das dritte und vierte Stockwerk sind z. B. so viel als identisch; nur das Grösserwerden der Fenster in den obern Stockwerken ist eine nachdrückliche Erleichterung. Aber an feinern Abwechslungen der Incrustation sowohl als der plastischen Details gewährt dieser schöne Bau ein stets neues Studium. Die Gliederung in Farben und Formen ist durchgängig ungleich leichter und edler als bei Arnolfo; die Fen- ster vielleicht das schönste Detail der italienischen Gothik.
Endlich zwei Gebäude in Florenz, welche nur in bedingtem Sinne zu den Kirchen gehören.
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Das eine ist Orsanmiechele. Als städtischer Kornspeicher 1284 von Arnolfo begonnen und 1337 von Taddeo Gaddi umgestaltet und in die Höhe gebaut, giebt das edle und stattliche Gebäude mit seinen feinen Gesimsen und seinem Consolenkranz ein Zeugniss von der schönen Seite desjenigen monumentalen Sinnes, welcher die dama- ligen Florentiner beseelte. Bei Anlass des schwarzen Todes 1348 wurde einem sehr wirksamen Gnadenbild zu Ehren die bisher offene untere Halle vermauert und zur Kirche umgeschaffen durch Andrea Orcagna. Ihm gehört das zierliche Füllwerk der jetzigen Fenster, bsowie der berühmte Tabernakel im Innern. Was den baulichen und decorativen Theil betrifft, so wird man dieses Werk des höchsten Luxus niemals neben gute deutsche Altaraufsätze, Sacramenthäuschen u. dgl. stellen dürfen; es ist gerade die schwächste Seite, von wel- cher sich hier die italienische Gothik producirt. Statt des Organischen, an dessen volle Strenge bei vollem Reichthum unser nordisches Auge gewöhnt ist, giebt es hier Flächen, mit angenehmen aber bedeutungs- losen Spielformen, zum Theil aus buntem Glas nach Cosmatenart, aus- gefüllt. Die Kuppel zwischen den vier Giebeln ist wie eine Krone gestreift; das Mosaik erstreckt sich selbst auf die Stufen. (Die Ne- cbenkirche der Certosa bei Florenz, ein griechisches Kreuz ohne Nebenschiffe von reizender Anlage, wird nebst dem festungsartigen Unterbau des Klosters ebenfalls Orcagna zugeschrieben.)
Sodann steht auf dem Domplatz, dem Thurm gegenüber, das zier- dliche Bigallo. Eine jener Confraternitäten zu frommen und mild- thätigen Zwecken schmückte nach guter italischer Sitte aus eigenen Mitteln ihr Local auf das Beste aus, in einer Zeit, da kein heiliger und kein öffentlicher Raum ohne Verklärung durch die Kunst denk-
Gothische Architektur. Florenz. Orsanmicchele.
das dritte und vierte Stockwerk sind z. B. so viel als identisch; nur das Grösserwerden der Fenster in den obern Stockwerken ist eine nachdrückliche Erleichterung. Aber an feinern Abwechslungen der Incrustation sowohl als der plastischen Details gewährt dieser schöne Bau ein stets neues Studium. Die Gliederung in Farben und Formen ist durchgängig ungleich leichter und edler als bei Arnolfo; die Fen- ster vielleicht das schönste Detail der italienischen Gothik.
Endlich zwei Gebäude in Florenz, welche nur in bedingtem Sinne zu den Kirchen gehören.
