noch zu jung, um demnächst auf eine Vereinigung hoffen zu dürfen, und bis zu jenem Momente, das wußten sie, konnte Jedes auf des Andern unverbrüchliche Treue zählen.
Bangen Herzens schied Georg Büchner im Juli 1833 von der Braut, den Freunden und der Stadt, die ihm so lieb geworden. Die vier Semester, welche er nach hessischem Gesetze an einer fremden Hochschule verbringen durfte, waren nun verstrichen, er mußte seine Studien an der Landesuni- versität fortsetzen, in Gießen. Nachdem er zwei Monate im Elternhause verbracht, begab er sich in den ersten Tagen des Oktober nach der engen kleinen Gelehrtenstadt an der Lahn.
Schon als er dort anlangte, war er nicht mehr der- selbe glückliche Mensch, den wir bisher kennen gelernt. Und wer vollends das Bild seines inneren Wesens, wie es sich nach Verlauf weniger Monate aus seinen Gießener Briefen und den Mittheilungen seiner dortigen Freunde darstellt, mit dem des Straßburger Studiosus vergleicht, gewahrt nur noch wenige gemeinsame Züge. Es ist dies ganz wörtlich zu nehmen, nur selten ist es wohl einem Biographen Pflicht gewesen, eine so radicale Wandlung seines Helden binnen gleich kurzer Frist festzustellen und zu erläutern, als mir hier zur Aufgabe wird. Der Jüngling, der am Rhein stolz- fröhlich im Glück der Liebe und der Freundschaft, in der Freude an seinen Studien, im Zauber der Natur geschwelgt, der mit so ungemeiner Entschiedenheit auch eine ungemeine Klarheit der politischen Anschauungen verbunden und sich so schroff von "revolutionären Kinderstreichen" abgekehrt, der- selbe Jüngling stürzt sich in Gießen, ein einsamer, verbit- terter Mensch, mit sich und der Welt zerfallen, kopfüber in
noch zu jung, um demnächſt auf eine Vereinigung hoffen zu dürfen, und bis zu jenem Momente, das wußten ſie, konnte Jedes auf des Andern unverbrüchliche Treue zählen.
Bangen Herzens ſchied Georg Büchner im Juli 1833 von der Braut, den Freunden und der Stadt, die ihm ſo lieb geworden. Die vier Semeſter, welche er nach heſſiſchem Geſetze an einer fremden Hochſchule verbringen durfte, waren nun verſtrichen, er mußte ſeine Studien an der Landesuni- verſität fortſetzen, in Gießen. Nachdem er zwei Monate im Elternhauſe verbracht, begab er ſich in den erſten Tagen des Oktober nach der engen kleinen Gelehrtenſtadt an der Lahn.
Schon als er dort anlangte, war er nicht mehr der- ſelbe glückliche Menſch, den wir bisher kennen gelernt. Und wer vollends das Bild ſeines inneren Weſens, wie es ſich nach Verlauf weniger Monate aus ſeinen Gießener Briefen und den Mittheilungen ſeiner dortigen Freunde darſtellt, mit dem des Straßburger Studioſus vergleicht, gewahrt nur noch wenige gemeinſame Züge. Es iſt dies ganz wörtlich zu nehmen, nur ſelten iſt es wohl einem Biographen Pflicht geweſen, eine ſo radicale Wandlung ſeines Helden binnen gleich kurzer Friſt feſtzuſtellen und zu erläutern, als mir hier zur Aufgabe wird. Der Jüngling, der am Rhein ſtolz- fröhlich im Glück der Liebe und der Freundſchaft, in der Freude an ſeinen Studien, im Zauber der Natur geſchwelgt, der mit ſo ungemeiner Entſchiedenheit auch eine ungemeine Klarheit der politiſchen Anſchauungen verbunden und ſich ſo ſchroff von "revolutionären Kinderſtreichen" abgekehrt, der- ſelbe Jüngling ſtürzt ſich in Gießen, ein einſamer, verbit- terter Menſch, mit ſich und der Welt zerfallen, kopfüber in
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[LXI/0077]
noch zu jung, um demnächſt auf eine Vereinigung hoffen zu
dürfen, und bis zu jenem Momente, das wußten ſie, konnte
Jedes auf des Andern unverbrüchliche Treue zählen.
Bangen Herzens ſchied Georg Büchner im Juli 1833
von der Braut, den Freunden und der Stadt, die ihm ſo
lieb geworden. Die vier Semeſter, welche er nach heſſiſchem
Geſetze an einer fremden Hochſchule verbringen durfte, waren
nun verſtrichen, er mußte ſeine Studien an der Landesuni-
verſität fortſetzen, in Gießen. Nachdem er zwei Monate im
Elternhauſe verbracht, begab er ſich in den erſten Tagen
des Oktober nach der engen kleinen Gelehrtenſtadt an der
Lahn.
Schon als er dort anlangte, war er nicht mehr der-
ſelbe glückliche Menſch, den wir bisher kennen gelernt. Und
wer vollends das Bild ſeines inneren Weſens, wie es ſich
nach Verlauf weniger Monate aus ſeinen Gießener Briefen
und den Mittheilungen ſeiner dortigen Freunde darſtellt, mit
dem des Straßburger Studioſus vergleicht, gewahrt nur noch
wenige gemeinſame Züge. Es iſt dies ganz wörtlich zu
nehmen, nur ſelten iſt es wohl einem Biographen Pflicht
geweſen, eine ſo radicale Wandlung ſeines Helden binnen
gleich kurzer Friſt feſtzuſtellen und zu erläutern, als mir
hier zur Aufgabe wird. Der Jüngling, der am Rhein ſtolz-
fröhlich im Glück der Liebe und der Freundſchaft, in der
Freude an ſeinen Studien, im Zauber der Natur geſchwelgt,
der mit ſo ungemeiner Entſchiedenheit auch eine ungemeine
Klarheit der politiſchen Anſchauungen verbunden und ſich ſo
ſchroff von "revolutionären Kinderſtreichen" abgekehrt, der-
ſelbe Jüngling ſtürzt ſich in Gießen, ein einſamer, verbit-
terter Menſch, mit ſich und der Welt zerfallen, kopfüber in
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/77>, abgerufen am 26.11.2024.
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