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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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das deutsche Publikum auf den so hervorragenden Geist auf-
merksam mache. In Straßburg gab sodann Büchner sehr
gelungene Uebersetzungen der beiden Dramen Viktor Hugo's,
Lucrecia Borgia und Maria Tudor, heraus. In
derselben Zeit und später zu Zürich vollendete er ein im
Manuscript vorliegendes Lustspiel, Leonce und Lena,
voll Geist, Witz und kecker Laune. Außerdem findet sich
unter seinen hinterlassenen Schriften ein beinahe vollendetes
Drama, sowie das Fragment einer Novelle, welche die letzten
Lebenstage des so bedeutenden als unglücklichen Dichters
Lenz zum Gegenstande hat. Diese Schriften werden dem-
nächst im Druck erscheinen.

Der so reich begabte junge Mann war mit zu viel
Thatkraft ausgerüstet, als daß er bei der jüngsten Bewegung
im Völkerleben, die eine bessere Zukunft zu verheißen schien,
in selbstsüchtiger Ruhe hätte verharren sollen. Durch seinen
frühe gereisten Geist auf eine heitere Höhe gestellt, blieb er
indessen in seinen politischen Ansichten von manchen Täuschungen
frei, welchen sich die Jugend willig hinzugeben pflegt. Ein
Feind jeder thöricht unbesonnenen Handlung, die zu keinem
günstigen Erfolge führen konnte, haßte er doch jenen thaten-
losen Liberalismus, der sich mit seinem Gewissen und seinem
Volke durch leere Phrasen abzufinden sucht, und war zu jedem
Schritte bereit, den ihm die Rücksicht auf das Wohl seines
Volkes zu gebieten schien. So haben denn in gleicher Weise
die Wissenschaft, die Kunst und das Vaterland seinen früh-
zeitigen Verlust zu beklagen. Dieses Vaterland hatte er ver-
lassen müssen, aber der Genius ist überall zu Hause. In
Zürich hätte er eine zweite Heimath gefunden; dafür bürgt
die Anerkennung, die ihm seine Talente erwarben, dafür die

das deutſche Publikum auf den ſo hervorragenden Geiſt auf-
merkſam mache. In Straßburg gab ſodann Büchner ſehr
gelungene Ueberſetzungen der beiden Dramen Viktor Hugo's,
Lucrecia Borgia und Maria Tudor, heraus. In
derſelben Zeit und ſpäter zu Zürich vollendete er ein im
Manuſcript vorliegendes Luſtſpiel, Leonce und Lena,
voll Geiſt, Witz und kecker Laune. Außerdem findet ſich
unter ſeinen hinterlaſſenen Schriften ein beinahe vollendetes
Drama, ſowie das Fragment einer Novelle, welche die letzten
Lebenstage des ſo bedeutenden als unglücklichen Dichters
Lenz zum Gegenſtande hat. Dieſe Schriften werden dem-
nächſt im Druck erſcheinen.

Der ſo reich begabte junge Mann war mit zu viel
Thatkraft ausgerüſtet, als daß er bei der jüngſten Bewegung
im Völkerleben, die eine beſſere Zukunft zu verheißen ſchien,
in ſelbſtſüchtiger Ruhe hätte verharren ſollen. Durch ſeinen
frühe gereiſten Geiſt auf eine heitere Höhe geſtellt, blieb er
indeſſen in ſeinen politiſchen Anſichten von manchen Täuſchungen
frei, welchen ſich die Jugend willig hinzugeben pflegt. Ein
Feind jeder thöricht unbeſonnenen Handlung, die zu keinem
günſtigen Erfolge führen konnte, haßte er doch jenen thaten-
loſen Liberalismus, der ſich mit ſeinem Gewiſſen und ſeinem
Volke durch leere Phraſen abzufinden ſucht, und war zu jedem
Schritte bereit, den ihm die Rückſicht auf das Wohl ſeines
Volkes zu gebieten ſchien. So haben denn in gleicher Weiſe
die Wiſſenſchaft, die Kunſt und das Vaterland ſeinen früh-
zeitigen Verluſt zu beklagen. Dieſes Vaterland hatte er ver-
laſſen müſſen, aber der Genius iſt überall zu Hauſe. In
Zürich hätte er eine zweite Heimath gefunden; dafür bürgt
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[434/0630] das deutſche Publikum auf den ſo hervorragenden Geiſt auf- merkſam mache. In Straßburg gab ſodann Büchner ſehr gelungene Ueberſetzungen der beiden Dramen Viktor Hugo's, Lucrecia Borgia und Maria Tudor, heraus. In derſelben Zeit und ſpäter zu Zürich vollendete er ein im Manuſcript vorliegendes Luſtſpiel, Leonce und Lena, voll Geiſt, Witz und kecker Laune. Außerdem findet ſich unter ſeinen hinterlaſſenen Schriften ein beinahe vollendetes Drama, ſowie das Fragment einer Novelle, welche die letzten Lebenstage des ſo bedeutenden als unglücklichen Dichters Lenz zum Gegenſtande hat. Dieſe Schriften werden dem- nächſt im Druck erſcheinen. Der ſo reich begabte junge Mann war mit zu viel Thatkraft ausgerüſtet, als daß er bei der jüngſten Bewegung im Völkerleben, die eine beſſere Zukunft zu verheißen ſchien, in ſelbſtſüchtiger Ruhe hätte verharren ſollen. Durch ſeinen frühe gereiſten Geiſt auf eine heitere Höhe geſtellt, blieb er indeſſen in ſeinen politiſchen Anſichten von manchen Täuſchungen frei, welchen ſich die Jugend willig hinzugeben pflegt. Ein Feind jeder thöricht unbeſonnenen Handlung, die zu keinem günſtigen Erfolge führen konnte, haßte er doch jenen thaten- loſen Liberalismus, der ſich mit ſeinem Gewiſſen und ſeinem Volke durch leere Phraſen abzufinden ſucht, und war zu jedem Schritte bereit, den ihm die Rückſicht auf das Wohl ſeines Volkes zu gebieten ſchien. So haben denn in gleicher Weiſe die Wiſſenſchaft, die Kunſt und das Vaterland ſeinen früh- zeitigen Verluſt zu beklagen. Dieſes Vaterland hatte er ver- laſſen müſſen, aber der Genius iſt überall zu Hauſe. In Zürich hätte er eine zweite Heimath gefunden; dafür bürgt die Anerkennung, die ihm ſeine Talente erwarben, dafür die

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/630>, abgerufen am 19.05.2024.