wohl nur spätere und an sich keinesweges glückliche 1) Vergrösserun- gen, welches auch ihre Umbildung ins Erwachsene und Volle sein amöge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um- geschaffene, colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im bgrossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt- statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser cund ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters (Museo capitolino); -- ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit daufgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im eDogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidlich römisch.
Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich schöne Bildung des jugendlichen Apollon verdanken wir sicher dem grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi- teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf- lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den Pfeil, womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug ge- krochen sein wird; daher sein Name Sauroktonos, Eidechsentötder.) Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung, welche an den Satyr periboetos desselben Meisters erinnert, geben diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark
1) Einer der vielen Belege dafür, wie wenig der Massstab Sache der Willkür ist. Je feierlicher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Ver- grösserungen und Verkleinerungen ertragen; je momentaner und genrehafter, desto weniger; sodann dürfen Unausgewachsene, für welche die Kindes- und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht bedeutend vergrössert werden -- anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu gedenken. Lehr- *reich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch dazu in freiem Raume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings dem Massstab Gewalt anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen Fall auch leicht errathen, wo diess geschehen ist. Das riesenhafte Herakles- kind im grossen Saale des Museo capitolino gehört ebenfalls hieher -- um von den Weihbeckenengeln in S. Peter zu schweigen.
Antike Sculptur. Apoll. Sauroktonos.
wohl nur spätere und an sich keinesweges glückliche 1) Vergrösserun- gen, welches auch ihre Umbildung ins Erwachsene und Volle sein amöge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um- geschaffene, colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im bgrossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt- statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser cund ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters (Museo capitolino); — ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit daufgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im eDogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidlich römisch.
Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich schöne Bildung des jugendlichen Apollon verdanken wir sicher dem grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi- teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf- lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den Pfeil, womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug ge- krochen sein wird; daher sein Name Sauroktonos, Eidechsentötder.) Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung, welche an den Satyr periboëtos desselben Meisters erinnert, geben diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark
1) Einer der vielen Belege dafür, wie wenig der Massstab Sache der Willkür ist. Je feierlicher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Ver- grösserungen und Verkleinerungen ertragen; je momentaner und genrehafter, desto weniger; sodann dürfen Unausgewachsene, für welche die Kindes- und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht bedeutend vergrössert werden — anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu gedenken. Lehr- *reich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch dazu in freiem Raume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings dem Massstab Gewalt anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen Fall auch leicht errathen, wo diess geschehen ist. Das riesenhafte Herakles- kind im grossen Saale des Museo capitolino gehört ebenfalls hieher — um von den Weihbeckenengeln in S. Peter zu schweigen.
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Antike Sculptur. Apoll. Sauroktonos.
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möge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um-
geschaffene, colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im
grossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt-
statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser
und ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters
(Museo capitolino); — ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit
aufgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der
Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im
Dogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidlich römisch.
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Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich
schöne Bildung des jugendlichen Apollon verdanken wir sicher dem
grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi-
teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen
Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf-
lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den
Pfeil, womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug ge-
krochen sein wird; daher sein Name Sauroktonos, Eidechsentötder.)
Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast
weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung,
welche an den Satyr periboëtos desselben Meisters erinnert, geben
diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far
niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark
1) Einer der vielen Belege dafür, wie wenig der Massstab Sache der Willkür
ist. Je feierlicher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Ver-
grösserungen und Verkleinerungen ertragen; je momentaner und genrehafter,
desto weniger; sodann dürfen Unausgewachsene, für welche die Kindes-
und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht bedeutend vergrössert
werden — anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu gedenken. Lehr-
reich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter
Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch
dazu in freiem Raume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings
dem Massstab Gewalt anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen
Fall auch leicht errathen, wo diess geschehen ist. Das riesenhafte Herakles-
kind im grossen Saale des Museo capitolino gehört ebenfalls hieher — um
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/466>, abgerufen am 18.12.2024.
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