Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Existenz nicht ein, dies ist aber widersinnig, also existirt
Gott nothwendig."

Dagegen bemerke ich:

Dieser Beweis läuft ziemlich auf den hinaus, daß Gott
nicht anders als seiend gedacht werden könnte; was zwingt
uns aber ein Wesen zu denken, das nicht anders als seiend
gedacht werden kann?

Oder selbst zugegeben, wir seien durch den Lehrsatz von
dem, was in sich oder in etwas Anderem ist, gezwungen, auf
etwas zu kommen, was nicht anders als seiend gedacht
werden kann, was berechtigt uns aber deßwegen, aus diesem
Wesen das absolut Vollkommene -- Gott zu machen?

Wenn man auf die Definition von Gott eingeht, so
muß man auch das Dasein Gottes zugeben. Was berechtigt
uns aber diese Definition zu machen?

Der Verstand?
Er kennt das Unvollkommene.
Das Gefühl?
Es kennt den Schmerz.


Stößt man sich an das Wort "Gott" nicht, lernt man
die Art begreifen, wie es Spinoza anwendet, so wird man
sich mit diesem Philosophen befreunden können, welcher Glaubens-
losigkeit auch immer man sein mag ...



Schon das erste Wissen des Spinozismus bringt un-
endliche Ruhe. Alle Glückseligkeit ist allein im Anschauen
des Ewigen-Unveränderlichen. Nicht von dem Endlichen soll
zum Unendlichen, nicht von den Dingen soll zu Gott fort-
geschritten werden, sondern aus Gott heraus soll Alles

Exiſtenz nicht ein, dies iſt aber widerſinnig, alſo exiſtirt
Gott nothwendig."

Dagegen bemerke ich:

Dieſer Beweis läuft ziemlich auf den hinaus, daß Gott
nicht anders als ſeiend gedacht werden könnte; was zwingt
uns aber ein Weſen zu denken, das nicht anders als ſeiend
gedacht werden kann?

Oder ſelbſt zugegeben, wir ſeien durch den Lehrſatz von
dem, was in ſich oder in etwas Anderem iſt, gezwungen, auf
etwas zu kommen, was nicht anders als ſeiend gedacht
werden kann, was berechtigt uns aber deßwegen, aus dieſem
Weſen das abſolut Vollkommene — Gott zu machen?

Wenn man auf die Definition von Gott eingeht, ſo
muß man auch das Daſein Gottes zugeben. Was berechtigt
uns aber dieſe Definition zu machen?

Der Verſtand?
Er kennt das Unvollkommene.
Das Gefühl?
Es kennt den Schmerz.


Stößt man ſich an das Wort "Gott" nicht, lernt man
die Art begreifen, wie es Spinoza anwendet, ſo wird man
ſich mit dieſem Philoſophen befreunden können, welcher Glaubens-
loſigkeit auch immer man ſein mag ...



Schon das erſte Wiſſen des Spinozismus bringt un-
endliche Ruhe. Alle Glückſeligkeit iſt allein im Anſchauen
des Ewigen-Unveränderlichen. Nicht von dem Endlichen ſoll
zum Unendlichen, nicht von den Dingen ſoll zu Gott fort-
geſchritten werden, ſondern aus Gott heraus ſoll Alles

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0505" n="309"/>
Exi&#x017F;tenz nicht ein, dies i&#x017F;t aber wider&#x017F;innig, al&#x017F;o exi&#x017F;tirt<lb/>
Gott nothwendig."</p><lb/>
            <p>Dagegen bemerke ich:</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Beweis läuft ziemlich auf den hinaus, daß Gott<lb/>
nicht anders als &#x017F;eiend gedacht werden könnte; was zwingt<lb/>
uns aber ein We&#x017F;en zu denken, das nicht anders als &#x017F;eiend<lb/>
gedacht werden kann?</p><lb/>
            <p>Oder &#x017F;elb&#x017F;t zugegeben, wir &#x017F;eien durch den Lehr&#x017F;atz von<lb/>
dem, was in &#x017F;ich oder in etwas Anderem i&#x017F;t, gezwungen, auf<lb/>
etwas zu kommen, was nicht anders als &#x017F;eiend gedacht<lb/>
werden kann, was berechtigt uns aber deßwegen, aus die&#x017F;em<lb/>
We&#x017F;en das ab&#x017F;olut Vollkommene &#x2014; <hi rendition="#g">Gott</hi> zu machen?</p><lb/>
            <p>Wenn man auf die Definition von Gott eingeht, &#x017F;o<lb/>
muß man auch das Da&#x017F;ein Gottes zugeben. Was berechtigt<lb/>
uns aber die&#x017F;e Definition zu machen?</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Der <hi rendition="#g">Ver&#x017F;tand</hi>?</l><lb/>
              <l>Er kennt das Unvollkommene.</l><lb/>
              <l>Das <hi rendition="#g">Gefühl</hi>?</l><lb/>
              <l>Es kennt den Schmerz.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Stößt man &#x017F;ich an das Wort "Gott" nicht, lernt man<lb/>
die Art begreifen, wie es Spinoza anwendet, &#x017F;o wird man<lb/>
&#x017F;ich mit die&#x017F;em Philo&#x017F;ophen befreunden können, welcher Glaubens-<lb/>
lo&#x017F;igkeit auch immer man &#x017F;ein mag ...</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Schon das er&#x017F;te Wi&#x017F;&#x017F;en des Spinozismus bringt un-<lb/>
endliche Ruhe. Alle Glück&#x017F;eligkeit i&#x017F;t allein im An&#x017F;chauen<lb/>
des Ewigen-Unveränderlichen. Nicht von dem Endlichen &#x017F;oll<lb/>
zum Unendlichen, nicht von den Dingen &#x017F;oll zu Gott fort-<lb/>
ge&#x017F;chritten werden, &#x017F;ondern aus Gott heraus &#x017F;oll Alles<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0505] Exiſtenz nicht ein, dies iſt aber widerſinnig, alſo exiſtirt Gott nothwendig." Dagegen bemerke ich: Dieſer Beweis läuft ziemlich auf den hinaus, daß Gott nicht anders als ſeiend gedacht werden könnte; was zwingt uns aber ein Weſen zu denken, das nicht anders als ſeiend gedacht werden kann? Oder ſelbſt zugegeben, wir ſeien durch den Lehrſatz von dem, was in ſich oder in etwas Anderem iſt, gezwungen, auf etwas zu kommen, was nicht anders als ſeiend gedacht werden kann, was berechtigt uns aber deßwegen, aus dieſem Weſen das abſolut Vollkommene — Gott zu machen? Wenn man auf die Definition von Gott eingeht, ſo muß man auch das Daſein Gottes zugeben. Was berechtigt uns aber dieſe Definition zu machen? Der Verſtand? Er kennt das Unvollkommene. Das Gefühl? Es kennt den Schmerz. Stößt man ſich an das Wort "Gott" nicht, lernt man die Art begreifen, wie es Spinoza anwendet, ſo wird man ſich mit dieſem Philoſophen befreunden können, welcher Glaubens- loſigkeit auch immer man ſein mag ... Schon das erſte Wiſſen des Spinozismus bringt un- endliche Ruhe. Alle Glückſeligkeit iſt allein im Anſchauen des Ewigen-Unveränderlichen. Nicht von dem Endlichen ſoll zum Unendlichen, nicht von den Dingen ſoll zu Gott fort- geſchritten werden, ſondern aus Gott heraus ſoll Alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/505
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/505>, abgerufen am 28.11.2024.