e</note>sämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese<lb/>
(Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als<lb/>
wasserholenden <hirendition="#g">Hylas</hi> erklärt, ein überaus schön und lebendig ge-<lb/>
arbeitetes Körperchen.</p><lb/><p>Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und<lb/>
zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien<lb/>
und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied<lb/>
von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei,<lb/>
welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss<lb/>
in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil<lb/>
noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be-<lb/>
schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden,<lb/>
Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor;<lb/><noteplace="left">f</note>im Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd<lb/>
von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re-<lb/><noteplace="left">g</note>liefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr<lb/>
genau erinnern.)</p><lb/><p>Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten.<lb/>
Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen<lb/>
zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils<lb/>
im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige<lb/><noteplace="left">h</note>Diebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als<lb/>
Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer<lb/>
Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[494/0516]
Antike Sculptur. Kinderstatuen.
liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine
Genesungsgott Telesphorus, der aus seinem Mäntelchen mit Ka-
puze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den
genannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner
Harpocrates, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön
jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur
sieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge-
führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria-
nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit
etwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam-
burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes-
alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl
sämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese
(Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als
wasserholenden Hylas erklärt, ein überaus schön und lebendig ge-
arbeitetes Körperchen.
a
b
c
d
e
Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und
zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien
und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied
von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei,
welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss
in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil
noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be-
schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden,
Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor;
im Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd
von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re-
liefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr
genau erinnern.)
f
g
Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten.
Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen
zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils
im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige
Diebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als
Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer
Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu-
h
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/516>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.