zu neuen, schöpferischen, scharf geprägten Gedanken. An den Jüngling mahnt nur noch die rückhaltlose Hingebung an die Sache, im Uebrigen erscheint der neunzehnjährige Politiker nicht blos männlich gereift, sondern zudem als ein Mann, der seinen meisten Zeitgenossen an richtiger Erkenntniß der Verhältnisse, an Consequenz der Ansichten überlegen ist. Das ist keine liebevolle Uebertreibung, sondern nur eben das Richtige! Man urtheile selbst. Es ist bekannt, wie in jenen Tagen das deutsche Nationalgefühl von dem Freiheits- gefühl überwuchert war, wie die Idee eines schrankenlosen Kosmopolitismus gerade die besten Köpfe erfüllte, wie es in Süddeutschland nicht wenige Liberale gab, denen der An- schluß an eine französische Republik als der einzig mögliche Ausweg aus allen Nöthen der Kleinstaaterei erschien. Und Georg Büchner, der Student einer französischen Academie, der Sohn eines französisch gesinnten Vaters? Er blieb ein Deutscher, der nur deutsche Politik treiben wollte, der neben der Freiheit auch die Macht und Einheit seines Volkes ersehnte, der, selbst von gesundem, nationalem Egoismus er- füllt, allem Kosmopolitismus mit schneidiger Ironie begeg- nete! Man weiß, wie oft jene Zeit den Schein für das Sein nahm, wie sie sich an Phrasen berauschte, an Cocarden entzückte, an bunten Aufzügen erfreute, wie ernste Menschen einen kindlich-naiven Zug zum Aeußerlichen offenbarten. Dieser feurige Jüngling aber ist solchem Schaugepränge stets abgewendet geblieben, und wenn er ihm Beachtung schenkte, so war es ein Wort verdammender Satyre. Aber nun das Wichtigste! Man weiß, welche trübe Gährung damals Kopf und Herz der deutschen Liberalen erfüllte, wie sie von einem Aufstande des deutschen Volkes träumten, ohne die Masse
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zu neuen, ſchöpferiſchen, ſcharf geprägten Gedanken. An den Jüngling mahnt nur noch die rückhaltloſe Hingebung an die Sache, im Uebrigen erſcheint der neunzehnjährige Politiker nicht blos männlich gereift, ſondern zudem als ein Mann, der ſeinen meiſten Zeitgenoſſen an richtiger Erkenntniß der Verhältniſſe, an Conſequenz der Anſichten überlegen iſt. Das iſt keine liebevolle Uebertreibung, ſondern nur eben das Richtige! Man urtheile ſelbſt. Es iſt bekannt, wie in jenen Tagen das deutſche Nationalgefühl von dem Freiheits- gefühl überwuchert war, wie die Idee eines ſchrankenloſen Kosmopolitismus gerade die beſten Köpfe erfüllte, wie es in Süddeutſchland nicht wenige Liberale gab, denen der An- ſchluß an eine franzöſiſche Republik als der einzig mögliche Ausweg aus allen Nöthen der Kleinſtaaterei erſchien. Und Georg Büchner, der Student einer franzöſiſchen Academie, der Sohn eines franzöſiſch geſinnten Vaters? Er blieb ein Deutſcher, der nur deutſche Politik treiben wollte, der neben der Freiheit auch die Macht und Einheit ſeines Volkes erſehnte, der, ſelbſt von geſundem, nationalem Egoismus er- füllt, allem Kosmopolitismus mit ſchneidiger Ironie begeg- nete! Man weiß, wie oft jene Zeit den Schein für das Sein nahm, wie ſie ſich an Phraſen berauſchte, an Cocarden entzückte, an bunten Aufzügen erfreute, wie ernſte Menſchen einen kindlich-naiven Zug zum Aeußerlichen offenbarten. Dieſer feurige Jüngling aber iſt ſolchem Schaugepränge ſtets abgewendet geblieben, und wenn er ihm Beachtung ſchenkte, ſo war es ein Wort verdammender Satyre. Aber nun das Wichtigſte! Man weiß, welche trübe Gährung damals Kopf und Herz der deutſchen Liberalen erfüllte, wie ſie von einem Aufſtande des deutſchen Volkes träumten, ohne die Maſſe
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[LI/0067]
zu neuen, ſchöpferiſchen, ſcharf geprägten Gedanken. An den
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nicht blos männlich gereift, ſondern zudem als ein Mann,
der ſeinen meiſten Zeitgenoſſen an richtiger Erkenntniß der
Verhältniſſe, an Conſequenz der Anſichten überlegen iſt. Das
iſt keine liebevolle Uebertreibung, ſondern nur eben das
Richtige! Man urtheile ſelbſt. Es iſt bekannt, wie in
jenen Tagen das deutſche Nationalgefühl von dem Freiheits-
gefühl überwuchert war, wie die Idee eines ſchrankenloſen
Kosmopolitismus gerade die beſten Köpfe erfüllte, wie es
in Süddeutſchland nicht wenige Liberale gab, denen der An-
ſchluß an eine franzöſiſche Republik als der einzig mögliche
Ausweg aus allen Nöthen der Kleinſtaaterei erſchien. Und
Georg Büchner, der Student einer franzöſiſchen Academie,
der Sohn eines franzöſiſch geſinnten Vaters? Er blieb
ein Deutſcher, der nur deutſche Politik treiben wollte, der
neben der Freiheit auch die Macht und Einheit ſeines Volkes
erſehnte, der, ſelbſt von geſundem, nationalem Egoismus er-
füllt, allem Kosmopolitismus mit ſchneidiger Ironie begeg-
nete! Man weiß, wie oft jene Zeit den Schein für das
Sein nahm, wie ſie ſich an Phraſen berauſchte, an Cocarden
entzückte, an bunten Aufzügen erfreute, wie ernſte Menſchen
einen kindlich-naiven Zug zum Aeußerlichen offenbarten.
Dieſer feurige Jüngling aber iſt ſolchem Schaugepränge ſtets
abgewendet geblieben, und wenn er ihm Beachtung ſchenkte,
ſo war es ein Wort verdammender Satyre. Aber nun das
Wichtigſte! Man weiß, welche trübe Gährung damals Kopf
und Herz der deutſchen Liberalen erfüllte, wie ſie von einem
Aufſtande des deutſchen Volkes träumten, ohne die Maſſe
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/67>, abgerufen am 27.11.2024.
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