Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano.
bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen
auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.)


In Rom, zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer
zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst-
liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un-
bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und
kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme-
nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte
Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter
einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels.

So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst
durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde.
Unter Eugen IV. erschien Antonio Filarete, der mit Donatello's
Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam
aGiuliano da Majano, der Erbauer des Palazzo di Venezia
und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel-
ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist
nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan-
der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der
Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von
S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige
Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen
mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne
Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen
Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine
entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen
Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb
hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt,
wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere
Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung
gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) --
Von Leon Battista Alberti's und Bernardo Rosellino's Thätigkeit sind
in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren-
tiner Baccio Pintelli bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu

Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano.
bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen
auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.)


In Rom, zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer
zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst-
liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un-
bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und
kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme-
nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte
Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter
einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels.

So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst
durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde.
Unter Eugen IV. erschien Antonio Filarete, der mit Donatello’s
Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam
aGiuliano da Majano, der Erbauer des Palazzo di Venezia
und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel-
ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist
nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan-
der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der
Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von
S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige
Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen
mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne
Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen
Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine
entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen
Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb
hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt,
wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere
Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung
gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) —
Von Leon Battista Alberti’s und Bernardo Rosellino’s Thätigkeit sind
in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren-
tiner Baccio Pintelli bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="192"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano.</hi></fw><lb/>
bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen<lb/>
auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.)</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>In <hi rendition="#g">Rom</hi>, zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer<lb/>
zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst-<lb/>
liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un-<lb/>
bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und<lb/>
kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme-<lb/>
nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte<lb/>
Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter<lb/>
einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels.</p><lb/>
        <p>So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst<lb/>
durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde.<lb/>
Unter Eugen IV. erschien <hi rendition="#g">Antonio Filarete</hi>, der mit Donatello&#x2019;s<lb/>
Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam<lb/><note place="left">a</note><hi rendition="#g">Giuliano da Majano</hi>, der Erbauer des <hi rendition="#g">Palazzo di Venezia</hi><lb/>
und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel-<lb/>
ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist<lb/>
nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan-<lb/>
der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der<lb/>
Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von<lb/>
S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige<lb/>
Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen<lb/>
mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne<lb/>
Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen<lb/>
Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine<lb/>
entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen<lb/>
Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb<lb/>
hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt,<lb/>
wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere<lb/>
Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung<lb/>
gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) &#x2014;<lb/>
Von Leon Battista Alberti&#x2019;s und Bernardo Rosellino&#x2019;s Thätigkeit sind<lb/>
in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren-<lb/>
tiner <hi rendition="#g">Baccio Pintelli</hi> bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0214] Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano. bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.) In Rom, zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst- liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un- bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme- nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels. So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde. Unter Eugen IV. erschien Antonio Filarete, der mit Donatello’s Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam Giuliano da Majano, der Erbauer des Palazzo di Venezia und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel- ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan- der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt, wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) — Von Leon Battista Alberti’s und Bernardo Rosellino’s Thätigkeit sind in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren- tiner Baccio Pintelli bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/214
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/214>, abgerufen am 15.05.2024.