danken mittheilte, sagte er: "Unser Freund gibt dir selbst Antwort, er hat soeben, nachdem ein heftiger Sturm von Phantasien vorüber war, mit ruhiger, erhobener, feierlicher Stimme die Worte gesprochen: "Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein. Wir sind Tod, Staub, Asche, wie dürften wir klagen?" Mein Jammer löste sich in Wehmuth auf, aber ich war sehr traurig und werde es noch lange sein.
17. Februar. In der Nacht phantasirte der Kranke von seinen Eltern und Geschwistern in den rührendsten Aus- drücken. Er sprach fast immerwährend. Schönlein wunderte sich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich zweimal und nahm den größten Antheil, sowie Alle, die Büchner auch nur entfernt kannten. Jeden Morgen ließ man sich von verschiedenen Seiten nach seinem Befinden erkundigen. Gegen 10 Uhr kam Frau Pfarrer Schmid von Straßburg und benachrichtigte uns, daß Minna angekommen sei; ich erschrack sehr, denn ich fürchtete für sie, wenn sie den Kranken in so verändertem Zustande sehen würde. Ich eilte zu ihr in's Wirthshaus und bereitete sie nach und nach auf die große Gefahr vor, in der ihr Theuerstes schwebte. Ich machte mich recht stark bei ihr. Ich holte sie nach Tisch mit ihrer Begleiterin zu uns, die Aerzte hatten ihr erlaubt, den Kranken zu sehen. Er erkannte sie, was eine schmerzliche Freude für sie war; unsere Thränen flossen vereint an diesem Tage und mein Herz litt viel, denn es verstand das ihrige. Sie und Frau Schmid blieben von nun an bei uns. Die Nacht war für uns Alle traurig. Der Kranke delirirte fort- während.
danken mittheilte, ſagte er: "Unſer Freund gibt dir ſelbſt Antwort, er hat ſoeben, nachdem ein heftiger Sturm von Phantaſien vorüber war, mit ruhiger, erhobener, feierlicher Stimme die Worte geſprochen: "Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein. Wir ſind Tod, Staub, Aſche, wie dürften wir klagen?" Mein Jammer löſte ſich in Wehmuth auf, aber ich war ſehr traurig und werde es noch lange ſein.
17. Februar. In der Nacht phantaſirte der Kranke von ſeinen Eltern und Geſchwiſtern in den rührendſten Aus- drücken. Er ſprach faſt immerwährend. Schönlein wunderte ſich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich zweimal und nahm den größten Antheil, ſowie Alle, die Büchner auch nur entfernt kannten. Jeden Morgen ließ man ſich von verſchiedenen Seiten nach ſeinem Befinden erkundigen. Gegen 10 Uhr kam Frau Pfarrer Schmid von Straßburg und benachrichtigte uns, daß Minna angekommen ſei; ich erſchrack ſehr, denn ich fürchtete für ſie, wenn ſie den Kranken in ſo verändertem Zuſtande ſehen würde. Ich eilte zu ihr in's Wirthshaus und bereitete ſie nach und nach auf die große Gefahr vor, in der ihr Theuerſtes ſchwebte. Ich machte mich recht ſtark bei ihr. Ich holte ſie nach Tiſch mit ihrer Begleiterin zu uns, die Aerzte hatten ihr erlaubt, den Kranken zu ſehen. Er erkannte ſie, was eine ſchmerzliche Freude für ſie war; unſere Thränen floſſen vereint an dieſem Tage und mein Herz litt viel, denn es verſtand das ihrige. Sie und Frau Schmid blieben von nun an bei uns. Die Nacht war für uns Alle traurig. Der Kranke delirirte fort- während.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0623"n="427"/>
danken mittheilte, ſagte er: "Unſer Freund gibt dir ſelbſt<lb/>
Antwort, er hat ſoeben, nachdem ein heftiger Sturm von<lb/>
Phantaſien vorüber war, mit ruhiger, erhobener, feierlicher<lb/>
