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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Barockstyl.

Pilaster, Friese, Bogenleibungen u. s. w. hatten schon zur Zeit
der Renaissance oft einen reichen ornamentalen Schmuck (gemalt oder
stucchirt) erhalten, der nach strengern architektonischen Gesetzen we-
nigstens den erstern nicht gehörte, sich aber durch die naive Freude
daran und durch den schönen Detailgeschmack entschuldigen lässt.
Der Barockstyl beutet diesen Vorgang mit absichtlichem Missverstand
aus, um bei solchem Anlass seine Prachtstoffe anbringen zu können.
Er geräth wieder in diejenige Knechtschaft derselben, welche mit dem
ersten Jahrtausend (Seite 77, 115) hätte auf immer beseitigt sein
sollen. Es beginnen, namentlich in Jesuitenkirchen, die kostbarsten
Incrustationen mit Marmoren aller Farben, mit Jaspis, Lapis
Lazuli u. s. w. Ein glücklicher Zufall verschaffte den Decoratoren
ades Gesu in Rom jenes grosse Quantum des kostbarsten gelben Mar-
mors, womit sie ihre Pilaster ganz belegen konnten; in andern Kirchen
erschien gewöhnlicher Marmor zu gemein, und der kostbare Jaspis etc.
war zu selten, um in grossen Stücken verwendet zu werden; man gab
dem erstern vermeintlich einen höhern Werth und dem letztern eine
glänzende Stelle, indem man beide zu Mosaikornamenten vermischte.
Und dieselbe Zeit, die sonst so gut wusste was Farbe ist, verfing sich
nun hier in einer barbarischen Gleichgültigkeit, wo es sich um die
Farbenfolge verhältnissmässig einfacher Formen und Flächen handelte.
bDie plumpe Pracht der mediceischen Capelle bei S. Lorenzo in Florenz
(S. 275, a--d) steht ausserhalb dieser Linie; wohl aber kann man z. B.
cdie Incrustation von S. Ambrogio in Genua als normal betrachten,
d. h. als eine solche wie man sie gerne überall angebracht hätte. Hier
sind die Pilaster der Hauptordnung unten roth und weiss, oben schwarz
und weiss gestreift, Capitäle und Gesimse weiss, nur der Fries hat
weisse Zierrathen auf schwarzem Grund; an der untern Ordnung ist
in Marmor aller Farben jenes kalligraphisch gedankenlose Cartouchen-
werk angebracht. Einzelne besonders verehrte Capellen, auch die
Chöre von Kirchen ganz mit spiegelblankem gelbem, gesprenkeltem,
buntgeadertem Marmor zu überziehen, unter den Nischen vergoldete
Bronzereliefs herumgehen zu lassen, die Trauer z. B. in Passions-
capellen durch feinen dunkeln Marmor, ja durch Probirstein auszu-
drücken, wurde eine Art von Ehrenpunkt sobald die Mittel ausreichten.
d(Chor von S. M. Maddalena de' Pazzi in Florenz; rechtes Querschiff

Der Barockstyl.