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Das eine ist Orsanmiechele. Als städtischer Kornspeicher 1284 von Arnolfo begonnen und 1337 von Taddeo Gaddi umgestaltet und in die Höhe gebaut, giebt das edle und stattliche Gebäude mit seinen feinen Gesimsen und seinem Consolenkranz ein Zeugniss von der schönen Seite desjenigen monumentalen Sinnes, welcher die dama- ligen Florentiner beseelte. Bei Anlass des schwarzen Todes 1348 wurde einem sehr wirksamen Gnadenbild zu Ehren die bisher offene untere Halle vermauert und zur Kirche umgeschaffen durch Andrea Orcagna. Ihm gehört das zierliche Füllwerk der jetzigen Fenster, bsowie der berühmte Tabernakel im Innern. Was den baulichen und decorativen Theil betrifft, so wird man dieses Werk des höchsten Luxus niemals neben gute deutsche Altaraufsätze, Sacramenthäuschen u. dgl. stellen dürfen; es ist gerade die schwächste Seite, von wel- cher sich hier die italienische Gothik producirt. Statt des Organischen, an dessen volle Strenge bei vollem Reichthum unser nordisches Auge gewöhnt ist, giebt es hier Flächen, mit angenehmen aber bedeutungs- losen Spielformen, zum Theil aus buntem Glas nach Cosmatenart, aus- gefüllt. Die Kuppel zwischen den vier Giebeln ist wie eine Krone gestreift; das Mosaik erstreckt sich selbst auf die Stufen. (Die Ne- cbenkirche der Certosa bei Florenz, ein griechisches Kreuz ohne Nebenschiffe von reizender Anlage, wird nebst dem festungsartigen Unterbau des Klosters ebenfalls Orcagna zugeschrieben.)
Sodann steht auf dem Domplatz, dem Thurm gegenüber, das zier- dliche Bigallo. Eine jener Confraternitäten zu frommen und mild- thätigen Zwecken schmückte nach guter italischer Sitte aus eigenen Mitteln ihr Local auf das Beste aus, in einer Zeit, da kein heiliger und kein öffentlicher Raum ohne Verklärung durch die Kunst denk-
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Gothische Architektur. Florenz. Orsanmicchele.
das dritte und vierte Stockwerk sind z. B. so viel als identisch; nur
das Grösserwerden der Fenster in den obern Stockwerken ist eine
nachdrückliche Erleichterung. Aber an feinern Abwechslungen der
Incrustation sowohl als der plastischen Details gewährt dieser schöne
Bau ein stets neues Studium. Die Gliederung in Farben und Formen
ist durchgängig ungleich leichter und edler als bei Arnolfo; die Fen-
ster vielleicht das schönste Detail der italienischen Gothik.
Endlich zwei Gebäude in Florenz, welche nur in bedingtem Sinne
zu den Kirchen gehören.
Das eine ist Orsanmiechele. Als städtischer Kornspeicher 1284
von Arnolfo begonnen und 1337 von Taddeo Gaddi umgestaltet
und in die Höhe gebaut, giebt das edle und stattliche Gebäude mit
seinen feinen Gesimsen und seinem Consolenkranz ein Zeugniss von
der schönen Seite desjenigen monumentalen Sinnes, welcher die dama-
ligen Florentiner beseelte. Bei Anlass des schwarzen Todes 1348
wurde einem sehr wirksamen Gnadenbild zu Ehren die bisher offene
untere Halle vermauert und zur Kirche umgeschaffen durch Andrea
Orcagna. Ihm gehört das zierliche Füllwerk der jetzigen Fenster,
sowie der berühmte Tabernakel im Innern. Was den baulichen
und decorativen Theil betrifft, so wird man dieses Werk des höchsten
Luxus niemals neben gute deutsche Altaraufsätze, Sacramenthäuschen
u. dgl. stellen dürfen; es ist gerade die schwächste Seite, von wel-
cher sich hier die italienische Gothik producirt. Statt des Organischen,
an dessen volle Strenge bei vollem Reichthum unser nordisches Auge
gewöhnt ist, giebt es hier Flächen, mit angenehmen aber bedeutungs-
losen Spielformen, zum Theil aus buntem Glas nach Cosmatenart, aus-
gefüllt. Die Kuppel zwischen den vier Giebeln ist wie eine Krone
gestreift; das Mosaik erstreckt sich selbst auf die Stufen. (Die Ne-
benkirche der Certosa bei Florenz, ein griechisches Kreuz ohne
Nebenschiffe von reizender Anlage, wird nebst dem festungsartigen
Unterbau des Klosters ebenfalls Orcagna zugeschrieben.)
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Sodann steht auf dem Domplatz, dem Thurm gegenüber, das zier-
liche Bigallo. Eine jener Confraternitäten zu frommen und mild-
thätigen Zwecken schmückte nach guter italischer Sitte aus eigenen
Mitteln ihr Local auf das Beste aus, in einer Zeit, da kein heiliger
und kein öffentlicher Raum ohne Verklärung durch die Kunst denk-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/166>, abgerufen am 26.11.2024.
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