haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke neben den antiken eine ganz selbständige Gültigkeit behalten.
Die Verzierung der Loggien im zweiten Stockwerk des Cortilea di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht- liebenden Leo X. -- Rafael's Verdienst bleibt es, dass die Loggien die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt wurden. -- Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an- zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth- wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk- zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden und Pfeilern abzulösen. -- Die grossen Kupferstiche, welche noch colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder.
Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh- rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten Giovanni da Udine, eines Malers der venezianischen Schule. Wie viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über- lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf- trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller- dings nie zu geben sein 1). Man sieht die Tausende einzelner Figuren- motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von
1) Laut Vasari hätte er freilich Alles selber vorgezeichnet; unter den Execu- tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen.
Loggien des Vaticans.
haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke neben den antiken eine ganz selbständige Gültigkeit behalten.
Die Verzierung der Loggien im zweiten Stockwerk des Cortilea di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht- liebenden Leo X. — Rafael’s Verdienst bleibt es, dass die Loggien die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt wurden. — Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an- zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth- wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk- zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden und Pfeilern abzulösen. — Die grossen Kupferstiche, welche noch colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder.
Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh- rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten Giovanni da Udine, eines Malers der venezianischen Schule. Wie viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über- lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf- trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller- dings nie zu geben sein 1). Man sieht die Tausende einzelner Figuren- motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von
1) Laut Vasari hätte er freilich Alles selber vorgezeichnet; unter den Execu- tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0305"n="283"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Loggien des Vaticans.</hi></fw><lb/>
haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente<lb/>
auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke <hirendition="#g">neben</hi> den antiken<lb/>
eine ganz selbständige Gültigkeit behalten.</p><lb/><p>Die Verzierung der <hirendition="#g">Loggien</hi> im zweiten Stockwerk des Cortile<noteplace="right">a</note><lb/>
di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht-<lb/>
liebenden Leo X. —<hirendition="#g">Rafael’s</hi> Verdienst bleibt es, dass die Loggien<lb/>
die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt<lb/>
wurden. — Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach<lb/>
Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an-<lb/>
zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth-<lb/>
wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk-<lb/>
zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden<lb/>
und Pfeilern abzulösen. — Die grossen Kupferstiche, welche noch<lb/>
colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr<lb/>
schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die<lb/>
Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder.</p><lb/><p>Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh-<lb/>
rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten<lb/><hirendition="#g">Giovanni da Udine</hi>, eines Malers der venezianischen Schule. Wie<lb/>
viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über-<lb/>
lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf-<lb/>
trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des<lb/>
Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm<lb/>
herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller-<lb/>
dings nie zu geben sein <noteplace="foot"n="1)">Laut Vasari hätte er freilich Alles selber vorgezeichnet; unter den Execu-<lb/>
tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen.</note>. Man sieht die Tausende einzelner Figuren-<lb/>
motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten<lb/>
Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von<lb/>
Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und<lb/>
seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich<lb/>
in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte<lb/>
es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken<lb/>
Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so<lb/>
viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[283/0305]
Loggien des Vaticans.
haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente
auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke neben den antiken
eine ganz selbständige Gültigkeit behalten.
Die Verzierung der Loggien im zweiten Stockwerk des Cortile
di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht-
liebenden Leo X. — Rafael’s Verdienst bleibt es, dass die Loggien
die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt
wurden. — Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach
Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an-
zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth-
wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk-
zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden
und Pfeilern abzulösen. — Die grossen Kupferstiche, welche noch
colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr
schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die
Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder.
a
Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh-
rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten
Giovanni da Udine, eines Malers der venezianischen Schule. Wie
viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über-
lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf-
trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des
Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm
herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller-
dings nie zu geben sein 1). Man sieht die Tausende einzelner Figuren-
motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten
Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von
Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und
seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich
in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte
es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken
Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so
viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von
1) Laut Vasari hätte er freilich Alles selber vorgezeichnet; unter den Execu-
tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/305>, abgerufen am 19.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.