Stimme die Worte geſprochen: "Wir haben der Schmerzen<lb/>
nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den<lb/>
Schmerz gehen wir zu Gott ein. Wir ſind Tod, Staub,<lb/>
Aſche, wie dürften wir klagen?" Mein Jammer löſte ſich<lb/>
in Wehmuth auf, aber ich war ſehr traurig und werde es<lb/>
noch lange ſein.</p><lb/><p>17. <hirendition="#g">Februar</hi>. In der Nacht phantaſirte der Kranke<lb/>
von ſeinen Eltern und Geſchwiſtern in den rührendſten Aus-<lb/>
drücken. Er ſprach faſt immerwährend. Schönlein wunderte<lb/>ſich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich<lb/>
zweimal und nahm den größten Antheil, ſowie Alle, die<lb/>
Büchner auch nur entfernt kannten. Jeden Morgen ließ man<lb/>ſich von verſchiedenen Seiten nach ſeinem Befinden erkundigen.<lb/>
Gegen 10 Uhr kam Frau Pfarrer Schmid von Straßburg<lb/>
und benachrichtigte uns, daß Minna angekommen ſei; ich<lb/>
erſchrack ſehr, denn ich fürchtete für ſie, wenn ſie den Kranken<lb/>
in ſo verändertem Zuſtande ſehen würde. Ich eilte zu ihr<lb/>
in's Wirthshaus und bereitete ſie nach und nach auf die<lb/>
große Gefahr vor, in der ihr Theuerſtes ſchwebte. Ich machte<lb/>
mich recht ſtark bei ihr. Ich holte ſie nach Tiſch mit ihrer<lb/>
Begleiterin zu uns, die Aerzte hatten ihr erlaubt, den Kranken<lb/>
zu ſehen. Er erkannte ſie, was eine ſchmerzliche Freude für<lb/>ſie war; unſere Thränen floſſen vereint an dieſem Tage und<lb/>
mein Herz litt viel, denn es verſtand das ihrige. Sie<lb/>
und Frau Schmid blieben von nun an bei uns. Die<lb/>
Nacht war für uns Alle traurig. Der Kranke delirirte fort-<lb/>
während.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[427/0623]
danken mittheilte, ſagte er: "Unſer Freund gibt dir ſelbſt
Antwort, er hat ſoeben, nachdem ein heftiger Sturm von
Phantaſien vorüber war, mit ruhiger, erhobener, feierlicher
Stimme die Worte geſprochen: "Wir haben der Schmerzen
nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den
Schmerz gehen wir zu Gott ein. Wir ſind Tod, Staub,
Aſche, wie dürften wir klagen?" Mein Jammer löſte ſich
in Wehmuth auf, aber ich war ſehr traurig und werde es
noch lange ſein.
17. Februar. In der Nacht phantaſirte der Kranke
von ſeinen Eltern und Geſchwiſtern in den rührendſten Aus-
drücken. Er ſprach faſt immerwährend. Schönlein wunderte
ſich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich
zweimal und nahm den größten Antheil, ſowie Alle, die
Büchner auch nur entfernt kannten. Jeden Morgen ließ man
ſich von verſchiedenen Seiten nach ſeinem Befinden erkundigen.
Gegen 10 Uhr kam Frau Pfarrer Schmid von Straßburg
und benachrichtigte uns, daß Minna angekommen ſei; ich
erſchrack ſehr, denn ich fürchtete für ſie, wenn ſie den Kranken
in ſo verändertem Zuſtande ſehen würde. Ich eilte zu ihr
in's Wirthshaus und bereitete ſie nach und nach auf die
große Gefahr vor, in der ihr Theuerſtes ſchwebte. Ich machte
mich recht ſtark bei ihr. Ich holte ſie nach Tiſch mit ihrer
Begleiterin zu uns, die Aerzte hatten ihr erlaubt, den Kranken
zu ſehen. Er erkannte ſie, was eine ſchmerzliche Freude für
ſie war; unſere Thränen floſſen vereint an dieſem Tage und
mein Herz litt viel, denn es verſtand das ihrige. Sie
und Frau Schmid blieben von nun an bei uns. Die
Nacht war für uns Alle traurig. Der Kranke delirirte fort-
während.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/623>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.