Pilaster, Friese, Bogenleibungen u. s. w. hatten schon zur Zeit
der Renaissance oft einen reichen ornamentalen Schmuck (gemalt oder
stucchirt) erhalten, der nach strengern architektonischen Gesetzen we-
nigstens den erstern nicht gehörte, sich aber durch die naive Freude
daran und durch den schönen Detailgeschmack entschuldigen lässt.
Der Barockstyl beutet diesen Vorgang mit absichtlichem Missverstand
aus, um bei solchem Anlass seine Prachtstoffe anbringen zu können.
Er geräth wieder in diejenige Knechtschaft derselben, welche mit dem
ersten Jahrtausend (Seite 77, 115) hätte auf immer beseitigt sein
sollen. Es beginnen, namentlich in Jesuitenkirchen, die kostbarsten
Incrustationen mit Marmoren aller Farben, mit Jaspis, Lapis
Lazuli u. s. w. Ein glücklicher Zufall verschaffte den Decoratoren
ades Gesù in Rom jenes grosse Quantum des kostbarsten gelben Mar-
mors, womit sie ihre Pilaster ganz belegen konnten; in andern Kirchen
erschien gewöhnlicher Marmor zu gemein, und der kostbare Jaspis etc.
war zu selten, um in grossen Stücken verwendet zu werden; man gab
dem erstern vermeintlich einen höhern Werth und dem letztern eine
glänzende Stelle, indem man beide zu Mosaikornamenten vermischte.
Und dieselbe Zeit, die sonst so gut wusste was Farbe ist, verfing sich
nun hier in einer barbarischen Gleichgültigkeit, wo es sich um die
Farbenfolge verhältnissmässig einfacher Formen und Flächen handelte.
bDie plumpe Pracht der mediceischen Capelle bei S. Lorenzo in Florenz
(S. 275, a—d) steht ausserhalb dieser Linie; wohl aber kann man z. B.
cdie Incrustation von S. Ambrogio in Genua als normal betrachten,
d. h. als eine solche wie man sie gerne überall angebracht hätte. Hier
sind die Pilaster der Hauptordnung unten roth und weiss, oben schwarz
und weiss gestreift, Capitäle und Gesimse weiss, nur der Fries hat
weisse Zierrathen auf schwarzem Grund; an der untern Ordnung ist
in Marmor aller Farben jenes kalligraphisch gedankenlose Cartouchen-
werk angebracht. Einzelne besonders verehrte Capellen, auch die
Chöre von Kirchen ganz mit spiegelblankem gelbem, gesprenkeltem,
buntgeadertem Marmor zu überziehen, unter den Nischen vergoldete
Bronzereliefs herumgehen zu lassen, die Trauer z. B. in Passions-
capellen durch feinen dunkeln Marmor, ja durch Probirstein auszu-
drücken, wurde eine Art von Ehrenpunkt sobald die Mittel ausreichten.
d(Chor von S. M. Maddalena de’ Pazzi in Florenz; rechtes Querschiff

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[384/0406] Der Barockstyl. Pilaster, Friese, Bogenleibungen u. s. w. hatten schon zur Zeit der Renaissance oft einen reichen ornamentalen Schmuck (gemalt oder stucchirt) erhalten, der nach strengern architektonischen Gesetzen we- nigstens den erstern nicht gehörte, sich aber durch die naive Freude daran und durch den schönen Detailgeschmack entschuldigen lässt. Der Barockstyl beutet diesen Vorgang mit absichtlichem Missverstand aus, um bei solchem Anlass seine Prachtstoffe anbringen zu können. Er geräth wieder in diejenige Knechtschaft derselben, welche mit dem ersten Jahrtausend (Seite 77, 115) hätte auf immer beseitigt sein sollen. Es beginnen, namentlich in Jesuitenkirchen, die kostbarsten Incrustationen mit Marmoren aller Farben, mit Jaspis, Lapis Lazuli u. s. w. Ein glücklicher Zufall verschaffte den Decoratoren des Gesù in Rom jenes grosse Quantum des kostbarsten gelben Mar- mors, womit sie ihre Pilaster ganz belegen konnten; in andern Kirchen erschien gewöhnlicher Marmor zu gemein, und der kostbare Jaspis etc. war zu selten, um in grossen Stücken verwendet zu werden; man gab dem erstern vermeintlich einen höhern Werth und dem letztern eine glänzende Stelle, indem man beide zu Mosaikornamenten vermischte. Und dieselbe Zeit, die sonst so gut wusste was Farbe ist, verfing sich nun hier in einer barbarischen Gleichgültigkeit, wo es sich um die Farbenfolge verhältnissmässig einfacher Formen und Flächen handelte. Die plumpe Pracht der mediceischen Capelle bei S. Lorenzo in Florenz (S. 275, a—d) steht ausserhalb dieser Linie; wohl aber kann man z. B. die Incrustation von S. Ambrogio in Genua als normal betrachten, d. h. als eine solche wie man sie gerne überall angebracht hätte. Hier sind die Pilaster der Hauptordnung unten roth und weiss, oben schwarz und weiss gestreift, Capitäle und Gesimse weiss, nur der Fries hat weisse Zierrathen auf schwarzem Grund; an der untern Ordnung ist in Marmor aller Farben jenes kalligraphisch gedankenlose Cartouchen- werk angebracht. Einzelne besonders verehrte Capellen, auch die Chöre von Kirchen ganz mit spiegelblankem gelbem, gesprenkeltem, buntgeadertem Marmor zu überziehen, unter den Nischen vergoldete Bronzereliefs herumgehen zu lassen, die Trauer z. B. in Passions- capellen durch feinen dunkeln Marmor, ja durch Probirstein auszu- drücken, wurde eine Art von Ehrenpunkt sobald die Mittel ausreichten. (Chor von S. M. Maddalena de’ Pazzi in Florenz; rechtes Querschiff a b c d

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/406>, abgerufen am 18.12.2024.