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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Barockstyl.

Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Über-
gang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwin-
gung und Unterbrechung; die Stuccofiguren, welche aus ihrem Laub-
werk hervorkommen, werden schon in die am Gewölbe gemalte Hand-
lung gleichsam mit hineingezogen. Weit das Bedeutendste dieser Art
asind die von Pietro da Cortona angegebenen Gesimse in den von
ihm gemalten Sälen des Pal. Pitti zu Florenz. Wenn diese ganze
Decorationsweise ein Irrthum ist, so wird wohl nie ein Künstler mit
grösserer Sicherheit geirrt haben. Andere Rahmen als diese Gesimse
darbieten, lassen sich zu diesen Malereien gar nicht ersinnen.


Wie die damalige Baugesinnung im Grossen zu rechnen gewohnt
war, zeigt sich besonders an einigen Bauten in Rom, welche ausser-
halb Italiens und vollends in unserm Jahrhundert kaum denkbar
wären. Die Architekten mögen sich z. B. fragen, in welcher Form
bgegenwärtig eine grosse Treppe von Trinita de' Monti nach dem spa-
nischen Platz hinab angelegt werden würde? und ob man es wohl
wagen würde, Rampen und Absätze anders als in rechten Winkeln
an einander zu setzen? Specchi und De Santis, welche (1721
bis 1725) die jetzt vorhandene Treppe bauten, wechselten beneidens-
werth leichtsinnig mit Rampen und Absätzen der verschiedensten Grade
und Formen und sparten die interessantern Partien, nämlich die Ter-
rassen, für die obern Stockwerke 1). Sie fanden eine Vorarbeit in
cder 1707 erbauten Ripetta, welche vielleicht praktischer, aber nicht
leicht malerischer hätte angelegt werden können. -- Wiederum eine
dganz einzige Aufgabe gewährte Fontana di Trevi. Einst hatten
Domenico Fontana die Acqua Felice bei den Diocletiansthermen, Gio-
vanni Fontana die Acqua Paolina aus geistlos decorirten colossalen
Wänden mit Nischen hervorströmen lassen und dem Wasser erhöhte
Becken gegeben. Niccolo Salvi dagegen ersetzte das Architekto-
nische durch das Malerische; um das Wasser in allen möglichen
Functionen und Strömungsarten und doch überall mächtig (nicht in
kleinlichen Künsten) zu zeigen, liess er es aus einer Gruppe von Fel-

1) Auf diese Weise liess sich auch am ehesten die bedeutend schiefe Richtung
der Treppe (aufwärts nach links) verdecken.
Der Barockstyl.

Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Über-
gang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwin-
gung und Unterbrechung; die Stuccofiguren, welche aus ihrem Laub-
werk hervorkommen, werden schon in die am Gewölbe gemalte Hand-
lung gleichsam mit hineingezogen. Weit das Bedeutendste dieser Art
asind die von Pietro da Cortona angegebenen Gesimse in den von
ihm gemalten Sälen des Pal. Pitti zu Florenz. Wenn diese ganze
Decorationsweise ein Irrthum ist, so wird wohl nie ein Künstler mit
grösserer Sicherheit geirrt haben. Andere Rahmen als diese Gesimse
darbieten, lassen sich zu diesen Malereien gar nicht ersinnen.


Wie die damalige Baugesinnung im Grossen zu rechnen gewohnt
war, zeigt sich besonders an einigen Bauten in Rom, welche ausser-
halb Italiens und vollends in unserm Jahrhundert kaum denkbar
wären. Die Architekten mögen sich z. B. fragen, in welcher Form
bgegenwärtig eine grosse Treppe von Trinità de’ Monti nach dem spa-
nischen Platz hinab angelegt werden würde? und ob man es wohl
wagen würde, Rampen und Absätze anders als in rechten Winkeln
an einander zu setzen? Specchi und De Santis, welche (1721
bis 1725) die jetzt vorhandene Treppe bauten, wechselten beneidens-
werth leichtsinnig mit Rampen und Absätzen der verschiedensten Grade
und Formen und sparten die interessantern Partien, nämlich die Ter-
rassen, für die obern Stockwerke 1). Sie fanden eine Vorarbeit in
cder 1707 erbauten Ripetta, welche vielleicht praktischer, aber nicht
leicht malerischer hätte angelegt werden können. — Wiederum eine
dganz einzige Aufgabe gewährte Fontana di Trevi. Einst hatten
Domenico Fontana die Acqua Felice bei den Diocletiansthermen, Gio-
vanni Fontana die Acqua Paolina aus geistlos decorirten colossalen
Wänden mit Nischen hervorströmen lassen und dem Wasser erhöhte
Becken gegeben. Niccolò Salvi dagegen ersetzte das Architekto-
nische durch das Malerische; um das Wasser in allen möglichen
Functionen und Strömungsarten und doch überall mächtig (nicht in
kleinlichen Künsten) zu zeigen, liess er es aus einer Gruppe von Fel-

1) Auf diese Weise liess sich auch am ehesten die bedeutend schiefe Richtung
der Treppe (aufwärts nach links) verdecken.
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[396/0418] Der Barockstyl. Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Über- gang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwin- gung und Unterbrechung; die Stuccofiguren, welche aus ihrem Laub- werk hervorkommen, werden schon in die am Gewölbe gemalte Hand- lung gleichsam mit hineingezogen. Weit das Bedeutendste dieser Art sind die von Pietro da Cortona angegebenen Gesimse in den von ihm gemalten Sälen des Pal. Pitti zu Florenz. Wenn diese ganze Decorationsweise ein Irrthum ist, so wird wohl nie ein Künstler mit grösserer Sicherheit geirrt haben. Andere Rahmen als diese Gesimse darbieten, lassen sich zu diesen Malereien gar nicht ersinnen. a Wie die damalige Baugesinnung im Grossen zu rechnen gewohnt war, zeigt sich besonders an einigen Bauten in Rom, welche ausser- halb Italiens und vollends in unserm Jahrhundert kaum denkbar wären. Die Architekten mögen sich z. B. fragen, in welcher Form gegenwärtig eine grosse Treppe von Trinità de’ Monti nach dem spa- nischen Platz hinab angelegt werden würde? und ob man es wohl wagen würde, Rampen und Absätze anders als in rechten Winkeln an einander zu setzen? Specchi und De Santis, welche (1721 bis 1725) die jetzt vorhandene Treppe bauten, wechselten beneidens- werth leichtsinnig mit Rampen und Absätzen der verschiedensten Grade und Formen und sparten die interessantern Partien, nämlich die Ter- rassen, für die obern Stockwerke 1). Sie fanden eine Vorarbeit in der 1707 erbauten Ripetta, welche vielleicht praktischer, aber nicht leicht malerischer hätte angelegt werden können. — Wiederum eine ganz einzige Aufgabe gewährte Fontana di Trevi. Einst hatten Domenico Fontana die Acqua Felice bei den Diocletiansthermen, Gio- vanni Fontana die Acqua Paolina aus geistlos decorirten colossalen Wänden mit Nischen hervorströmen lassen und dem Wasser erhöhte Becken gegeben. Niccolò Salvi dagegen ersetzte das Architekto- nische durch das Malerische; um das Wasser in allen möglichen Functionen und Strömungsarten und doch überall mächtig (nicht in kleinlichen Künsten) zu zeigen, liess er es aus einer Gruppe von Fel- b c d 1) Auf diese Weise liess sich auch am ehesten die bedeutend schiefe Richtung der Treppe (aufwärts nach links) verdecken.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/418>, abgerufen am 04.06.2024.