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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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gemäße war, wie sich die Vorliebe für das einfach Mensch-
liche und die Abneigung gegen das Rhetorische, wie sich die
Verehrung für die Heroen des künstlerischen Realismus har-
monisch dem Charakterbilde einfügt, welches sich stückweise
vor uns aufbaut, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Eben
darum haben ihn dieselben aesthetischen Prinzipien auch in
der Folge geleitet, und bei der Betrachtung seines eigenen
Schaffens werden wir oft auf seine Lieblingslectüre in der
Jünglingszeit zurückweisen müssen: auf Goethe und Shakes-
peare, auf das Volkslied und die Romantiker. In jenem
Lebensabschnitt jedoch, von dem wir hier handeln, hatte diese
Lectüre nur den Einfluß auf seine Production, daß sie die-
selbe völlig zum Schweigen brachte. Vom sechszehnten bis
zum zwei- und zwanzigsten Jahre hat Georg Büchner auch
nicht eine Zeile gedichtet. Er lernte den Unwerth seiner
früheren Versuche erkennen und verstummte. Seine poetische
Kraft schlummerte und dieser Mensch hat stets nur gethan,
wozu ihn seine Natur drängte. Als der Motor seines
Lebens, der politische Enthusiasmus, die Dichterkraft in ihm
weckte, da schlug er sofort in seinem ersten Versuch den rich-
tigen Weg ein: er erkannte, daß er zum Dramatiker ge-
boren sei. So ist ihm in seinem Schaffen alles Tasten,
Suchen und Irregehen erspart geblieben; auch hier bewährt
sich jener geniale Instinkt, dessen ich oben gedacht: er ließ
ihn erst dann reden, als er etwas zu sagen hatte. "Zur
Zeit, da wir vom Gymnasium schieden", schreibt einer der
citirten Gewährsmänner, "im Herbst 1831, ahnte weder mir
noch ihm von seinem Dichterberuf. Er wollte sich den Natur-
wissenschaften widmen, für deren Studium er sich ent-
schieden."


G. Büchners Werke. c

gemäße war, wie ſich die Vorliebe für das einfach Menſch-
liche und die Abneigung gegen das Rhetoriſche, wie ſich die
Verehrung für die Heroen des künſtleriſchen Realismus har-
moniſch dem Charakterbilde einfügt, welches ſich ſtückweiſe
vor uns aufbaut, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Eben
darum haben ihn dieſelben aeſthetiſchen Prinzipien auch in
der Folge geleitet, und bei der Betrachtung ſeines eigenen
Schaffens werden wir oft auf ſeine Lieblingslectüre in der
Jünglingszeit zurückweiſen müſſen: auf Goethe und Shakes-
peare, auf das Volkslied und die Romantiker. In jenem
Lebensabſchnitt jedoch, von dem wir hier handeln, hatte dieſe
Lectüre nur den Einfluß auf ſeine Production, daß ſie die-
ſelbe völlig zum Schweigen brachte. Vom ſechszehnten bis
zum zwei- und zwanzigſten Jahre hat Georg Büchner auch
nicht eine Zeile gedichtet. Er lernte den Unwerth ſeiner
früheren Verſuche erkennen und verſtummte. Seine poetiſche
Kraft ſchlummerte und dieſer Menſch hat ſtets nur gethan,
wozu ihn ſeine Natur drängte. Als der Motor ſeines
Lebens, der politiſche Enthuſiasmus, die Dichterkraft in ihm
weckte, da ſchlug er ſofort in ſeinem erſten Verſuch den rich-
tigen Weg ein: er erkannte, daß er zum Dramatiker ge-
boren ſei. So iſt ihm in ſeinem Schaffen alles Taſten,
Suchen und Irregehen erſpart geblieben; auch hier bewährt
ſich jener geniale Inſtinkt, deſſen ich oben gedacht: er ließ
ihn erſt dann reden, als er etwas zu ſagen hatte. "Zur
Zeit, da wir vom Gymnaſium ſchieden", ſchreibt einer der
citirten Gewährsmänner, "im Herbſt 1831, ahnte weder mir
noch ihm von ſeinem Dichterberuf. Er wollte ſich den Natur-
wiſſenſchaften widmen, für deren Studium er ſich ent-
ſchieden."


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[XXXIII/0049] gemäße war, wie ſich die Vorliebe für das einfach Menſch- liche und die Abneigung gegen das Rhetoriſche, wie ſich die Verehrung für die Heroen des künſtleriſchen Realismus har- moniſch dem Charakterbilde einfügt, welches ſich ſtückweiſe vor uns aufbaut, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Eben darum haben ihn dieſelben aeſthetiſchen Prinzipien auch in der Folge geleitet, und bei der Betrachtung ſeines eigenen Schaffens werden wir oft auf ſeine Lieblingslectüre in der Jünglingszeit zurückweiſen müſſen: auf Goethe und Shakes- peare, auf das Volkslied und die Romantiker. In jenem Lebensabſchnitt jedoch, von dem wir hier handeln, hatte dieſe Lectüre nur den Einfluß auf ſeine Production, daß ſie die- ſelbe völlig zum Schweigen brachte. Vom ſechszehnten bis zum zwei- und zwanzigſten Jahre hat Georg Büchner auch nicht eine Zeile gedichtet. Er lernte den Unwerth ſeiner früheren Verſuche erkennen und verſtummte. Seine poetiſche Kraft ſchlummerte und dieſer Menſch hat ſtets nur gethan, wozu ihn ſeine Natur drängte. Als der Motor ſeines Lebens, der politiſche Enthuſiasmus, die Dichterkraft in ihm weckte, da ſchlug er ſofort in ſeinem erſten Verſuch den rich- tigen Weg ein: er erkannte, daß er zum Dramatiker ge- boren ſei. So iſt ihm in ſeinem Schaffen alles Taſten, Suchen und Irregehen erſpart geblieben; auch hier bewährt ſich jener geniale Inſtinkt, deſſen ich oben gedacht: er ließ ihn erſt dann reden, als er etwas zu ſagen hatte. "Zur Zeit, da wir vom Gymnaſium ſchieden", ſchreibt einer der citirten Gewährsmänner, "im Herbſt 1831, ahnte weder mir noch ihm von ſeinem Dichterberuf. Er wollte ſich den Natur- wiſſenſchaften widmen, für deren Studium er ſich ent- ſchieden." G. Büchners Werke. c

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/49>, abgerufen am 29.03.2024.