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Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885.

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zur Zahl derer, die durch den Alkohol zu morali-
schen Lumpen werden. Wieviel edler Gesinnung und
idealen Strebens hat der ununterbrochene Bierstrom
fortgesphlt!

Dass es sehr zahlreiche Menschen giebt, welche
die Selbstbeherrschung besitzen, niemals unmässig zu
sein, ist unbedingt zuzugeben. Dieser Vorzug aber
entbindet Niemand von der Pflicht, durch die Macht
des Beispiels auf diejenigen zu wirken, welche nur
durch völlige Enthaltung zu retten sind. -- Auch als
Sorgenbrecher ist der Alkohol zu verwerfen.

Der Alkohol hat noch eine Wirkung, um derent-
willen er genossen wird; sie ist die schädlichste von
allen. Zu den quälenden Gefühlen, welche der Al-
kohol betäubt, gehört auch das Gefühl der langen
Weile. Die lange Weile aber ist wie das Müdig-
keitsgefühl, eine Vorrichtung zur Selbstregulirung in
unserem Organismus. Wie uns das Müdigkeitsgefühl
zur Ruhe zwingt, so zwingt uns die lange Weile zur
Arbeit und Anstrengung, ohne welche unsere Mus-
keln und Nerven atrophiren und ein gesunder Zu-
stand nicht möglich ist. Wird das Gefühl der lan-
gen Weile nicht durch Anstrengungen irgend welcher
Art beseitigt, so schwillt es stetig an und gestaltet
sich schliesslich zu einer wahrhaft dämonischen
Macht. Es ist interessant zu beobachten, zu wie
verzweifelten Mitteln hohle und träge Menschen ihre
Zuflucht nehmen, um ohne eigene Anstrengung dem
Dämon der langen Weile zu entfliehen. Rastlos
treibt er sie durch ununterbrochene Geselligkeit von

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zur Zahl derer, die durch den Alkohol zu morali-
schen Lumpen werden. Wieviel edler Gesinnung und
idealen Strebens hat der ununterbrochene Bierstrom
fortgesphlt!

Dass es sehr zahlreiche Menschen giebt, welche
die Selbstbeherrschung besitzen, niemals unmässig zu
sein, ist unbedingt zuzugeben. Dieser Vorzug aber
entbindet Niemand von der Pflicht, durch die Macht
des Beispiels auf diejenigen zu wirken, welche nur
durch völlige Enthaltung zu retten sind. — Auch als
Sorgenbrecher ist der Alkohol zu verwerfen.

Der Alkohol hat noch eine Wirkung, um derent-
willen er genossen wird; sie ist die schädlichste von
allen. Zu den quälenden Gefühlen, welche der Al-
kohol betäubt, gehört auch das Gefühl der langen
Weile. Die lange Weile aber ist wie das Müdig-
keitsgefühl, eine Vorrichtung zur Selbstregulirung in
unserem Organismus. Wie uns das Müdigkeitsgefühl
zur Ruhe zwingt, so zwingt uns die lange Weile zur
Arbeit und Anstrengung, ohne welche unsere Mus-
keln und Nerven atrophiren und ein gesunder Zu-
stand nicht möglich ist. Wird das Gefühl der lan-
gen Weile nicht durch Anstrengungen irgend welcher
Art beseitigt, so schwillt es stetig an und gestaltet
sich schliesslich zu einer wahrhaft dämonischen
Macht. Es ist interessant zu beobachten, zu wie
verzweifelten Mitteln hohle und träge Menschen ihre
Zuflucht nehmen, um ohne eigene Anstrengung dem
Dämon der langen Weile zu entfliehen. Rastlos
treibt er sie durch ununterbrochene Geselligkeit von

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[35/0036] zur Zahl derer, die durch den Alkohol zu morali- schen Lumpen werden. Wieviel edler Gesinnung und idealen Strebens hat der ununterbrochene Bierstrom fortgesphlt! Dass es sehr zahlreiche Menschen giebt, welche die Selbstbeherrschung besitzen, niemals unmässig zu sein, ist unbedingt zuzugeben. Dieser Vorzug aber entbindet Niemand von der Pflicht, durch die Macht des Beispiels auf diejenigen zu wirken, welche nur durch völlige Enthaltung zu retten sind. — Auch als Sorgenbrecher ist der Alkohol zu verwerfen. Der Alkohol hat noch eine Wirkung, um derent- willen er genossen wird; sie ist die schädlichste von allen. Zu den quälenden Gefühlen, welche der Al- kohol betäubt, gehört auch das Gefühl der langen Weile. Die lange Weile aber ist wie das Müdig- keitsgefühl, eine Vorrichtung zur Selbstregulirung in unserem Organismus. Wie uns das Müdigkeitsgefühl zur Ruhe zwingt, so zwingt uns die lange Weile zur Arbeit und Anstrengung, ohne welche unsere Mus- keln und Nerven atrophiren und ein gesunder Zu- stand nicht möglich ist. Wird das Gefühl der lan- gen Weile nicht durch Anstrengungen irgend welcher Art beseitigt, so schwillt es stetig an und gestaltet sich schliesslich zu einer wahrhaft dämonischen Macht. Es ist interessant zu beobachten, zu wie verzweifelten Mitteln hohle und träge Menschen ihre Zuflucht nehmen, um ohne eigene Anstrengung dem Dämon der langen Weile zu entfliehen. Rastlos treibt er sie durch ununterbrochene Geselligkeit von 3*

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Zitationshilfe: Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/36>, abgerufen am 28.03.2024.