Hierin aber zeigt sich die römische Kunst wahrhaft gross. Sobald man es vergisst, wie viel missverstandene und umgedeutete griechische Formen unter den römischen versteckt liegen, wird man die letztern um ihrer prachtvollen, höchst energischen Wirkung willen bewundern müssen.
Von dem korinthischen Capitäl ist schon die Rede gewesen als von einer noch wesentlich griechischen Schöpfung. Am Gebälk findet sich zunächst ein bereicherter Architrav, dessen drei Bänder mit Perl- stäben u. dgl. eingefasst sind; bisweilen besteht das mittlere aus lauter Ornamenten. (Später: oft nur zwei Bänder.) Eine zierliche, nur zu weit vorwärts profilirte Blattreihe scheidet den Architrav vom Fries, welcher die Inschriften und Reliefs oder Pflanzenzierrathen enthält. (Später: der Fries in der Regel convex und auf irgend einen nicht mehr aufweisbaren, etwa aufgemalten Schmuck berechnet).) Ueber dem Fries eine mannigfach variirte Aufeinanderfolge vortretender, reich de- corirter Glieder: Reihen von Akanthusblättern mit gefälligem Wellen- profil, Eierstäbe, Zahnschnitte, und als Uebergang zu dem mit Löwen- köpfen und Palmetten geschmückten Kranzgesimse: die Consolen. Diese sind eine römische Umdeutung jener schrägen Dachsparren, die wir beim grossen Tempel von Pästum erwähnten und verdienen als Höhepunkt alles römischen Formgefühls eine besondere Aufmerksam- keit. Unter das wellenförmig gebildete, architektonisch verzierte Spar- renende legt sich, ebenfalls in Wellenform, ein reiches Akanthusblatt; sodann wird der Zwischenraum zweier Consolen von einer reich ein- gefassten Cassette eingenommen, aus deren schattiger Tiefe eine Rosette hell herabragt. (Später: das Akanthusblatt kraftlos an die Console angeschmiegt; die elastische Bildung beider vernachlässigt; die Cas- setten flach, die Rose leblos gebildet.) Am Giebel ist ein Theil des Hauptgesimses mit den Consolen wiederholt, welche hier trotz des schrägen Ansteigens an den besten Bauten senkrecht gebildet werden. a(Vorhalle des Pantheon). Ein vielleicht nur allzureicher Schmuck von Statuen, Gruppen u. a. Zierrathen war auf der Höhe des Giebels und auf den Ecken angebracht. (Ein paar gute Akroterien oder Eckzier- bden aus römischer Zeit in der Galeria lapidaria des Vaticans.) Die Anwendung grosser plastischer Freigruppen in den Giebeln selbst ist auch für die Römer wahrscheinlich, doch nicht mit Beispielen zu belegen.
Architektur. Römisches Detail.
Hierin aber zeigt sich die römische Kunst wahrhaft gross. Sobald man es vergisst, wie viel missverstandene und umgedeutete griechische Formen unter den römischen versteckt liegen, wird man die letztern um ihrer prachtvollen, höchst energischen Wirkung willen bewundern müssen.
