Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Aeußerungen sich unmittelbar selbst genug. Alles, was
ist, ist um seiner selbst willen da. Das Gesetz dieses Seins
zu suchen, ist das Ziel der, der teleologischen gegenüberstehen-
den Ansicht, die ich die philosophische nennen will. Alles,
was für jene Zweck ist, wird für diese Wirkung. Wo
die teleologische Schule mit ihrer Antwort fertig ist, fängt
die Frage für die philosophische an. Diese Frage, die uns
auf allen Punkten anredet, kann ihre Antwort nur in einem
Grundgesetze für die gesammte Organisation finden, und so
wird für die philosophische Methode das ganze körperliche
Dasein des Individuums nicht zu seiner eigenen Erhaltung
aufgebracht, sondern es wird die Manifestation eines Ur-
gesetzes, eines Gesetzes der Schönheit, das nach den einfachsten
Rissen und Linien die höchsten und reinsten Formen hervor-
bringt. Alles, Form und Stoff, ist für sie an dies Gesetz
gebunden. Alle Funktionen sind Wirkungen desselben; sie
werden durch keine äußeren Zwecke bestimmt, und ihr soge-
nanntes zweckmäßiges Aufeinander- und Zusammenwirken ist
nichts weiter, als die nothwendige Harmonie in den Aeuße-
rungen eines und desselben Gesetzes, dessen Wirkungen sich
natürlich nicht gegenseitig zerstören.

Die Frage nach einem solchen Gesetze führte von selbst
zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthusias-
mus des absoluten Wissens sich von je berauscht hat, der
Anschauung des Mystikers und dem Dogmatismus des Ver-
nunftphilosophen. Daß es bis jetzt gelungen sei, zwischen
letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahr-
nehmen, eine Brücke zu schlagen, muß die Kritik verneinen.
Die Philosophie a priori sitzt noch in einer trostlosen Wüste;
sie hat einen weiten Weg zwischen sich und dem frischen

Aeußerungen ſich unmittelbar ſelbſt genug. Alles, was
iſt, iſt um ſeiner ſelbſt willen da. Das Geſetz dieſes Seins
zu ſuchen, iſt das Ziel der, der teleologiſchen gegenüberſtehen-
den Anſicht, die ich die philoſophiſche nennen will. Alles,
was für jene Zweck iſt, wird für dieſe Wirkung. Wo
die teleologiſche Schule mit ihrer Antwort fertig iſt, fängt
die Frage für die philoſophiſche an. Dieſe Frage, die uns
auf allen Punkten anredet, kann ihre Antwort nur in einem
Grundgeſetze für die geſammte Organiſation finden, und ſo
wird für die philoſophiſche Methode das ganze körperliche
Daſein des Individuums nicht zu ſeiner eigenen Erhaltung
aufgebracht, ſondern es wird die Manifeſtation eines Ur-
geſetzes, eines Geſetzes der Schönheit, das nach den einfachſten
Riſſen und Linien die höchſten und reinſten Formen hervor-
bringt. Alles, Form und Stoff, iſt für ſie an dies Geſetz
gebunden. Alle Funktionen ſind Wirkungen deſſelben; ſie
werden durch keine äußeren Zwecke beſtimmt, und ihr ſoge-
nanntes zweckmäßiges Aufeinander- und Zuſammenwirken iſt
nichts weiter, als die nothwendige Harmonie in den Aeuße-
rungen eines und deſſelben Geſetzes, deſſen Wirkungen ſich
natürlich nicht gegenſeitig zerſtören.

