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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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von Baden, erster Ritter vom doppelten Mopsorden, macht
sich zum Ritter vom heiligen Geist und läßt Gutzkow
arretiren, und der liebe deutsche Michel glaubt, es geschähe
Alles aus Religion und Christenthum und klascht in die
Hände. Ich kenne die Bücher nicht, von denen überall die
Rede ist; sie sind nicht in den Leihbibliotheken und zu theuer,
als daß ich Geld daran wenden sollte. Sollte auch Alles
sein, wie man sagt, so könnte ich darin nur die Verirrungen
eines durch philosophische Sophismen falsch geleiteten Geistes
sehen. Es ist der gewöhnlichste Kunstgriff, den großen
Haufen auf seine Seite zu bekommen, wenn man mit recht
vollen Backen: "unmoralisch!" schreit. Uebrigens gehört sehr
viel Muth dazu, einen Schriftsteller anzugreifen, der von
einem deutschen Gefängniß aus antworten soll. Gutzkow
hat bisher einen edlen, kräftigen Charakter gezeigt, er hat
Proben von großem Talent abgelegt; woher denn plötzlich
das Geschrei? Es kommt mir vor, als stritte man sehr
um das Reich von dieser Welt, während man sich stellt, als
müsse man der heiligen Dreifaltigkeit das Leben retten.
Gutzkow hat in seiner Sphäre muthig für die Freiheit ge-
kämpft; man muß doch die Wenigen, welche noch aufrecht
stehn und zu sprechen wagen, verstummen machen! Uebrigens
gehöre ich für meine Person keineswegs zu dem so-
genannten Jungen Deutschland, der literarischen Partei
Gutzkow's und Heine's. Nur ein völliges Mißkennen unserer
gesellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen,
daß durch die Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer
religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei. Auch theile
ich keineswegs ihre Meinung über die Ehe und
das Christenthum
, aber ich ärgere mich doch, wenn

von Baden, erſter Ritter vom doppelten Mopsorden, macht
ſich zum Ritter vom heiligen Geiſt und läßt Gutzkow
arretiren, und der liebe deutſche Michel glaubt, es geſchähe
Alles aus Religion und Chriſtenthum und klaſcht in die
Hände. Ich kenne die Bücher nicht, von denen überall die
Rede iſt; ſie ſind nicht in den Leihbibliotheken und zu theuer,
als daß ich Geld daran wenden ſollte. Sollte auch Alles
ſein, wie man ſagt, ſo könnte ich darin nur die Verirrungen
eines durch philoſophiſche Sophismen falſch geleiteten Geiſtes
ſehen. Es iſt der gewöhnlichſte Kunſtgriff, den großen
Haufen auf ſeine Seite zu bekommen, wenn man mit recht
vollen Backen: "unmoraliſch!" ſchreit. Uebrigens gehört ſehr
viel Muth dazu, einen Schriftſteller anzugreifen, der von
einem deutſchen Gefängniß aus antworten ſoll. Gutzkow
hat bisher einen edlen, kräftigen Charakter gezeigt, er hat
Proben von großem Talent abgelegt; woher denn plötzlich
das Geſchrei? Es kommt mir vor, als ſtritte man ſehr
um das Reich von dieſer Welt, während man ſich ſtellt, als
müſſe man der heiligen Dreifaltigkeit das Leben retten.
Gutzkow hat in ſeiner Sphäre muthig für die Freiheit ge-
kämpft; man muß doch die Wenigen, welche noch aufrecht
ſtehn und zu ſprechen wagen, verſtummen machen! Uebrigens
gehöre ich für meine Perſon keineswegs zu dem ſo-
genannten Jungen Deutſchland, der literariſchen Partei
Gutzkow's und Heine's. Nur ein völliges Mißkennen unſerer
geſellſchaftlichen Verhältniſſe konnte die Leute glauben machen,
daß durch die Tagesliteratur eine völlige Umgeſtaltung unſerer
religiöſen und geſellſchaftlichen Ideen möglich ſei. Auch theile
ich keineswegs ihre Meinung über die Ehe und
das Chriſtenthum
, aber ich ärgere mich doch, wenn

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[362/0558] von Baden, erſter Ritter vom doppelten Mopsorden, macht ſich zum Ritter vom heiligen Geiſt und läßt Gutzkow arretiren, und der liebe deutſche Michel glaubt, es geſchähe Alles aus Religion und Chriſtenthum und klaſcht in die Hände. Ich kenne die Bücher nicht, von denen überall die Rede iſt; ſie ſind nicht in den Leihbibliotheken und zu theuer, als daß ich Geld daran wenden ſollte. Sollte auch Alles ſein, wie man ſagt, ſo könnte ich darin nur die Verirrungen eines durch philoſophiſche Sophismen falſch geleiteten Geiſtes ſehen. Es iſt der gewöhnlichſte Kunſtgriff, den großen Haufen auf ſeine Seite zu bekommen, wenn man mit recht vollen Backen: "unmoraliſch!" ſchreit. Uebrigens gehört ſehr viel Muth dazu, einen Schriftſteller anzugreifen, der von einem deutſchen Gefängniß aus antworten ſoll. Gutzkow hat bisher einen edlen, kräftigen Charakter gezeigt, er hat Proben von großem Talent abgelegt; woher denn plötzlich das Geſchrei? Es kommt mir vor, als ſtritte man ſehr um das Reich von dieſer Welt, während man ſich ſtellt, als müſſe man der heiligen Dreifaltigkeit das Leben retten. Gutzkow hat in ſeiner Sphäre muthig für die Freiheit ge- kämpft; man muß doch die Wenigen, welche noch aufrecht ſtehn und zu ſprechen wagen, verſtummen machen! Uebrigens gehöre ich für meine Perſon keineswegs zu dem ſo- genannten Jungen Deutſchland, der literariſchen Partei Gutzkow's und Heine's. Nur ein völliges Mißkennen unſerer geſellſchaftlichen Verhältniſſe konnte die Leute glauben machen, daß durch die Tagesliteratur eine völlige Umgeſtaltung unſerer religiöſen und geſellſchaftlichen Ideen möglich ſei. Auch theile ich keineswegs ihre Meinung über die Ehe und das Chriſtenthum, aber ich ärgere mich doch, wenn

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/558>, abgerufen am 23.11.2024.