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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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das Grab der Philosophie abmaß. Sonderbar ist es freilich,
wie er den armen lieben Gott als Leiter gebrauchte, um aus
diesem Abgrund herauszukriechen. Doch schon seine Zeit-
genossen ließen ihn nicht über den Rand kommen! Sie
fragten: "Kann man keiner Sache gewiß sein, noch irgend
etwas klar und deutlich erkennen, ehe das Dasein Gottes
mit Gewißheit erkannt worden ist, wie steht es dann mit
der Wahrheit jener Sätze, welche das Dasein Gottes beweisen
und also dieser Erkenntniß vorausgehen? wie mit dem Grund-
stein "cogito ergo sum?"

Auf diese Einwendungen hat Cartesius nur sehr unbe-
friedigend geantwortet, so mit der Ausflucht, daß nur allein
die apodiktische Gewißheit jener Schlußsätze, welche wieder-
kehren können, ohne daß man auf ihre Gründe noch die
gehörige Aufmerksamkeit wende, durch die gewisse Erkenntniß
von Gottes Dasein bedingt sei -- ein Zugeständniß, das er
übrigens in der Folge wieder negirt hat. Cartesius hat
übrigens den Widerspruch, worin er sich hier verwickelt, schon,
wenigstens höchst wahrscheinlich, von vornherein selbst geahnt.
Diese Annahme scheint mir durch die Art berechtigt, wie er
sich nun bemüht, die mathematische Begründung seines Systems
schärfer und präciser zu gestalten. Freilich, wie ich glaube,
mit geringem Erfolge! Denn er selbst mußte wohl bald ein-
sehen, daß kein anderer Satz seines Systems sich so bestimmt
und unwiderleglich erweisen lasse, als jener erste "cogito ergo
sum".
Er mußte einsehen, daß dieser Satz nur der Ausdruck
für das mit jeder Thätigkeit nothwendig verbundene Selbst-
bewußtsein sei, und daß es verlorene Mühe sein würde, einen
zweiten Satz von gleicher Gewißheit zu suchen. Denn ob-
gleich alle auf die Denkgesetze gegründeten Sätze uns ebenso

das Grab der Philoſophie abmaß. Sonderbar iſt es freilich,
wie er den armen lieben Gott als Leiter gebrauchte, um aus
dieſem Abgrund herauszukriechen. Doch ſchon ſeine Zeit-
genoſſen ließen ihn nicht über den Rand kommen! Sie
fragten: "Kann man keiner Sache gewiß ſein, noch irgend
etwas klar und deutlich erkennen, ehe das Daſein Gottes
mit Gewißheit erkannt worden iſt, wie ſteht es dann mit
der Wahrheit jener Sätze, welche das Daſein Gottes beweiſen
und alſo dieſer Erkenntniß vorausgehen? wie mit dem Grund-
ſtein "cogito ergo sum?"

Auf dieſe Einwendungen hat Carteſius nur ſehr unbe-
friedigend geantwortet, ſo mit der Ausflucht, daß nur allein
die apodiktiſche Gewißheit jener Schlußſätze, welche wieder-
kehren können, ohne daß man auf ihre Gründe noch die
gehörige Aufmerkſamkeit wende, durch die gewiſſe Erkenntniß
von Gottes Daſein bedingt ſei — ein Zugeſtändniß, das er
übrigens in der Folge wieder negirt hat. Carteſius hat
übrigens den Widerſpruch, worin er ſich hier verwickelt, ſchon,
wenigſtens höchſt wahrſcheinlich, von vornherein ſelbſt geahnt.
Dieſe Annahme ſcheint mir durch die Art berechtigt, wie er
ſich nun bemüht, die mathematiſche Begründung ſeines Syſtems
ſchärfer und präciſer zu geſtalten. Freilich, wie ich glaube,
mit geringem Erfolge! Denn er ſelbſt mußte wohl bald ein-
ſehen, daß kein anderer Satz ſeines Syſtems ſich ſo beſtimmt
und unwiderleglich erweiſen laſſe, als jener erſte "cogito ergo
sum".
Er mußte einſehen, daß dieſer Satz nur der Ausdruck
für das mit jeder Thätigkeit nothwendig verbundene Selbſt-
bewußtſein ſei, und daß es verlorene Mühe ſein würde, einen
zweiten Satz von gleicher Gewißheit zu ſuchen. Denn ob-
gleich alle auf die Denkgeſetze gegründeten Sätze uns ebenſo

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[314/0510] das Grab der Philoſophie abmaß. Sonderbar iſt es freilich, wie er den armen lieben Gott als Leiter gebrauchte, um aus dieſem Abgrund herauszukriechen. Doch ſchon ſeine Zeit- genoſſen ließen ihn nicht über den Rand kommen! Sie fragten: "Kann man keiner Sache gewiß ſein, noch irgend etwas klar und deutlich erkennen, ehe das Daſein Gottes mit Gewißheit erkannt worden iſt, wie ſteht es dann mit der Wahrheit jener Sätze, welche das Daſein Gottes beweiſen und alſo dieſer Erkenntniß vorausgehen? wie mit dem Grund- ſtein "cogito ergo sum?" Auf dieſe Einwendungen hat Carteſius nur ſehr unbe- friedigend geantwortet, ſo mit der Ausflucht, daß nur allein die apodiktiſche Gewißheit jener Schlußſätze, welche wieder- kehren können, ohne daß man auf ihre Gründe noch die gehörige Aufmerkſamkeit wende, durch die gewiſſe Erkenntniß von Gottes Daſein bedingt ſei — ein Zugeſtändniß, das er übrigens in der Folge wieder negirt hat. Carteſius hat übrigens den Widerſpruch, worin er ſich hier verwickelt, ſchon, wenigſtens höchſt wahrſcheinlich, von vornherein ſelbſt geahnt. Dieſe Annahme ſcheint mir durch die Art berechtigt, wie er ſich nun bemüht, die mathematiſche Begründung ſeines Syſtems ſchärfer und präciſer zu geſtalten. Freilich, wie ich glaube, mit geringem Erfolge! Denn er ſelbſt mußte wohl bald ein- ſehen, daß kein anderer Satz ſeines Syſtems ſich ſo beſtimmt und unwiderleglich erweiſen laſſe, als jener erſte "cogito ergo sum". Er mußte einſehen, daß dieſer Satz nur der Ausdruck für das mit jeder Thätigkeit nothwendig verbundene Selbſt- bewußtſein ſei, und daß es verlorene Mühe ſein würde, einen zweiten Satz von gleicher Gewißheit zu ſuchen. Denn ob- gleich alle auf die Denkgeſetze gegründeten Sätze uns ebenſo

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/510>, abgerufen am 27.05.2024.