Die Frage nach einem ſolchen Geſetze führte von ſelbſt
zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthuſias-
mus des abſoluten Wiſſens ſich von je berauſcht hat, der
Anſchauung des Myſtikers und dem Dogmatismus des Ver-
nunftphiloſophen. Daß es bis jetzt gelungen ſei, zwiſchen
letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahr-
nehmen, eine Brücke zu ſchlagen, muß die Kritik verneinen.
Die Philoſophie a priori ſitzt noch in einer troſtloſen Wüſte;
ſie hat einen weiten Weg zwiſchen ſich und dem friſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0489" n="293"/>
Aeußerungen &#x017F;ich unmittelbar <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t genug</hi>. Alles, was<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t um &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen da. Das Ge&#x017F;etz die&#x017F;es Seins<lb/>
zu &#x017F;uchen, i&#x017F;t das Ziel der, der teleologi&#x017F;chen gegenüber&#x017F;tehen-<lb/>
den An&#x017F;icht, die ich die <hi rendition="#g">philo&#x017F;ophi&#x017F;che</hi> nennen will. Alles,<lb/>
was für <hi rendition="#g">jene</hi> Zweck i&#x017F;t, wird für <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Wirkung. Wo<lb/>
die teleologi&#x017F;che Schule mit ihrer Antwort fertig i&#x017F;t, fängt<lb/>
die Frage für die philo&#x017F;ophi&#x017F;che an. Die&#x017F;e Frage, die uns<lb/>
auf allen Punkten anredet, kann ihre Antwort nur in einem<lb/>
Grundge&#x017F;etze für die ge&#x017F;ammte Organi&#x017F;ation finden, und &#x017F;o<lb/>
wird für die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Methode das ganze körperliche<lb/>
Da&#x017F;ein des Individuums nicht zu &#x017F;einer eigenen Erhaltung<lb/>
aufgebracht, &#x017F;ondern es wird die Manife&#x017F;tation eines Ur-<lb/>
ge&#x017F;etzes, eines Ge&#x017F;etzes der Schönheit, das nach den einfach&#x017F;ten<lb/>
Ri&#x017F;&#x017F;en und Linien die höch&#x017F;ten und rein&#x017F;ten Formen hervor-<lb/>
bringt. Alles, Form und Stoff, i&#x017F;t für &#x017F;ie an dies Ge&#x017F;etz<lb/>
gebunden. Alle Funktionen &#x017F;ind Wirkungen de&#x017F;&#x017F;elben; &#x017F;ie<lb/>
werden durch keine äußeren Zwecke be&#x017F;timmt, und ihr &#x017F;oge-<lb/>
nanntes zweckmäßiges Aufeinander- und Zu&#x017F;ammenwirken i&#x017F;t<lb/>
nichts weiter, als die nothwendige Harmonie in den Aeuße-<lb/>
rungen eines und de&#x017F;&#x017F;elben Ge&#x017F;etzes, de&#x017F;&#x017F;en Wirkungen &#x017F;ich<lb/>
natürlich nicht gegen&#x017F;eitig zer&#x017F;tören.</p><lb/>
            <p>Die Frage nach einem &#x017F;olchen Ge&#x017F;etze führte von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthu&#x017F;ias-<lb/>
mus des ab&#x017F;oluten Wi&#x017F;&#x017F;ens &#x017F;ich von je berau&#x017F;cht hat, der<lb/>
An&#x017F;chauung des My&#x017F;tikers und dem Dogmatismus des Ver-<lb/>
nunftphilo&#x017F;ophen. Daß es bis jetzt gelungen &#x017F;ei, zwi&#x017F;chen<lb/>
letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahr-<lb/>
nehmen, eine Brücke zu &#x017F;chlagen, muß die Kritik verneinen.<lb/>
Die Philo&#x017F;ophie <hi rendition="#aq">a priori</hi> &#x017F;itzt noch in einer tro&#x017F;tlo&#x017F;en Wü&#x017F;te;<lb/>
&#x017F;ie hat einen weiten Weg zwi&#x017F;chen &#x017F;ich und dem fri&#x017F;chen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0489] Aeußerungen ſich unmittelbar ſelbſt genug. Alles, was iſt, iſt um ſeiner ſelbſt willen da. Das Geſetz dieſes Seins zu ſuchen, iſt das Ziel der, der teleologiſchen gegenüberſtehen- den Anſicht, die ich die philoſophiſche nennen will. Alles, was für jene Zweck iſt, wird für dieſe Wirkung. Wo die teleologiſche Schule mit ihrer Antwort fertig iſt, fängt die Frage für die philoſophiſche an. Dieſe Frage, die uns auf allen Punkten anredet, kann ihre Antwort nur in einem Grundgeſetze für die geſammte Organiſation finden, und ſo wird für die philoſophiſche Methode das ganze körperliche Daſein des Individuums nicht zu ſeiner eigenen Erhaltung aufgebracht, ſondern es wird die Manifeſtation eines Ur- geſetzes, eines Geſetzes der Schönheit, das nach den einfachſten Riſſen und Linien die höchſten und reinſten Formen hervor- bringt. Alles, Form und Stoff, iſt für ſie an dies Geſetz gebunden. Alle Funktionen ſind Wirkungen deſſelben; ſie werden durch keine äußeren Zwecke beſtimmt, und ihr ſoge- nanntes zweckmäßiges Aufeinander- und Zuſammenwirken iſt nichts weiter, als die nothwendige Harmonie in den Aeuße- rungen eines und deſſelben Geſetzes, deſſen Wirkungen ſich natürlich nicht gegenſeitig zerſtören. Die Frage nach einem ſolchen Geſetze führte von ſelbſt zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthuſias- mus des abſoluten Wiſſens ſich von je berauſcht hat, der Anſchauung des Myſtikers und dem Dogmatismus des Ver- nunftphiloſophen. Daß es bis jetzt gelungen ſei, zwiſchen letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahr- nehmen, eine Brücke zu ſchlagen, muß die Kritik verneinen. Die Philoſophie a priori ſitzt noch in einer troſtloſen Wüſte; ſie hat einen weiten Weg zwiſchen ſich und dem friſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/489
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/489>, abgerufen am 25.11.2024.