Von dem korinthischen Capitäl ist schon die Rede gewesen als von einer noch wesentlich griechischen Schöpfung. Am Gebälk findet sich zunächst ein bereicherter Architrav, dessen drei Bänder mit Perl- stäben u. dgl. eingefasst sind; bisweilen besteht das mittlere aus lauter Ornamenten. (Später: oft nur zwei Bänder.) Eine zierliche, nur zu weit vorwärts profilirte Blattreihe scheidet den Architrav vom Fries, welcher die Inschriften und Reliefs oder Pflanzenzierrathen enthält. (Später: der Fries in der Regel convex und auf irgend einen nicht mehr aufweisbaren, etwa aufgemalten Schmuck berechnet).) Ueber dem Fries eine mannigfach variirte Aufeinanderfolge vortretender, reich de- corirter Glieder: Reihen von Akanthusblättern mit gefälligem Wellen- profil, Eierstäbe, Zahnschnitte, und als Uebergang zu dem mit Löwen- köpfen und Palmetten geschmückten Kranzgesimse: die Consolen. Diese sind eine römische Umdeutung jener schrägen Dachsparren, die wir beim grossen Tempel von Pästum erwähnten und verdienen als Höhepunkt alles römischen Formgefühls eine besondere Aufmerksam- keit. Unter das wellenförmig gebildete, architektonisch verzierte Spar- renende legt sich, ebenfalls in Wellenform, ein reiches Akanthusblatt; sodann wird der Zwischenraum zweier Consolen von einer reich ein- gefassten Cassette eingenommen, aus deren schattiger Tiefe eine Rosette hell herabragt. (Später: das Akanthusblatt kraftlos an die Console angeschmiegt; die elastische Bildung beider vernachlässigt; die Cas- setten flach, die Rose leblos gebildet.) Am Giebel ist ein Theil des Hauptgesimses mit den Consolen wiederholt, welche hier trotz des schrägen Ansteigens an den besten Bauten senkrecht gebildet werden. a(Vorhalle des Pantheon). Ein vielleicht nur allzureicher Schmuck von Statuen, Gruppen u. a. Zierrathen war auf der Höhe des Giebels und auf den Ecken angebracht. (Ein paar gute Akroterien oder Eckzier- bden aus römischer Zeit in der Galeria lapidaria des Vaticans.) Die Anwendung grosser plastischer Freigruppen in den Giebeln selbst ist auch für die Römer wahrscheinlich, doch nicht mit Beispielen zu belegen.
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Architektur. Römisches Detail.
Hierin aber zeigt sich die römische Kunst wahrhaft gross. Sobald
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Formen unter den römischen versteckt liegen, wird man die letztern um
ihrer prachtvollen, höchst energischen Wirkung willen bewundern
müssen.
Von dem korinthischen Capitäl ist schon die Rede gewesen als
von einer noch wesentlich griechischen Schöpfung. Am Gebälk findet
sich zunächst ein bereicherter Architrav, dessen drei Bänder mit Perl-
stäben u. dgl. eingefasst sind; bisweilen besteht das mittlere aus lauter
Ornamenten. (Später: oft nur zwei Bänder.) Eine zierliche, nur zu
weit vorwärts profilirte Blattreihe scheidet den Architrav vom Fries,
welcher die Inschriften und Reliefs oder Pflanzenzierrathen enthält.
(Später: der Fries in der Regel convex und auf irgend einen nicht
mehr aufweisbaren, etwa aufgemalten Schmuck berechnet).) Ueber dem
Fries eine mannigfach variirte Aufeinanderfolge vortretender, reich de-
corirter Glieder: Reihen von Akanthusblättern mit gefälligem Wellen-
profil, Eierstäbe, Zahnschnitte, und als Uebergang zu dem mit Löwen-
köpfen und Palmetten geschmückten Kranzgesimse: die Consolen.
Diese sind eine römische Umdeutung jener schrägen Dachsparren, die
wir beim grossen Tempel von Pästum erwähnten und verdienen als
Höhepunkt alles römischen Formgefühls eine besondere Aufmerksam-
keit. Unter das wellenförmig gebildete, architektonisch verzierte Spar-
renende legt sich, ebenfalls in Wellenform, ein reiches Akanthusblatt;
sodann wird der Zwischenraum zweier Consolen von einer reich ein-
gefassten Cassette eingenommen, aus deren schattiger Tiefe eine Rosette
hell herabragt. (Später: das Akanthusblatt kraftlos an die Console
angeschmiegt; die elastische Bildung beider vernachlässigt; die Cas-
setten flach, die Rose leblos gebildet.) Am Giebel ist ein Theil des
Hauptgesimses mit den Consolen wiederholt, welche hier trotz des
schrägen Ansteigens an den besten Bauten senkrecht gebildet werden.
(Vorhalle des Pantheon). Ein vielleicht nur allzureicher Schmuck von
Statuen, Gruppen u. a. Zierrathen war auf der Höhe des Giebels und
auf den Ecken angebracht. (Ein paar gute Akroterien oder Eckzier-
den aus römischer Zeit in der Galeria lapidaria des Vaticans.) Die
Anwendung grosser plastischer Freigruppen in den Giebeln selbst ist
auch für die Römer wahrscheinlich, doch nicht mit Beispielen zu belegen.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/34>, abgerufen am 05.12.2024.
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