Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Palladio. Villen. Kirchen.
pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge-
mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor-a
palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.)


In seinen Kirchenbauten, deren wichtigste sich sämmtlich zu
Venedig befinden, ist Palladio -- zunächst in Betreff der Fassaden
-- gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer,
welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser
Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als
völlig durchdrang1), hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach-
folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern
Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus
Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen
solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst
in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie-
bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich
auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte
ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten
der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich
an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch
Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.)

Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker
Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge-
genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen
viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio's Fassaden
gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten
Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber
weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau-
licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich
dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie
besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver-
hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes
entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre

1) S. Pietro di Castello, 1596 von Smeraldi begonnen, soll nach einem Entwurf*
Palladio's, vom Jahr 1557, erbaut sein.

Palladio. Villen. Kirchen.
pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge-
mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor-a
palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.)


In seinen Kirchenbauten, deren wichtigste sich sämmtlich zu
Venedig befinden, ist Palladio — zunächst in Betreff der Fassaden
— gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer,
welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser
Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als
völlig durchdrang1), hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach-
folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern
Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus
Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen
solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst
in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie-
bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich
auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte
ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten
der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich
an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch
Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.)

Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker
Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge-
genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen
viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio’s Fassaden
gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten
Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber
weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau-
licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich
dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie
besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver-
hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes
entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre

1) S. Pietro di Castello, 1596 von Smeraldi begonnen, soll nach einem Entwurf*
Palladio’s, vom Jahr 1557, erbaut sein.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0383" n="361"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Palladio. Villen. Kirchen.</hi></fw><lb/>
pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge-<lb/>
mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor-<note place="right">a</note><lb/>
palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.)</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>In seinen <hi rendition="#g">Kirchenbauten</hi>, deren wichtigste sich sämmtlich zu<lb/><hi rendition="#g">Venedig</hi> befinden, ist Palladio &#x2014; zunächst in Betreff der Fassaden<lb/>
&#x2014; gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer,<lb/>
welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser<lb/>
Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als<lb/>
völlig durchdrang<note place="foot" n="1)">S. Pietro di Castello, 1596 von Smeraldi begonnen, soll nach einem Entwurf<note place="right">*</note><lb/>
Palladio&#x2019;s, vom Jahr 1557, erbaut sein.</note>, hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach-<lb/>
folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern<lb/>
Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus<lb/>
Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen<lb/>
solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst<lb/>
in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie-<lb/>
bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich<lb/>
auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte<lb/>
ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten<lb/>
der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich<lb/>
an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch<lb/>
Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.)</p><lb/>
        <p>Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker<lb/>
Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge-<lb/>
genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen<lb/>
viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio&#x2019;s Fassaden<lb/>
gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten<lb/>
Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber<lb/>
weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau-<lb/>
licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich<lb/>
dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie<lb/>
besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver-<lb/>
hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes<lb/>
entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0383] Palladio. Villen. Kirchen. pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge- mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor- palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.) a In seinen Kirchenbauten, deren wichtigste sich sämmtlich zu Venedig befinden, ist Palladio — zunächst in Betreff der Fassaden — gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer, welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als völlig durchdrang 1), hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach- folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie- bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.) Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge- genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio’s Fassaden gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau- licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver- hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre 1) S. Pietro di Castello, 1596 von Smeraldi begonnen, soll nach einem Entwurf Palladio’s, vom Jahr 1557, erbaut sein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/383
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/383>, abgerufen am 18.05.2024.