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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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S. Peter in Rom.

Ausserdem drückte Bernini auch dem Innern durch die von ihm
hineingesetzten plastischen Werke (und mittelbar durch die Nach-
ahmungen seiner Schüler und Nachfolger) ganz entschieden seinen
Stempel auf. Leider blieb es dabei nicht; er bekleidete die Pfeiler
der Seitenschiffe mit jenen Engeln, welche Papstbüsten, Tiaren etc.
tragen, mit jenen pamfilischen Tauben u. s. w. auf buntem Marmor-
grund; er war es auch, welcher die vier Kuppelpfeiler mit jenen
kläglichen Nischen und Loggien versah, welche diesen wichtigsten
Theilen des Gebäudes Einfachheit und Nachdruck rauben. Die vier
Statuen mussten entweder wegbleiben oder gigantisch gross (und dann in
anderm Styl!) gebildet werden; gegenwärtig sind sie viel kleiner als die
drüber an den Zwickeln der Kuppel angebrachten Evangelisten in Mosaik.

Es ist eine alte Klage, dass S. Peter innen kleiner aussehe, als
es wirklich ist. Ich weiss nicht, ob Jemand, der ohne diess Vor-
urtheil zum erstenmal hineintritt, die Kirche nicht doch ungeheuer
gross finden würde; jedenfalls hängt viel von der Beleuchtung und
von der Menschenzahl ab. Am Ostermorgen weiss Jeder, dass er sich
im grössten Binnenraum der Welt befindet. Auch in der Abenddäm-
merung wachsen die Dimensionen, nicht nur weil (wie überall) das
Einzelne verschwindet, sondern weil Farben und Vergoldung erblei-
chen, welche bei Tage die betreffenden Flächen dem Auge nähern
und damit kleiner scheinen machen. Was davon noch unter dem Ein-
fluss Michelangelo's zu Stande kam (wenn auch erst lange nach seinem
Tode), nämlich die Mosaicirung der Kuppel und die Cassettirung der
Tonnengewölbe, lässt sich architektonisch wohl völlig rechtfertigen;
grell wirkt erst Bernini's Incrustation und naturalistisch die Kuppel-
mosaiken der Nebenräume, welche indess für die Wirkung des Ganzen
nicht in Betracht kommen. Entschieden verkleinernd für das ganze
Gebäude erscheint dann der Effekt des entsetzlichen Tabernakels und
der Cathedra Petri, beides Arbeiten des Bernini. Hier allein wird das
Auge zu einer falschen Rechnung beinahe genöthigt (S. 80). Die Weih-
beckenengel, von welchen man gewöhnlich spricht, täuschen nicht lange
und nicht stark genug, um den Eindruck des Ganzen mit zu bestimmen.



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S. Peter in Rom.

Ausserdem drückte Bernini auch dem Innern durch die von ihm
hineingesetzten plastischen Werke (und mittelbar durch die Nach-
ahmungen seiner Schüler und Nachfolger) ganz entschieden seinen
Stempel auf. Leider blieb es dabei nicht; er bekleidete die Pfeiler
der Seitenschiffe mit jenen Engeln, welche Papstbüsten, Tiaren etc.
tragen, mit jenen pamfilischen Tauben u. s. w. auf buntem Marmor-
grund; er war es auch, welcher die vier Kuppelpfeiler mit jenen
kläglichen Nischen und Loggien versah, welche diesen wichtigsten
Theilen des Gebäudes Einfachheit und Nachdruck rauben. Die vier
Statuen mussten entweder wegbleiben oder gigantisch gross (und dann in
anderm Styl!) gebildet werden; gegenwärtig sind sie viel kleiner als die
drüber an den Zwickeln der Kuppel angebrachten Evangelisten in Mosaik.

Es ist eine alte Klage, dass S. Peter innen kleiner aussehe, als
es wirklich ist. Ich weiss nicht, ob Jemand, der ohne diess Vor-
urtheil zum erstenmal hineintritt, die Kirche nicht doch ungeheuer
gross finden würde; jedenfalls hängt viel von der Beleuchtung und
von der Menschenzahl ab. Am Ostermorgen weiss Jeder, dass er sich
im grössten Binnenraum der Welt befindet. Auch in der Abenddäm-
merung wachsen die Dimensionen, nicht nur weil (wie überall) das
Einzelne verschwindet, sondern weil Farben und Vergoldung erblei-
chen, welche bei Tage die betreffenden Flächen dem Auge nähern
und damit kleiner scheinen machen. Was davon noch unter dem Ein-
fluss Michelangelo’s zu Stande kam (wenn auch erst lange nach seinem
Tode), nämlich die Mosaicirung der Kuppel und die Cassettirung der
Tonnengewölbe, lässt sich architektonisch wohl völlig rechtfertigen;
grell wirkt erst Bernini’s Incrustation und naturalistisch die Kuppel-
mosaiken der Nebenräume, welche indess für die Wirkung des Ganzen
nicht in Betracht kommen. Entschieden verkleinernd für das ganze
Gebäude erscheint dann der Effekt des entsetzlichen Tabernakels und
der Cathedra Petri, beides Arbeiten des Bernini. Hier allein wird das
Auge zu einer falschen Rechnung beinahe genöthigt (S. 80). Die Weih-
beckenengel, von welchen man gewöhnlich spricht, täuschen nicht lange
und nicht stark genug, um den Eindruck des Ganzen mit zu bestimmen.



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[339/0361] S. Peter in Rom. Ausserdem drückte Bernini auch dem Innern durch die von ihm hineingesetzten plastischen Werke (und mittelbar durch die Nach- ahmungen seiner Schüler und Nachfolger) ganz entschieden seinen Stempel auf. Leider blieb es dabei nicht; er bekleidete die Pfeiler der Seitenschiffe mit jenen Engeln, welche Papstbüsten, Tiaren etc. tragen, mit jenen pamfilischen Tauben u. s. w. auf buntem Marmor- grund; er war es auch, welcher die vier Kuppelpfeiler mit jenen kläglichen Nischen und Loggien versah, welche diesen wichtigsten Theilen des Gebäudes Einfachheit und Nachdruck rauben. Die vier Statuen mussten entweder wegbleiben oder gigantisch gross (und dann in anderm Styl!) gebildet werden; gegenwärtig sind sie viel kleiner als die drüber an den Zwickeln der Kuppel angebrachten Evangelisten in Mosaik. Es ist eine alte Klage, dass S. Peter innen kleiner aussehe, als es wirklich ist. Ich weiss nicht, ob Jemand, der ohne diess Vor- urtheil zum erstenmal hineintritt, die Kirche nicht doch ungeheuer gross finden würde; jedenfalls hängt viel von der Beleuchtung und von der Menschenzahl ab. Am Ostermorgen weiss Jeder, dass er sich im grössten Binnenraum der Welt befindet. Auch in der Abenddäm- merung wachsen die Dimensionen, nicht nur weil (wie überall) das Einzelne verschwindet, sondern weil Farben und Vergoldung erblei- chen, welche bei Tage die betreffenden Flächen dem Auge nähern und damit kleiner scheinen machen. Was davon noch unter dem Ein- fluss Michelangelo’s zu Stande kam (wenn auch erst lange nach seinem Tode), nämlich die Mosaicirung der Kuppel und die Cassettirung der Tonnengewölbe, lässt sich architektonisch wohl völlig rechtfertigen; grell wirkt erst Bernini’s Incrustation und naturalistisch die Kuppel- mosaiken der Nebenräume, welche indess für die Wirkung des Ganzen nicht in Betracht kommen. Entschieden verkleinernd für das ganze Gebäude erscheint dann der Effekt des entsetzlichen Tabernakels und der Cathedra Petri, beides Arbeiten des Bernini. Hier allein wird das Auge zu einer falschen Rechnung beinahe genöthigt (S. 80). Die Weih- beckenengel, von welchen man gewöhnlich spricht, täuschen nicht lange und nicht stark genug, um den Eindruck des Ganzen mit zu bestimmen. 22*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/361>, abgerufen am 25.05.2024.